Medizin-Geschichte Was Römer und Griechen über die Hoden dachten

Nicht-antike Marmorstatue in Rom: Webgewichte, die den Körper straffen ?
Foto: MAX ROSSI/ REUTERSDie Griechen und Römer machten sich über Sinn und Zweck ziemlich vieler Dinge Gedanken. Was dachten sie eigentlich über die Hoden? Dieser Frage geht die Doktorandin Jacqueline König von der Universität Leiden in einem Aufsatz in der Zeitschrift "Rosetta" nach. Dazu untersucht sie die ausführliche Beschreibung der Hoden beim römischen Enzyklopädisten Aulus Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr - 50 n. Chr.), dessen Werke noch im Mittelalter in Fragen zur Kastration konsultiert wurden.
Wie beschrieben die Römer die Blutversorgung der Hoden? Verstanden sie ihre Rolle im Fortpflanzungsprozess? Welche Konsequenzen glaubten sie, hatte die Entfernung der Hoden?
Celsus war - ganz fortschrittlich - der erste Autor, der medizinische Gründe für eine Kastration nannte. Man müsse die Hoden entfernen, schrieb er, wenn sie vom Körper keine Nahrung mehr bekämen, beispielsweise wenn die Versorgung nach einem heftigen Schlag darauf abgerissen sei. Auch wenn eine Ader im Hodensack sich so vergrößert habe, so dass die Hoden keinen Beitrag mehr zur Zeugung liefern können, empfahl er deren Entfernung.
Das war neu: Zwar kastrierten sich die Priester der Göttin Kybele selbst, und im Hellenismus sowie auch später noch am römischen Kaiserhof war es für eine Beamtenkarriere förderlich, ein Eunuch zu sein - aber dass es auch andere Gründe geben könne, war noch niemandem eingefallen.
Direkte Verbindung von Hirn und Hoden
Um den medizinischen Rat zu verstehen, schreibt König, müsse man schauen, was Celsus' Vorgänger zum Thema Blutversorgung und Funktion der Hoden geschrieben hätten. Als damals herrschende Lehrmeinung galt: Die Hoden sind direkt mit dem Kopf verbunden. In der hippokratischen Abhandlung "De natura ossium" aus dem 4. Jahrhundert vor Christus ist beschrieben, wie alle Blutgefäße ihren Ursprung in einer großen, kreisförmigen Ader im Kopf haben. Die Schrift erwähnt zudem ein Gefäß, das vom Rückgrat aus dünne, steife Wurzeln zu den Hoden aussendet - möglicherweise ist der Samenstrang gemeint. Die "Zeugungsmaterie", hieß es, befinde sich in einem Blutgefäß zwischen Hoden und Penis. Auch der griechische Philosoph Aristoteles war dieser Ansicht. Die Blutgefäße, die zu den Hoden führten, kamen für ihn jedoch nicht aus dem Kopf, sondern direkt aus dem Herzen.
Ob Celsus an die Kopf- oder an die Herzversorgung der Hoden glaubt, lässt er offen. Für ihn läuft die Blutversorgung über ein Paar von Venen und Arterien, die zusammen mit einer "Sehne" aus der Leiste kommen - eventuell meint er den Samenstrang. Dass diese "Sehne" aber in Wirklichkeit Samen transportiert, fiel erst rund ein Jahrhundert später dem Arzt Rufus von Ephesos auf.
Wozu dienten die Hoden nach Meinung der Römer und Griechen überhaupt? Dass sie notwendig sind, um Testosteron zu produzieren, war unbekannt - von Hormonen hatte man in der Antike noch nichts gehört. Auch über die Samenproduktion herrschte einige Verwirrung. In den ältesten Vorstellungen war der Samen aus Mark gemacht, das wiederum direkt aus dem Kopf kam.
"Webgewichte" gegen den Drang zur Kopulation
Zu Zeiten des Hippokrates hielt man die Samenproduktion für einen Teil der Nahrungsverwertung. Auch Aristoteles glaubte daran: Der Körper kocht aus der Nahrung das Blut und ein Teil davon wird im Herzen zu Samen umgewandelt und von dort in Leitungen zum Penis geführt. Die Hoden selbst seien kein Teil dieser Leitungen, sondern "nur an sie angehängt, so wie Frauen Gewichte an ihren Rahmen hängen, wenn sie weben." Durch diese "Webgewichte", glaubte der große Gelehrte, würden die Samenleiter ordentlich gefaltet und so der gewalttätige und eilige Drang zur Kopulation gezügelt. Zusätzlich trugen sie zur Männlichkeit bei - denn sie hielten den Körper "straff und maskulin".
Celsus hält sich noch weitgehend an die aristotelische Version, dass der Samen verkochtes Blut ist und die Hoden nur wenig mit der ganzen Geschichte zu tun haben. Wieder ist es erst ein Jahrhundert später Rufus von Ephesus, der vermutet, dass der Samen in den Hoden produziert wird.
Trotz dieser Missverständnisse war die Kastration zu Zeiten des Celsus ein üblicher Eingriff. "Was er über die Konsequenzen wusste oder nicht wusste", schreibt König, "können wir nur ahnen. "Aber, da der Eunuchen-Sklave ein bekannter Charakter in der römischen Gesellschaft war, wird Celsus reichlich Gelegenheit gehabt haben, die Folgen mit eigenen Augen zu beobachten."