
EM-Aufkleber: Die Mathematik hinter dem Sammelwahn
EM-Sticker Mathe-Tricks machen Panini-Sammeln günstiger
Kennen Sie das Gefühl, wenn aus der 50. Panini-Tüte endlich jener Spieler herausrutscht. Genau jener, den man schon seit Wochen vergeblich sucht? Das Belohnungszentrum im Gehirn spielt verrückt, der durchschnittliche Tag ist plötzlich zu einem richtig guten geworden. Es geht nichts über Sammlerglück.
Pünktlich zur EM hat der Tütenkauf wieder Konjunktur. Doch bis zum großen Glücksmoment geht bisweilen viel Geld über den Tresen beim Kiosk. Aus der nüchternen Sicht des Mathematikers betrachtet, geht es auch einfacher und billiger. Und diese Sichtweise lässt die so kultigen Panini-Bilder als besonders raffiniertes Geschäftsmodell erscheinen, an dem zwei prächtig verdienen: der Lizenzgeber - im Fußball EM-Jahr 2012 ist das die Uefa - und Panini selbst.
Gerade erst hat das Unternehmen verkündet, dass man zur diesjährigen EM in Deutschland 70 Millionen Tütchen verkaufen will, so viel wie zur WM 2010. Und das bei weniger Teams im Wettbewerb.
3710 - die magische Zahl
Ganze 540 verschiedene Sticker muss man zusammenbekommen, damit das EM-Album komplett ist. In einer Tüte für 60 Cent stecken fünf Stück. Der Sammler muss also mindestens 108 solcher Tüten für knapp 65 Euro kaufen, um es zu füllen. Doch 65 Euro reichen nie und nimmer, weil viele Sticker schnell doppelt, dreifach oder noch öfter in der Sammlung auftauchen.
Man kann relativ leicht ausrechnen, wie viele Bilder ein Sammler im Schnitt kaufen muss, damit sein Album vollständig gefüllt ist. Es sind 3710 Aufkleber zum Preis von 450 Euro. Man kommt auch mit weniger Stickern aus, wenn man Aufkleber tauscht oder bei Panini nachbestellt. Mehr dazu weiter unten. Wir wollen hier aber erst einmal den Fall des Sammlers betrachten, der dies nicht tut.
3710 Aufkleber? Im ersten Moment will man diese Zahl kaum glauben. Vor allem, weil man beim Sammeln zu Beginn gut vorankommt. Es gibt kaum doppelte Bilder, schnell ist ein Viertel, ein Drittel oder sogar die Hälfte des Albums gefüllt.
Das Problem beginnt, wenn man die letzten Lücken schließen will: Stellen wir uns vor, wir haben das Album bis auf einen Sticker komplett. 539 Bilder kleben, nur eines, zum Beispiel Mario Gomez, fehlt noch. Wie viele Aufkleber muss ich kaufen, bis ich das fehlende Bild endlich habe?
Angenommen, die 540 verschiedenen Aufkleber von Panini sind gleichmäßig über alle Tüten verteilt: Wenn ich einen Sticker kaufe, liegt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es Gomez ist, bei p = 1/540. Also benötige ich im Durchschnitt 1/p = 540 Käufe, bis ich Gomez tatsächlich habe. Bei fünf Aufklebern pro Tüte entspricht das 108 Tüten oder 64,80 Euro.
Ich kann Glück haben, und Gomez purzelt gleich aus der ersten Tüte. Ich kann aber auch Pech haben, und das Album ist auch nach 200 Tüten (=1000 Sticker=120 Euro) immer noch nicht voll.
Wir können noch etwas weiter rechnen: Nehmen wir an, uns fehlen nicht nur einer, sondern zwei Aufkleber. Dann beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein neu gekaufter Sticker einer der beiden noch fehlenden ist, genau 2/540. Ich benötige deshalb im Mittel 540/2 = 270 Aufkleber, damit ich den ersten der beiden fehlenden Sticker habe. Für den letzten Schritt von 539 zu 540 brauche ich 540 Aufkleber - wie oben gesehen - insgesamt für die letzten beiden Aufkleber also im Durchschnitt 270+540=810 Sticker. Die Rechnung verdeutlicht, wie schwierig das Albumfüllen wird, wenn es schon fast voll ist.
