Medizin Computer druckt Knochen

Mediziner wollen gebrochene Knochen künftig per Computer reparieren. Ein 3D-Drucker soll auf Knopfdruck Ersatzteile auswerfen, die exakt passen und aus dem gleichen Material wie natürliche Knochen bestehen.

Ein kleiner Schritt in die falsche Richtung, der Fuß verhakt sich an einem Stein, und die junge Frau stürzt auf das Geröllfeld. Ein Knöchel am Fußgelenk ist gebrochen. Glücklicherweise verläuft der Unfall glimpflich, ein paar Wochen später kann die Patientin wieder mühelos laufen. Doch nicht immer lassen sich Knochenbrüche so einfach heilen: Bei komplizierten Brüchen können die Ärzte nicht ohne weiteres die Fragmente zusammenfügen. In solchen Fällen benötigen sie oft ein Stück körpereigenen oder künstlichen Knochen, den sie an der verletzten Stelle einsetzen.

Ist zum Beispiel ein Stück Knochen herausgebrochen und so eine Lücke entstanden, muss diese gefüllt werden: "In kleinem Umfang kann körpereigener Knochen oder Knorpel transplantiert werden. Dieses Material wird zum Beispiel an der Hüfte entnommen. Oder wir greifen auf toten Knochen von Tieren, etwa von Rindern zurück, der speziell aufbereitet wird, um Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken", sagt Matthias Schieker, Leiter der Arbeitsgruppe Tissue Engineering an der Universität München.

Vermessung per Computertomografie

Neben Rinderknochen werden unter anderem auch Korallenstücke verwendet, die einen ähnlichen Aufbau wie natürliche Knochen haben. Der Haken dabei: Der Mensch ist weder Rind noch Koralle, und das Skelett des einen Menschen entspricht nie haargenau dem eines anderen.

"Die Formkörper oder Klötze müssen im OP zerkleinert und die Tierknochen angepasst werden", erklärt Hermann Seitz, einer der Arbeitsgruppenleiter für Rapid-Prototyping-Verfahren am Forschungszentrum Caesar in Bonn. Dieses Zuschneiden könnte jedoch in Zukunft entfallen: Am Caesar entwickelt Seitz zusammen mit seinem Kollegen Carsten Tille und weiteren Mitarbeitern ein Verfahren, mit dem passgenaue Knochenstücke gedruckt werden können. Auf Knopfdruck werden dabei die fertigen Implantate von einem so genannten 3D-Drucker ausgegeben, berichteten die Forscher auf der Medica in Düsseldorf.

Kommt ein Patient mit einem herausgebrochenen Knochensplitter in die Klinik, wird die Verletzung zunächst per Computertomografie (CT) aufgenommen. "Mit der CT kann man in den Körper hineinschauen und in zweidimensionalen Schichten die Knochen als helle Objekte auf dunklem Grund erkennen", erklärt Tille.

Schicht für Schicht ein neuer Knochen

Nach der genauen Vermessung der Lücke wandelt ein Computerprogramm die zweidimensionalen Bilder in eine dreidimensionale Darstellung um. Ausgehend von den Maßen des Lochs kann das gesuchte Implantat entworfen und hergestellt werden. Dazu wird eine dünne Schicht keramisches Pulver auf eine Bauplatte aufgetragen. Anschließend wird Bindeflüssigkeit darüber gedruckt, dann folgt die nächste Schicht Keramik. Die Bindeflüssigkeit verklebt die Schichten miteinander. So wächst der Knochen Stück für Stück aus dem 3D-Drucker in die Höhe. "In einigen Stunden ist er fertig", sagt Seitz.

Da das keramische Pulver aus dem gleichen Stoff besteht wie natürlicher Knochen, erwarten die Forscher, dass das Implantat sehr gut vom Patienten vertragen wird. Zumindest lassen die ersten Ergebnisse im Labor von Schieker darauf schließen.

"Wir möchten jedoch nicht nur einen passgenauen naturidentischen Knochen herstellen, sondern auch das Zuwachsen der Lücke beschleunigen", schildert Schieker. Deshalb versucht sein Team, die keramischen Implantate mit Knochenzellen zu besiedeln, die aus adulten Stammzellen gewonnen werden. Die Knochenzellen sollen durch die Poren der Keramik bis ins Innere dringen. Sobald das präparierte Knochenstück in den menschlichen Körper eingesetzt ist, sollen die Zellen aktiv werden und rasch mit dem anliegenden natürlichen Knochen verwachsen.

Stammzellen sollen Heilung beschleunigen

"Bei größeren Defekten wächst das körpereigene Gewebe nur von außen in die Implantate ein, aber im Innern fehlen die Nährstoffe", sagt Schieker. Ein solcher Knochen erlangt nie wieder seine einstige Stabilität. Mit dem gedruckten und in Stammzellen getränkten Knochen könnte dies künftig passé sein, hoffen die Forscher. "In weniger als fünf Jahren könnte es die ersten Anwendungen dieser Methode beim Menschen geben", prognostiziert Schieker.

Denkbar sei beispielsweise, die kleinen Keramikstücke bei Mund-, Kiefer- und Gesichtsoperationen passgenau in Fehlstellen einzufügen. "In jedem Fall werden wir das Implantat zuerst in nicht tragenden Partien erproben, also an Stellen, an denen das Skelett wenig Gewicht trägt", erläutert Seitz. Für gebrochene Beine, Arme oder Rippen werden die Knochen aus dem Drucker vorerst nicht infrage kommen.

Susanne Donner, ddp

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