Mikroplastik durch Biomüll Sie, ja, Sie sind das Problem!

Sie haben eine Biotonne - wie schön. Doch wenn Sie darin aus Versehen Kunststoff entsorgen, landet Mikroplastik auf unseren Äckern. Eine neue Studie zeigt, wie groß das Problem ist.
Lebensmittelabfälle in einer Mülltonne (Archivbild)

Lebensmittelabfälle in einer Mülltonne (Archivbild)

Foto: Patrick Pleul/ dpa

Mal haben sie einen braunen Deckel, mal einen grünen. Seit dem Jahresanfang 2015 ist die getrennte Verwertung von organischem Abfall in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Und wer nicht selbst kompostiert, sollte dafür eben eine Biomülltonne am Haus stehen haben.

In den Tonnen werden wertvolle Rohstoffe für die Herstellung von Biogas und Düngemittel gesammelt. Mit ihrer Hilfe lässt sich Bioenergie erzeugen - ohne sinnlos Ackerflächen zum Beispiel für Mais-Monokulturen zu verschwenden. Auch Kunstdünger können Bauern durch Einsatz von Kompost einsparen. Außerdem lässt sich durch die getrennte Sammlung des Bioabfalls die Entstehung klimawirksamen Methans auf Mülldeponien vermeiden.

Soweit die Vorteile in der Theorie.

In der Praxis gibt es allerdings auch Nachteile. Und das hat damit zu tun, dass in den Tonnen neben Bioabfall freilich oft noch etwas anderes gesammelt wird, unabsichtlich gewissermaßen. Und zwar Plastik.

Da ist die vergammelte Gurke, die noch immer in ihrer Schutzhülle steckt. Oder der Küchenabfall, der dummerweise in eine Plastiktüte gepackt wurde. "Jeder, der mal in eine grüne oder braune Tonne hineingeschaut hat, kennt das Problem", sagt der Biologe Christian Laforsch von der Universität Bayreuth. Zusammen mit Kollegen, auch aus der Prozesstechnik, berichtet er im Fachmagazin "Science Advances"  nun davon, wie genau solches Material zur Quelle von Mikroplastik in Ökosystemen werden kann.

Die Forscher hatten sich in der Vergangenheit - wie viele Kollegen weltweit - mit der Belastung von Gewässern durch Mikroplastik befasst. Die Probleme hier sind mittlerweile gut dokumentiert - inklusive des Umstands, dass die kleinen Plastikteilchen höchstwahrscheinlich in verschiedenen Nahrungsketten nach oben wandern und auch von Menschen aufgenommen werden . Auch wenn es hier, wie die Biologin Chelsea Rochman von der University of Toronto gerade im Fachmagazin "Science"  beklagt, noch viel Forschungsbedarf gibt.

Selbst im Edelsalz Fleur de Sel wurden die Kunststoffpartikel zuletzt nachgewiesen. Was genau sie im menschlichen Körper anstellen, welche Gesundheitsschäden sie womöglich anrichten, das müssen Forscher im Detail noch herausfinden.

Klar ist, dass mindestens 80 Prozent des Mikroplastiks im Meer eigentlich vom Land stammen . Stellt sich also die Frage, wie die Partikel im Ozean landen. Seit in verschiedenen Flüssen und Seen große Mengen an Plastik nachgewiesen wurden, gibt es auch dazu erste - beunruhigende - Antworten. Bei der Frage, wie Mikroplastik in die Flüsse und Seen kommt, liefert die Arbeit von Laforsch und Kollegen nun weitere interessante Anhaltspunkte. Bekannt waren bisher zum Beispiel Belastungen im Klärschlamm durch Rückstände beim Waschen  oder den Abrieb von Reifen auf der Straße.

Die Bayreuther Forscher präsentieren nun einen weiteren wichtigen Weg für winzigen Plastikmüll: Große Mengen Plastik gelangen demnach auch über Biodünger in die Umwelt, der auf Äckern ausgebracht wird.

Laut Umweltbundesamt gibt es etwa 1.000 Kompostierungs- und 100 reine Bioabfallvergärungsanlagen in Deutschland. Etwa fünf Millionen Tonnen Kompost aus solchen Anlagen werden jedes Jahr in Deutschland hergestellt und auf landwirtschaftlichen Flächen verteilt.

