Mobiltelefone Streit um verstrahlte Spermien

Immer wieder werden Warnungen verbreitet, ein in der Tasche oder am Gürtel getragenes Handy könne Männer unfruchtbar machen. Wissenschaftler sind jedoch skeptisch. Hat die Strahlung tatsächlich negative Auswirkungen auf das Sperma?

Wenn sie sich nicht mehr rühren, sieht es düster aus mit dem geplanten Nachwuchs. Die Angst vor bewegungsunfähigen oder anderweitig kraftlosen Spermien treibt deutsche Männer um - und Wissenschaftler verkünden regelmäßig neue Hiobsbotschaften über abnehmende Spermaqualität. Unter den Kandidaten für die schlimmsten Fruchtbarkeitskiller wird dabei auch immer wieder das Handy genannt. Ein Mobiltelefon am Gürtel oder in der Hosentasche, so eine weit verbreitete Sorge, bremse die männlichen Samenzellen ab und fungiere so als strahlendes Verhütungsmittel.

Doch was ist wirklich dran an der bremsenden Wirkung der Handystrahlung? Einige Forscher warnen, ihre Ergebnisse deuteten darauf hin, dass ein in der Hosentasche getragenes Mobiltelefon die Beweglichkeit der Spermien - in der Fachsprache Motilität genannt - drastisch herabsetzen könne. Imre Fejes von der Universität Szeged in Ungarn etwa machte vor einigen Monaten durch einen Vortrag Furore, in dem er einen eindeutigen Zusammenhang zwischen matten Spermien und Handystrahlung herstellte.

Negativer Einfluss auf Spermabildung und Fruchtbarkeit?

221 Männer nahmen an Fejes' Studie teil. Sie mussten angeben, wie lange sie täglich ein eingeschaltetes Mobiltelefon bei sich trugen und wie viel sie damit telefonierten. Die Forscher fanden einen negativen Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer und der Spermaqualität: Wer oft ein Handy bei sich trug und viel telefonierte, hatte insgesamt weniger Spermien - und die verbliebenen bewegten sich im Schnitt langsamer als bei den Männern, die weniger telefonierten. "Der fortgesetzte Gebrauch von Mobiltelefonen könnte einen negativen Effekt auf die Spermatogenese und die männliche Fruchtbarkeit haben", folgerten Fejes und seine Kollegen. In einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurden die Ergebnisse bislang aber nicht - was andere Forscher skeptisch macht.

Zu einem ähnlichen Ergebnis wie die ungarischen Forscher kam auch Mehrdad Davoudi, Urologe im österreichischen Oberwart. Gemeinsam mit zwei Kollegen untersuchte er das Sperma von 13 gesunden männlichen Nichtrauchern - einmal nach einer fünftägigen Handy-Pause und einmal nach fünf Tagen mit einem Handy am Gürtel. Und wieder fanden sich nach den Mobiltelefon-Tagen weniger schnelle Spermien als nach den handyfreien Tagen. "GSM-Mobiltelefone haben bei intensivem Gebrauch Einfluss auf die Spermienmotilität", so die Folgerung von Davoudi und seiner Kollegen.

Davoudi formuliert auch eine Hypothese darüber, wie die Handystrahlung die Spermien bremsen könnte: "Es könnte sein, dass die Ionenkanäle in der Zellmembran durch die Strahlung beeinflusst werden", sagte er gegenüber SPIEGEL ONLINE. Denn die Geißelbewegungen des Spermienschwanzes basieren auf der Dehnung und Kontraktion von Proteinen, und die wiederum hängt maßgeblich davon ab, dass die Kalziumkanäle in den Zellwänden funktionieren. Eine Blockade dieser Kanäle könnte daher für bewegungsfaule Spermien sorgen.

"Das kann man nicht mit bloßem Auge sehen"

Direkt beobachten konnten die Mediziner aus Österreich diesen Effekt aber nicht: "Wir haben das mal unter dem Mikroskop ausprobiert", sagt Davoudi, "aber wenn überhaupt, ist dieser Prozess ein sehr langsamer, das kann man mit bloßem Auge nicht sehen."

