Milliardenmarkt Klimaschutz Wie Firmen mit dem Umweltsiegel abkassieren

Windräder in China (in der Inneren Mongolei, 2007): "Kritik am CDM ist oft berechtigt"
Foto: China Photos/ Getty ImagesEs war eine Papiermühle, die Rajesh Kumar Sethi strahlen ließ. Der Inder ist Chef des Verwaltungsrats zum "Clean Development Mechanism" (CDM) im Sekretariat der Uno-Klimarahmenkonvention in Bonn. Und weil eine Papierfabrik im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh einen energiesparenden Zellstoffkocher bauen will, um damit 34.000 Tonnen CO2 im Jahr einzusparen, hatte Sethi Mitte April allen Grund zur Freude.
Denn die indischen Papierkocher waren genau das 1000. Projekt, das von der Uno das begehrte CDM-Gütesiegel erhielt. Das Ganze funktioniert so: Wer in Entwicklungs- und Schwellenländern ein Klimaprojekt startet, kann sich das nach einem längeren Prüfverfahren, an dem auch der deutsche TÜV mitarbeitet, von der Weltorganisation mit dem CDM-Zeichen adeln lassen.
Anschließend darf der Projektentwickler seine zugewiesenen CO2-Verschmutzungsrechte auf dem internationalen Markt verkaufen - und zwar für genau so viel Treibhausgas wie durch das Klimaschutzprojekt eingespart wurde. Käufer sind Firmen in Industrieländern, die so ihre Klimaschutzverpflichtungen erreichen können, ohne selbst CO2 einsparen zu müssen.
Vorteile für Industrieländer
Das Verfahren wurde mit dem Klimaprotokoll von Kyoto eingeführt, um klimafreundliche Technik in die Entwicklungs- und Schwellenländer zu bringen. Es gibt allerdings eine höchst ungleiche Verteilung: Afrika ist kaum vertreten, gerade einmal zwei Prozent aller Projekte finden dort statt. Die meisten Vorhaben starten in boomenden Volkswirtschaften: Biomasse-Anlagen in Indonesien, Windparks in China, Wasserkraftwerke in Brasilien. Und genau das ist ein Problem, sagen die beiden US-Forscher Michael Warra und David Victor von der Stanford University .
Nach ihren Erkenntnissen wären viele der Projekte in den aufstrebenden Staaten auch ohne Unterstützung aus den Industriestaaten realisiert worden. Und das darf nicht passieren: Im Prinzip sollen nur solche Vorhaben das Uno-Siegel erhalten, die sonst nicht umgesetzt worden wären. Nur sie bringen reale CO2-Einsparungen.
Für die Entwicklungs- und Schwellenländer lohnen sich CDM-Projekte in jedem Fall, weil sie - Uno-Anerkennung vorausgesetzt - erstens Auslandsinvestitionen ankurbeln und zweitens für Extra-Einnahmen aus dem Verkauf der Verschmutzungsrechte sorgen. Auch für die Industrieländer bietet das Ganze wirtschaftliche Vorteile: Denn so lassen sich Klimaverpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll einfach umsetzen. Außerdem ist es für Firmen billiger, Emissionsgutschriften über Projekte im Ausland zu besorgen, als die eigenen Emissionen zu senken oder daheim Emissionszertifikate zu kaufen.
Bis zu zwei Drittel der Projekte ohne positive Klimawirkung
Doch längst nicht alle Projekte sind klimafreundlich: "Es sieht so aus, als würden zwischen einem und zwei Drittel der CDM-Projekte keine realen Emissionsminderungen bringen", sagt Forscher Victor. Zu einem krassen Fazit war auch ein Gutachten der US-Umweltschutzgruppe "International Rivers" gekommen. Deren Mitarbeiter hatten herausgefunden, dass drei Viertel aller registrierten CDM-Projekte zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung bei der Uno bereits fertiggestellt waren. Ein starker Hinweis darauf, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate nicht wie gefordert für die Realisierung des Projekts nötig gewesen wären. Auch in diesen Fällen gilt: Die positive Wirkung fürs Weltklima ist mehr als zweifelhaft.
Harald Fuhr, Professor für Internationale Politik an der Universität Potsdam, kennt solche Probleme: "Kritik am CDM ist oft berechtigt", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Das Instrument sei noch verhältnismäßig neu und habe "holprige Anfänge" hinter sich, durch die es zu "Lernkosten" komme.
An der Leipziger Strom- und Klimabörse kostet das Recht zum Ausstoß von einer Tonne CO2 derzeit gut 25 Euro . Nach Angaben von Greenpeace sind Verschmutzungsrechte aus CDM-Projekten oft für 5 bis 10 Euro zu haben. Gleichzeitig, so Greenpeace-Experte Karsten Smid im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, könnten die Firmen ihren Kunden einen CO2-Preis von 25 Euro je Tonne in Rechnung stellen - obwohl sie den gar nicht bezahlt hätten. So kalkulieren nicht alle Unternehmen, aber wer es tut, verdient gleich doppelt.