"Organischer Müll enthält oftmals auch Plastik"

Und eigentlich, sagt Laforsch, ist das auch eine gute Idee: "Im Grundsatz ist es nachhaltig, aus organischem Abfall Dünger und Energie herzustellen." Das Problem ist nur: Wenn Haushaltsabfälle aus der Biotonne oder organische Abfälle aus der Industrie für die Düngerproduktion genutzt werden, sind diese häufig mit Plastik verunreinigt. Und die landet dann in der Landschaft, in Stückchen kleiner als fünf Millimeter.

Es muss gar nicht so ein Extremfall wie unlängst an der Schlei in Schleswig-Holstein sein. Dort hatte ein Klärwerk unerlaubt großformatige Plastikschnipsel in die Landschaft gepumpt, die aus geschreddertem Bioabfall stammten . Doch auch wenn die Anlagen ganz nach Plan funktionieren, gibt es das Plastik-Problem, so die Forscher. "Organischer Müll enthält oftmals auch Plastik", sagt Biologe Laforsch. Anlagenbetreiber sortieren und sieben Störstoffe zwar heraus, kleine Mikroplastikpartikel bleiben aber im Biomüll.

In Kompostproben fanden sich bis zu 895 Kunststoffpartikel pro Kilogramm Trockengewicht. "Die Belastung hat auch nichts mit der Anlage an sich zu tun, sondern damit, woher das dort verarbeitete Material stammt", erklärt Laforsch. Bioabfälle aus Haushalten und der Industrie sind demnach stark mit Plastik belastet.

Die meisten der Partikel im Haushaltsabfall bestehen aus Polystyrol oder aus Polyethylen, also aus klassischen Verpackungsmaterialien. Im Bioabfall professioneller Recyclingbetriebe, die etwa verdorbene Lebensmittel schreddern, findet sich wiederum oft Polyester von Behältern und Schutzmaterialien. In den Rückständen von Biogasanlagen, die allein mit nachwachsenden Rohstoffen oder Gülle arbeiten, wiesen die Forscher so gut wie kein Plastik nach.

"Es ist mit einem gewissen Aufwand möglich, Fremdkörper wie Kunststoffe, Metalle oder Glas bereits vor der Vergärung aus dem Gärgut auszusortieren. Besser wäre es natürlich, sie gar nicht erst in den Bioabfall zu werfen", erklärt die Prozesstechnikerin Ruth Freitag, eine Co-Autorin der Studie.

Die Bioabfallverordnung  erlaubt derzeit, dass beim Kompost 0,5 Prozent des Gesamtgewichts aus Fremdstoffen bestehen dürfen. Die Düngemittelverordnung  wiederum legt die Grenze speziell für Kunststoff auf 0,1 Prozent des Gesamtgewichts fest. Allerdings werden Partikel unter zwei Millimeter Durchmesser von den Regeln gar nicht erfasst. Wissenschaftler Laforsch findet das zu lax: "Da muss der Gesetzgeber ran."

Und jeder Einzelne von uns. Denn Plastik gehört nicht in die Biotonne. Auch keine vermeintlich biologisch abbaubaren Beutel. Denn je nach Material zersetzen die sich in Kompostierungsanlagen eben doch nicht - und sorgen damit für weiteren Müll im Kompost. Und dafür, dass das Mikroplastikproblem immer größer wird.

"Momentan sehen wir alle nur die Spitze des Eisbergs"

Forscher vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Freien Universität Berlin hatten kürzlich gewarnt , dass von den mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik, die jedes Jahr weltweit produziert werden, ein Drittel seinen Weg in Böden oder Binnengewässer findet - und terrestrische Ökosysteme auf der ganzen Welt dauerhaft negativ beeinflusst.

Wer den Umfang des Problems verstehen will, dem helfen nun auch die Zahlen aus Bayreuth. Die Forscher rechnen auf Basis ihrer Ergebnisse vor, dass jede Tonne Kompost aus Haushalts- und Industrieabfällen zwischen 7.000 und 440.000 Mikroplastikpartikel enthält. Umgerechnet auf die fünf Millionen Tonnen Kompost, die in Deutschland pro Jahr erzeugt werden, gelangen allein dadurch in Deutschland jedes Jahr mehrere Milliarden der kleinen Kunststoffpartikel in die Umwelt.

"Aktuelle Hinweise legen nahe, dass die Mikroplastikverschmutzung an Land und im Süßwasser ähnlich umfassend ist wie in der Umgebung des Meeres", warnt auch die kanadische Forscherin Chelsea Rochman. Und ihr deutscher Kollege Laforsch befürchtet: "Momentan sehen wir alle nur die Spitze des Eisbergs."

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