Der Blick durchs Mikroskop ist immer noch der Königsweg, wenn es darum geht, die Beweglichkeit von Spermien zu beurteilen. Zwar gibt es automatisierte Verfahren, Kamera-Software-Kombinationen, die eine Spermaprobe auf Beweglichkeit hin untersuchen können. "Aber die sind sehr ungenau und werden deshalb kaum eingesetzt", erklärt Wolfgang Schulze, Androloge (Männerarzt) am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).

Also wird weiter durchs Mikroskop gelinst, die Spermien auf dem Objektträger werden nach Augenmaß in eine von vier Beweglichkeitskategorien eingeordnet. Dass ein solches Vorgehen fehleranfällig ist, liegt auf der Hand. "Es gibt kaum einen Parameter, der schlechter objektivierbar ist als Motilität", sagt Schulze. Selbst die Zählungsergebnisse von Experten unterschieden sich häufig massiv. Und auch Davoudi gibt zu: "Das ist keine hundertprozentige Methode."

Ungenaues Messverfahren

Weil das Messverfahren so ungenau ist, sind hieb- und stichfeste Schlussfolgerungen in diesem Bereich schwer zu bekommen. Auch die Ergebnisse von Fejes und Davoudi werden in der Gemeinde der Fertilitätsforscher skeptisch betrachtet. "Wenn die Spermatogenese so empfindlich wäre, wären wir schon längst ausgestorben", meint beispielsweise Schulze. Auch der holländische Fortpflanzungsmediziner Hans Evers, ein ehemaliger Präsident der Fachgesellschaft "European Society for Human Reproduction and Embryology", kritisierte die ungarische Studie. Wichtige Störfaktoren wie Alter, Lebensumstände und Angewohnheiten wie Rauchen seien nicht kontrolliert worden, das Ergebnis deshalb nicht aussagekräftig: "Was ist zum Beispiel, wenn starke Mobilfunk-Nutzer in Ungarn einfach ein stressigeres Leben führen?"

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das im Augenblick ein groß angelegtes Forschungsprojekt zu den Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung durchführt, kommentierte Fejes' Studie so: "Aus wissenschaftlicher Sicht kann diese Arbeit zurzeit nicht als (ernstzunehmender) Hinweis auf potentielle negative Auswirkungen der Handy-Strahlung auf die männliche Fruchtbarkeit gewertet werden."

In der Tat sprechen die meisten Ergebnisse eher gegen einen Spermien bremsenden Einfluss der tragbaren Telefone. In einer kontrollierten Studie, in der Ratten über zwei Wochen hinweg täglich einer Strahlungsdosis ausgesetzt wurden, fand man keinen Effekt. "Keine Belege für einen schädlichen Einfluss auf die Funktion oder Struktur der Hoden", vermeldeten die Forscher um Suleyman Dasdag von der Universität im türkischen Diyarbakir im Fachblatt "Bioelectromagnetics".

Fortpflanzungsmediziner Schulze ist überzeugt, dass es ganz andere Faktoren sind, die sich auf die Spermaqualität auswirken - etwa Alkohol und Nikotin. Bei beiden Substanzen gebe es nachweisbare Einflüsse auf die Schwangerschaftsraten von zeugungswilligen Paaren. "Selbst wenn da irgendwas dran sein sollte, dürfte ein Handy in der Hosentasche weniger ausmachen als fünf Zigaretten am Tag", so Schulze gegenüber SPIEGEL ONLINE.

Vieltelefonierer können also unbesorgt sein: Wenn's mit dem Nachwuchs nicht klappt, liegt das wahrscheinlich kaum am Handy. Die meisten Deutschen haben ohnehin wenig Angst vor den Taschentelefonen. Lediglich 41 Prozent der Nutzer sind "besorgt" oder "mäßig besorgt" über mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Mobilfunk, ergab eine Studie im Auftrag des BfS. Die Mehrheit fühlt sich wohl eher durch das ständige Gebimmel bedroht als durch die Strahlung.

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