Das sei nicht das einzige Problem, fährt Smid fort. So könne zum Beispiel der Bau von neuen Kohlekraftwerken in Deutschland über den Zukauf von Verschmutzungsrechten aus CDM-Projekten im Ausland möglich gemacht werden. Doch diese Rechte könnten zum Beispiel aus dem Bau von neuen, leidlich energieeffizienten Kohlemeilern in Indien stammen. Kohlekraftwerke, um den Bau von Kohlekraftwerken zu ermöglichen - Klimaschutz klingt anders.
CDM mutiert auf diese Weise allzu oft zu einer Quersubvention auf Kosten des Weltklimas. Deutschland liegt bei den CDM-Investitionen weltweit an fünfter Stelle, Großbritannien an erster.
"Hausintern haben wir eine Durchfallquote von zehn Prozent"
CDM ist eine komplizierte Angelegenheit: Antragsteller, die scharf auf das Uno-Siegel sind, müssen nicht nur die Diplomaten dort überzeugen, sondern brauchen auch ein Prüfsiegel einer neutralen Organisation. Die Hälfte solcher Aufträge landet bei der norwegischen Firma Det Norske Veritas (DNV), immerhin ein Drittel beim TÜV Süd in Deutschland.
Dort sind rund 100 Mitarbeiter an den Prüfungen für Projekte in aller Welt beschäftigt, wie Abteilungsleiter Werner Betzenbichler im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE erklärt. Bei insgesamt 1000 Projekten hätten die TÜV-Experten mit der Prüfung begonnen, 250 bis 300 Verfahren seien abgeschlossen: "Hausintern haben wir eine Durchfallquote von zehn Prozent."
Die TÜV-Experten lassen sich unter anderem Belege zeigen, warum das Vorhaben nur mit zusätzlicher Förderung lukrativ wäre. "Wenn unplausible Angaben dabei sind, fällt ein Projekt schon mal durch", sagt Betzenbichler. 20 bis 30 Bearbeitungstage nehmen sich die TÜV-Mitarbeiter im Schnitt Zeit für eine Begutachtung. Sie fahnden auch in Firmenunterlagen, ob das Projekt von Anfang an auf eine Beteiligung am CDM ausgelegt war - oder nachträglich einen grünen Anstrich verpasst bekam, um das Geld aus dem Verkauf der Verschmutzungsrechte zu kassieren.
Das endgültige Urteil über eine Zulassung im CDM-Prozess fällt bei der Uno in Bonn. Yvo de Boer, Chef des Klimasekretariats, ist sauer über Nörgeleien am CDM: "Die Geschäftswelt kritisiert uns, weil wir viel zu streng sind, während sich NGOs oft genug darüber beklagen, dass wir nicht streng genug sind." Aber es gibt auch kritische Stimmen. So beklagte der Schweizer Martin Enderlin, einst selbst Mitglied des Uno-Gremiums, die Mitglieder - allesamt Regierungsvertreter - seien oft überfordert und würden immer wieder nach politischen Kriterien entscheiden .
Die Uno verweist darauf, dass das CDM-Verfahren höchst transparent ablaufe. Und in der Tat: Alle wichtigen Unterlagen werden auf der Uno-Website veröffentlicht. Hier lässt sich zum Beispiel nachlesen, dass eine Förderung des Koppal Green Power Biomassekraftwerks in Indien zum Jahreswechsel abgelehnt wurde - unter anderem weil das dortige Management erst nach Projektstart auf den CDM-Zug aufgesprungen war.
EU will CDM-Möglichkeiten begrenzen
"CDM wurde nicht als Allheilmittel geschaffen, um alle Treibhausgasemissionen zu reduzieren", sagt Uno-Chef-Klimadiplomat de Boer. "Aber es gibt keinen Zweifel, dass CDM und andere Elemente eines internationalen Marktes für Kohlendioxid zentrale Pfeiler des Klimaabkommens von Kopenhagen sein werden." Forscher Fuhr drückt es so aus: "Sie lernen nur für die Zukunft, wenn Sie irgendwann loslegen." Immerhin habe der CDM viele Schwellenländer überhaupt für Klimapolitik gewinnen können. Nun müssten die Klima-Instrumente nachjustiert werden.
Nach Schätzungen der Zertifizierer von Det Norske Veritas wurden durch CDM-Projekte bisher mehr als 135 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Und Uno-Diplomat Sethi verweist darauf, dass es bis zum Jahr 2012 fast 20-mal so viel sein könnten.
Die EU steht dem Werkzeug CDM trotzdem zurückhaltend gegenüber. Sie will am liebsten die CDM-Möglichkeiten begrenzen - aber nicht aus Angst vor dubiosen Projekten, sondern aus einem anderen Grund: Wer sich im Ausland klimatechnisch freikaufe, heißt es in Brüssel, der investiere im Zweifelsfall zu wenig in erneuerbare Energien zu Hause.