
Blass, blond, blauäugig: Der Neandertaler, ein Proto-Europäer
Erbgut im Menschen Wir sind Neandertalerin
Es gibt Gene, die nur von Männern an ihren männlichen Nachwuchs weitergegeben werden können: Es ist das Y-Chromosom, das sich nur in den männlichen Genen findet, das Männlein und Weiblein scheidet. Während Frauen ihre Gene dem Nachwuchs beider Geschlechter spendieren, werden Eigenschaften auf dem Y-Chromosom nur auf der männlichen Linie vererbt.
Bisher hatte niemand bemerkt, dass die Gene des modernen Europäers zwar 2,5 bis 4 Prozent Neandertaler-Erbe enthalten, aber keinerlei Erbgut aus dem Y-Chromosom. In uns stecken also nur weibliche Neandertaler-Gene.
Was das bedeutet, sei klar, schreibt ein internationales Forscherteam nun im "American Journal of Human Genetics": Es gab zwar Nachwuchs aus Verbindungen zwischen Neandertalern und modernen Menschen - aber darunter keinerlei Männer.
Prinzipiell wäre es denkbar, dass diese Spuren im Genom einmal vorhanden waren, aber im Laufe der Zeit zufällig verloren gingen, weil sich die Erbgutträger nicht fortpflanzten. Begegnungen zwischen Homo sapiens und neandertalensis fanden zwar statt, waren aber wohl selten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass weibliche Neandertaler-DNA mit unserer kompatibel war, männliche jedoch nicht: Genau dieser Möglichkeit spürten die Forscher gezielt nach.
Die These: Wenn das männliche Neandertaler-Genom etwas enthielt, was es inkompatibel mit unserer DNA gemacht hätte, hätte dies dazu führen können, dass Schwangerschaften mit Jungen nicht erfolgreich verliefen. Moderne Menschenfrauen hätten dann womöglich zwar Mädchen aus Mischbeziehungen gebären können, aber keine Jungen.

Älteste Neandertaler-DNA: 430.000 Jahre alt
Genau dafür fanden die Forscher um Fernando Mendez von der Universität Stanford Indizien. Unterschiede in den Genen auf modern-menschlichen und Neandertaler-Y-Chrosomen fanden sie im sogenannten Histokompatibilitätskomplex: Darunter versteht man Gene, die Zellen des Immunsystems codieren, damit diese körpereigenes Gewebe von Fremdgewebe unterscheiden können.
Man kennt das aus dem Bereich der Organtransplantationen: Wenn das Immunsystem ein Transplantat als körperfremd erkennt, beginnt es, sich dagegen zu wehren und es abzustoßen. Möglicherweise reagierte das Immunsystem von Homo-sapiens-Frauen genauso auf Föten, die das Neandertaler-Y-Chromosom trugen. Verbindungen von Mensch und Neandertaler wären somit nur dann fruchtbar gewesen, wenn dabei ein Mädchen gezeugt wurde. Männliche Föten hätten hingegen quasi einen Selbstzerstörungsmechanismus in Gang gesetzt - die Frau hätte das Kind schnell verloren.
Bisher ist das nur eine Hypothese, doch einiges spricht dafür: Es erklärt die seltsame Abwesenheit männlichen Neandertaler-Erbguts in unserem Genom. Zudem kommt es auch bei normalen Schwangerschaften zur Abstoßung männlicher Föten, wenn Inkompatibilitäten im Immunsystem vorliegen.
Unfruchtbare Hybride?
Bei zwei distinkten Arten wären solche Inkompatibilitäten nicht überraschend, sondern ab einem bestimmten Punkt sogar zu erwarten. Moderner Mensch und Neandertaler teilen eine Herkunft, hatten sich zum Zeitpunkt ihres Aufeinandertreffens aber schon gehörig auseinanderentwickelt. Distinkte, sich hinreichend unterscheidende Arten können miteinander keinen Nachwuchs zeugen. Eng verwandte Arten produzieren mitunter Hybride, die selbst aber unfruchtbar sind. Ein Beispiel dafür ist das Maultier - eine Kreuzung aus Pferd und Esel.
Mensch und Neandertaler waren sich offenbar noch nah genug, um miteinander fruchtbaren Nachwuchs zeugen zu können, aber schon so weit voneinander entfernt, dass dies nicht mehr ohne Einschränkungen und Komplikationen möglich war. Die Entdeckung der genetischen Inkompatibilität liefert also Informationen darüber, wie weit unsere Verwandtschaft miteinander ging.
Und möglicherweise auch darüber, wann genau der Prozess unser Trennung begann: Bisher war man davon ausgegangen, dass Homo sapiens und neandertalensis irgendwann im Zeitfenster von 400.000 bis zu 800.000 Jahren damit begannen, sich auseinanderzuentwickeln. Für das männliche Y-Chromosom lässt sich das weit genauer eingrenzen: Laut Mendez und seinen Co-Autoren lebte der letzte gemeinsame Vorfahr, dessen Y-Chromosom noch keine großen Unterschiede aufgewiesen hätte, vor rund 550.000 Jahren.