Am Anfang sind kaum Sticker doppelt
Wir können die Kalkulation auch andersherum beginnen, wenn das Album noch völlig leer ist. Der erste gekaufte Sticker ist dann mit der Wahrscheinlichkeit 1 neu. Beim zweiten Aufkleber beträgt die Wahrscheinlichkeit 539/540, dass ich ihn noch nicht habe. Also benötige ich durchschnittlich 540/539 = 1,002 Aufkleber, damit ich einen Zweiten im Album habe. Der dritte Sticker braucht dann 540/538 Versuche, der vierte 540/537 und so weiter.
Auf diese Weise erhalte ich die Sammelbild-Formel:
Summe = 540/540 + 540/539 + 540/538 + … + 540/3 + 540/2 + 540/1
oder
Summe = 540*(1/540 + 1/539 + 1/538 + … + 1/3 + 1/2 + 1/1)
geschrieben in umgekehrter Reihenfolge
Summe = 540*(1/1 + 1/2 + 1/3 + .... + 1/538 + 1/539 + 1/540)
Das Ergebnis lautet 3710 - wie man das ausrechnet, erläutert der Kasten "Die Sammelbilder-Formel" unten. 3710 ist übrigens ein Mittelwert. Es wird Sammler geben, die schon nach 2500 Bildern alle 540 zusammenhaben, andere brauchen 5000 Stück. Im Schnitt bezahlt ein Sammler 3710*0,12 Euro = 445,20 Euro.
Mit cleverer Strategie fast 300 Euro sparen
Doch man bekommt sein Album auch für deutlich weniger Geld gefüllt. Wie wir gesehen haben, wird vor allem das Sammeln der letzten noch fehlenden Aufkleber teuer. Diese Sticker kann man auch direkt bei Panini nachbestellen. Das kostet zwar Geld, ist aber immer noch deutlich günstiger, als auf gut Glück weiter Tüten zu kaufen. Panini erlaubt pro Person das Nachordern von 50 verschiedenen Bildern. Für diese werden dann pro Stück 0,18 Euro plus einmalig 3,00 Euro Versandkosten fällig - macht für 50 Stück insgesamt 12 Euro.
Eine Sammelstrategie wäre also, nur so lange Tüten zu kaufen, bis 490 Bilder zusammengekommen sind und die fehlenden 50 Bilder bei Panini zu bestellen. Wie viel das Füllen des Albums dann kostet, lässt sich relativ leicht berechnen. Für 490 verschiedene Sticker muss ich genau
540/540 + 540/539 + ... + 540/52 + 540/51
kaufen. Das sind auf ganze Zahlen gerundet genau 1280 Sticker. Dafür wären 1280*0,12 Euro fällig. Zusammen mit den 12 Euro für die Nachbestellung macht das 165,60 Euro - weniger als die Hälfte der ursprünglichen 445,20 Euro.
Ich könnte übrigens auch nur 440 verschiedene Aufkleber sammeln und 100 fehlende Sticker nachbestellen - müsste dann aber einen Freund um Mithilfe bitten, denn Panini erlaubt pro Person ja nur eine Bestellung bis maximal 50 Stück. Dann summieren sich die Kosten auf rund 133 Euro.
Brüder und Schwestern, vereinigt euch!
Noch geschickter ist es, wenn mehrere Personen von Vornherein gemeinsam sammeln. Dabei hat jeder sein eigenes Album. Mathematiker bezeichnen dies als Geschwister-Sammelbilderproblem. Ein Kind kauft die Sticker und reicht alle doppelten sofort an das nächste Kind weiter. Dieses geht genauso vor: Was neu ist, wird eingeklebt, was doppelt ist, bekommt das nächste Kind.
