
Musik: Motive aus der harten Wissenschaft
Songs über berühmte Experimente Lass es rocken, Pawlow
Hamburg - Wissenschaft in der Musik? Ein Experiment als Songthema? Das klingt reichlich exotisch. Und dennoch gab es diese seltsame Liaison. Auch wenn den meisten Kompositionen kein Chart-Erfolg vergönnt war, machten sie diesen Makel mit ihrem pädagogisch-didaktischen Anspruch wett.
So erfahren Punker, was Forscher so treiben (ja, es gibt tatsächlich Punksongs über Experimente!). Als kleine Hommage an diese verkannten Werke der Rockgeschichte, hier exklusiv die Experimente-Charts.
Platz eins: Schrödingers Katze
Mit weit über 30 Songs bei iTunes und mindestens drei Bandnamen steht ausgerechnet das unverständlichste Gedankenexperiment aller Zeiten an der Spitze dieser Hitparade. Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger wollte damit 1935 das seltsame Verhalten von kleinsten Teilchen, zum Beispiel von Elektronen, veranschaulichen. Diese können zwei Eigenschaften haben, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen.
Übertragen auf die makroskopische Welt hieße das etwa, sie rotieren gleichzeitig links- und rechtsherum. Allerdings können sie einen solchen überlagerten Zustand nur einnehmen, wenn man sie komplett in Ruhe lässt, sie also von keinem anderen Teilchen gestört werden. Deshalb ist jede Messung dieser Überlagerung zum Scheitern verurteilt, denn ohne irgendwie mit dem Elektron zu interagieren, ist die Messung unmöglich.
Schrödinger wollte dieses Quantenphänomen mit einem Gedankenexperiment erhellen. Er stellte sich vor, eine Katze in eine Kiste mit einer komplizierten, mittels radioaktivem Zerfall gesteuerten Apparatur zu stecken, die die Katze mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent tötet. Solange man nicht in die Kiste hineinschaue (also keine Messung mache), so Schrödinger, sei die Katze gleichzeitig tot und lebendig.
Schrödinger wusste natürlich, dass es solche Katzen nicht gab, er versuchte bloß, ein quantenmechanisches Phänomen in die Welt vertrauter Objekte zu transferieren. Doch weil sich dieses Phänomen unserem Vorstellungsvermögen grundsätzlich entzieht, ergeht es dem Gedankenexperiment nicht besser. Schrödinger wollte erklären, was nicht erklärt werden kann.
Immerhin hat er Generationen von Musikern etwas zum Grübeln gegeben. Bands wie Schrödinger's Other Cat oder Daniel Dexter & Schrödingers Katze tingeln durch die Lande und singen von "Schrödinger's Pregnant Cat", "Schrödinger's Wolverine" ("Schödinger's Vielfrass", Songs bei NHIC Records anhören ) und auch mal von "Schrödinger's Dog".
Platz zwei: Pawlows Hund
Auch auf Platz zwei dieser Hitparade steht ein Tier. Die Experimente, die der russische Mediziner Iwan Petrowitsch Pawlow 1902 mit Hunden unternahm, sind Namensgeber von über 25 Songs und mindestens vier Bands. Und weil es "Schrödingers Dog" gibt, heißt eine dieser Gruppen natürlich Pavlovs Cat - Wissenschaftler mögen Symmetrien (Songs bei Soundcloud anhören ).
Dass langhaarige Nonkonformisten mit lauten Gitarren Pawlows Versuche anregend finden, ist keine Überraschung. Die Hunde, bei denen immer wieder vor dem Fressen mit einer Glocke geklingelt wurde, bis das bloße Klingeln (ohne Fütterung) ihren Speichel fließen ließ, wurden zum Symbol für eine Gesellschaft von Angepassten, die sich von Werbung zum Konsum konditionieren lässt. Inzwischen weiß man: Selbst Kakerlaken sabbern auf Kommando.
Platz drei: das Floß "Kontiki"
Der einzige Song über ein Experiment, der es je an die Spitze der Hitparade brachte, ist "Kontiki" von den Shadows. Er stieß 1961 auf Platz eins der britischen Charts vor. Wer allerdings hofft, dass dadurch bildungsfernen Schichten die Wissenschaft nähergebracht worden wäre, täuscht sich: "Kontiki" ist ein Gitarren-Instrumental, das sich bloß den Titel vom Floß aus Balsaholz auslieh, mit dem der norwegische Abenteurer Thor Heyerdahl 1947 über den Pazifik segelte.
Heyerdahl wollte mit diesem Experiment belegen, dass die polynesischen Inseln von Südamerika aus besiedelt worden waren. Obwohl seine Fahrt ein Erfolg war, gilt diese Theorie heute als widerlegt. Umso erfolgreicher war der Song der Shadows, den es heute auf iTunes in über 90 Cover-Versionen gibt. In mehr als 20 etwas erfolgloseren "Kontiki"-Songs wird das Abenteuer auch besungen. 1980 zum Beispiel von der deutschen Schlagerband Dschingis Khan, die - wie jeder überprüfen kann - ihren Bildungsauftrag ernster nahm als die Shadows:
Thor Thor Heyerdahl
Männer auf Balken, die gerade noch halten,
Treiben im Ozean umher.
…
Kontiki, Kontiki Abenteuerfloß
Kontiki, Kontiki wohin treibst du bloß?
…
Doch alle hoffen, vielleicht in zwei Wochen,
Landen sie an einem Strand.
Und dann hätten sie alle bewiesen,
Was sein Forschergeist immer geahnt.
Dass vor 5000 Jahren mit Flößen,
Einen Weg übers Meer man schon fand.
…
Platz vier: das Milgram-Experiment
Dieses Experiment hat sich einer der großen Rockstars vorgenommen. Im Song "We Do What We're Told (Milgram's 37)" verarbeitet Peter Gabriel das berühmte Experiment des Sozialpsychologen Stanley Milgram aus dem Jahr 1962. Milgram zeigte, dass die meisten Menschen auf erschreckende Weise zur Gehorsamkeit neigen: In seinem Experiment versetzten die meisten Versuchsteilnehmer einem anderen Menschen lebensbedrohende Elektroschocks, bloß weil ein Forscher ihnen das befahl (das Opfer war eingeweiht und wurde nicht wirklich elektrisiert).
Was die Zahl "37" im Titel von Gabriels Song zu bedeuten hat, ist bis heute umstritten. Gabriel soll gesagt haben, dass er die 37 Prozent gemeint habe, die dem Befehl widerstanden hätten. Bloß: Es waren nicht 37 Prozent sondern 35. Gabriel bat Milgram um Erlaubnis, Aufnahmen des Experiments in Musikvideos und auf der Bühne zeigen zu dürfen, doch dieser lehnte ab.
Mindestens zehn weitere Bands benutzten das Experiment als Vorlage für ihre Songs. Unter ihnen die französische Punkband Milgram, deren Album "Vierhundertfünzig Volt" sich auf die höchste Spannung am Elektroschockgenerator bezieht. Wie es sich für eine Punkband gehört, ist der Albumtitel falsch geschrieben.
Im nächsten Text der Reihe über verrückte Experimente wird es um Missgeschicke und Komplikationen gehen, mit denen Forscher zu kämpfen hatten - zum Beispiel um Wale, die nicht untergehen wollten, und Versuchspersonen, die aus dem Labor flüchteten. Lesen Sie im vorherigen Teil alles über die verrücktesten Studienorte.