Interview zum Klimawandel Wie Journalisten Forschungsergebnisse filtern

Erdsimulation: Journalisten als Türsteher fürs Klimawissen
Foto: ADRIAN DENNIS/ AFPHamburg - In Deutschland hat das Interesse am Klima abgenommen. Mittlerweile berichteten die Medien in vielen anderen Ländern deutlich häufiger über den Klimawandel, schreiben Forscher um Andreas Schmidt von der Universität Hamburg im Fachblatt "Global Environmental Change".
Vermutlich sorge hierzulande ein breiter gesellschaftlicher Konsens zum Umweltschutz für Zurückhaltung. "Länder wie Australien hingegen, die besonders viele Treibhausgase produzieren und unter dem Druck stehen, Lebensstil und Wirtschaft zu verändern, diskutieren sehr viel über Klimawandel und politische Lösungen", sagt Schmidt.
In Deutschland haben Medienexperten ein hohes Einverständnis zwischen Journalisten und Klimaforschern festgestellt. Sind Medien bei dem Thema wirklich objektiv? Die Kommunikationsforscher Michael Brüggemann und Sven Engesser von der Universität Zürich haben Journalisten in Deutschland, der Schweiz, den USA, Indien und Großbritannien befragt , die öfters über Klimaforschung berichten. Im Interview berichtet Brüggemann, nach welchen Kriterien Journalisten die Öffentlichkeit informieren.
SPIEGEL ONLINE: Herr Brüggemann, sind wir Medienleute wirklich unvoreingenommen beim heiß umstrittenen Klimathema?
Michael Brüggemann: Die ganz große Mehrheit der Klimajournalisten stimmt weitgehend überein mit dem Konsens führender Klimawissenschaftler, wie er in den regelmäßigen Berichten des Uno-Klimarats IPCC zum Ausdruck kommt. Neun von zehn der Klimajournalisten vertrauen den Ergebnissen des IPCC: Der Mensch hat demnach wesentlich zur Klimaerwärmung beigetragen und geht deshalb erhebliche Risiken ein. Im Vergleich zu anderen Themen haben wir beim Klima ein auffällig hohes Einverständnis unter Journalisten festgestellt.
SPIEGEL ONLINE: Man hört doch immer wieder von den sogenannten Klimaskeptikern, die den Stand der Wissenschaft angeblich verzerren, indem sie Ursachen und Risiko des Klimawandels in Frage stellen. Gibt es die etwa nicht unter Journalisten?
Brüggemann: Nur einer von zehn Journalisten, die an unserer Befragung teilgenommen haben, stellt die Schlussfolgerungen des Uno-Klimareports ganz grundlegend in Frage. Das sind dann überwiegend Journalisten, die auch seltener über das Thema schreiben.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch kommen immer wieder abweichende Meinungen zum Stand des Wissens zu Wort, wie ist das zu erklären?
Brüggemann: Mehr als 70 Prozent der befragten Journalisten halten die Beiträge der Klimaskeptiker für wissenschaftlich nicht fundiert. Ein Drittel der Befragten möchte die Abweichler gleichberechtigt zu Wort kommen lassen, auch wenn sie aus Sicht der Journalisten nicht den Stand der Wissenschaft wiedergegeben. Besonders in den USA gibt es die Tradition des "ausgewogenen Journalismus", immer beide Seiten einer Debatte zu hören.
SPIEGEL ONLINE: Kritiker dieses Brauchs sprechen beim Klimathema aber von "falscher Ausgewogenheit", weil die Gleichstellung von Minderheitsmeinungen gegenüber der Mehrheit ein Zerrbild vom Stand des Wissens erzeugen würde.
Brüggemann: Insgesamt wollen gut zwei Drittel der befragten Journalisten Skeptiker zitieren, sofern deren Kommentare kritisch eingeordnet werden.
SPIEGEL ONLINE: Kommt aber bei so viel Einigkeit zwischen Journalisten und Wissenschaft die Kritik nicht zu kurz?
Brüggemann: Es ist zunächst einmal beruhigend, wenn sich Journalisten bemühen, den Stand des Wissens wiederzugeben, da lese ich die Medien doch mit gutem Gefühl. Allerdings fällt tatsächlich auf, dass nur die Hälfte der Befragten es für wichtig hält, über die Unsicherheiten der Forschungsergebnisse zu berichten. Hingegen gaben 95 Prozent der Journalisten an, es sei wichtig, über die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für Mensch und Natur zu informieren.
SPIEGEL ONLINE: Klimajournalisten betonen die Risiken auf Kosten der Unsicherheiten der wissenschaftlichen Ergebnisse?
Brüggemann: Tendenziell kann man das so sagen: Den Journalisten erscheint es in der jetzigen Situation wichtiger, ihren Lesern die Tragweite des Problems Klimawandel zu verdeutlichen. 85 Prozent der Umfrageteilnehmer halten das Thema Ökologie für wichtig, 63 Prozent wollen mit ihrer Berichterstattung die Notwendigkeit ökologischer Reformen in Politik und Wirtschaft hervorheben.
SPIEGEL ONLINE: Ist diese Haltung verantwortungsvoll oder tendenziös?
Brüggemann: Eine engagierte Haltung zum Umweltschutz motiviert Journalisten offenbar, sich mit dem Thema Klimawandel zu beschäftigen. Die betreffenden Journalisten würden wohl sagen, ihre Haltung sei wissenschaftlich begründet angesichts der mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für die Menschheit. Beides hängt zusammen: Je stärker Journalisten Advokaten für ökologische Reformen sein wollen, umso stärker stimmen sie auch dem Resümee des Weltklimarats zum menschengemachten Klimawandel zu.
SPIEGEL ONLINE: Stecken auch politische Anschauungen dahinter?
Brüggemann: Je rechter sich ein Journalist in unserer Umfrage politisch eingeordnet hat, desto eher hält er die Aussagen der Klimaskeptiker für relevant und wissenschaftlich. Allerdings sehen sich überhaupt nur sechs Prozent der Studienteilnehmer rechts der Mitte. 70 Prozent der Klimajournalisten hingegen stufen sich als links der Mitte ein; ein Viertel sieht sich genau in der Mitte.