Wenn die Geschwister gemeinsam 1000 Sticker kaufen, wie viele davon sind dann doppelt, dreifach, vierfach und so weiter? Mathematisch gesehen ist das deutlich anspruchsvoller als die bisherigen Kalkulationen. Doch Mathematiker wären keine Mathematiker, wenn sie dieses Problem nicht längst untersucht und gelöst hätten - mit der sogenannten Foata-Han-Lass-Formel . Doron Zeilberger von der Rutgers University in New Jersey hat damit für SPIEGEL ONLINE berechnet, wie viele Sticker wie oft auftauchen, wenn der Panini-Fan genau 3710 gekauft hat. Das ist genau die Anzahl, die im Mittel zum Füllen eines Albums reicht.
Zunächst könnte man denken, dass ein Sammler bei 3710 gekauften Stickern, von denen es 540 verschiedene gibt, jeden Aufkleber genau 3710/540 = 6,87-mal hat. Doch das stimmt nicht. Trotz der vielen Sticker sind manche nur einmal da und zugleich gibt es zwei Aufkleber gleich 16fach. Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die Aufkleber durchschnittlich verteilen (auf ganze Zahlen gerundet):
Geschwister-Sammelbilderproblem (540 verschiedene Motive, 3710 gekauft)
Motive | 7 | 18 | 36 | 55 | 71 | 76 | 73 | 62 | 48 | 35 | 24 | 15 | 9 | 5 | 3 | 2 | 1 |
Anzahl der Exemplare | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
Wenn zwei Geschwister gemeinsam sammeln, müsste das erste Kind sich noch sieben Motive nachkaufen, weil diese in der Sammlung nur einmal auftauchen. Dann hätten beide Kinder ihre Alben voll. Alle übrigen Motive sind schließlich doppelt, dreifach oder noch öfter da.
Wenn fünf Geschwister gemeinsam sammeln, müssen sie von den Aufklebern, die vierfach da sind, noch einen Satz nachbestellen - also 55*1. Von den Dreifachen benötigen sie zwei Sätze - 36*2, von den Zweifachen drei - 18*3 und von den nur einfach Vorhandenen vier Sätze - also 7*4. Insgesamt kommt man dann auf eine Nachorder von 209 Stickern, die 52,62 Euro kostet. Hinzu kommen natürlich die Ausgaben für die 3710 gekauften Bilder von 445,20 Euro. Macht zusammen rund 498 Euro und somit pro Person knapp hundert Euro.
Übrigens müssen die Sammler nicht nach einer strengen Hackordnung vorgehen, bei der einer alle gekauften Sticker zuerst bekommt, sein Album füllt und nur doppelte und mehrfache weitergibt. Stattdessen kann jeder der fünf Sammler ein Fünftel der insgesamt 3710 Sticker kaufen - also 742 - und sein Album damit füllen. Alle Doppelten und Mehrfachen kommen dann in einen gemeinsamen Pool, aus dem sich jeder bedienen kann. Mathematisch gesehen macht es nämlich keinen Unterschied, ob eine Person 3710 Aufkleber oder fünf Personen jeweils 742 kaufen.
Das gemeinsame Sammeln und Nachbestellen hat vielleicht nicht ganz den Zauber des hundertfachen Tütenöffnens - aber es spart auf jeden Fall eine Menge Geld.
Trickst Panini etwa?
Das alles stimmt natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Panini die Aufkleber gleich verteilt in die Tüten steckt. Von Sammlern kommt aber immer wieder der Einwand, dass einzelne Teams oder Spieler häufiger auftauchen als andere. Das würde das Geschäft sicher ankurbeln, aber das dürfte kaum nötig sein. Denn wir haben beim Geschwisterproblem gesehen, wie viele Aufkleber man 13fach, 14fach und sogar 16fach hat, obwohl man im Durchschnitt erwarten würde, dass jeder Sticker knapp siebenmal da ist.
Wir wollen mit einer kleinen Umfrage herausfinden, ob die Fußballerbilder gleichverteilt sind oder nicht. Wenn Sie selbst Sammler sind, können Sie an unserer kleinen Studie teilnehmen und das folgende Formular ausfüllen. Um den Aufwand überschaubar zu halten, fragen wir Sie nur nach dem Stammtorwart jedes der 16 Teams und nach den Aufklebern der deutschen Spieler. In ein paar Tagen erfahren Sie dann, ob es zumindest bei den Keepern oder dem Team von Jogi Löw Auffälligkeiten gibt.