Neu verlegte Nerven Künstliche Hand greift und fühlt
Washington - Claudia Mitchell war erst 24, als sie mit dem Motorrad verunglückte. Die tragische Folge: Ihr linker Arm musste entfernt werden. Doch jetzt gibt es wieder Hoffnung für die inzwischen 27-Jährige und zahlreiche andere Menschen, die Gliedmaßen verloren haben - darunter allein in den USA und Großbritannien Tausende Soldaten, die im Irak-Krieg verstümmelt wurden. US-Forscher haben bei Mitchell und einem 54-jährigen die Nerven so umoperiert, dass die Empfindungen der verlorenen Hände auf der Brusthaut spürbar wurden.
Zwar gibt es inzwischen funktionierende mechanische Hände, doch sie liefern ihren Besitzern praktisch keine Rückmeldung darüber, wie stark die Kunsthand zupackt, geschweige denn wie sich das angefasste Objekt anfühlt. Die Methode, die ein Team um Todd Kuiken vom Rehabilitation Institute of Chicago jetzt umgesetzt hat, könnte das ändern. Die Forscher dirigierten die durchtrennten Nerven in eine etwa handgroße Hautregion oberhalb der Brust des Mannes und der jungen Frau um. Dort wurden Hand- und Hautnerven miteinander verbunden. Anschließend spürten die Patienten Kontakte in dieser Hautregion so, als ob sie an der amputierten Hand berührt worden wären, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences".
Die beiden Probanden reagierten demnach auf Berührung, Temperatur und Schmerz. Sie empfanden etwa Hitze fast genauso stark wie andere Menschen. Die Forscher verbanden auch die Nerven, die zuvor die Muskeln in der Hand kontrollierten, mit Muskeln im Brustbereich. Wenn die Patienten an eine Handbewegung dachten, stimulierten die neu verlegten Nerven die Brustmuskeln.
Prothese gibt Rückmeldung
Das wiederum eröffnete die Möglichkeit, eine Prothese zu steuern: Sensoren auf der Haut registrierten die Bewegungen der Brustmuskeln. Die Patienten waren damit in der Lage, eine Prothese zu bewegen. Sensoren in der Prothese schickten Signale an Geräte zurück, die Druck auf die Brusthaut ausübten. Die Patienten konnten ihre Prothese spüren - beinahe so, als sei sie eine echte Hand. "Das Elegante daran ist, dass wir Berührungsempfindungen über die normalen Nervenbahnen schicken", erklärte Paul Marasco, einer der Autoren der Studie, der britischen Zeitung "The Guardian".
Der Neurophysiologe ist überzeugt davon, dass die Methode schnell ihren Weg in die Massenproduktion finden wird: Schon in zwei bis vier Jahren, sagte Marasco, dürften fühlende Prothesen "weithin verfügbar" sein.
Bemerkenswert sei auch, dass Nerven, die mehr als ein Jahr nicht mehr benutzt worden seien, noch immer Signale übertragen können, wenn sie mit neuem Gewebe verbunden werden. Die Wissenschaftler haben in langen Tests winzige Bereiche der Haut gereizt und damit eine Art Karte aufgenommen. Einzelne Punkte darauf lassen sich einzelnen Fingern zuordnen; andere Punkte vermitteln das Gefühl, dass die ganze Seite der nicht mehr vorhandenen Hand berührt wird.
Ähnliche Experimente in Wien
Die Forschergruppe weist aber auch darauf hin, dass die beiden Patienten unterschiedliche Gefühle hatten, die Operationen also von Mal zu Mal verschiedene Resultate hatten. Auch sei nicht klar, ob und wenn ja wie sich die Empfindungen mit der Zeit änderten.
Bereits vor einem Jahr hatten Wiener Experten eine voll funktionsfähige gedankengesteuerte Armprothese im Einsatz bei einem Menschen vorgestellt. Die in Zusammenarbeit mit US-Wissenschaftlern entwickelte Prothese ermöglicht es, vielfältige Bewegungen auszuführen, die der Patient gedanklich über Sensoren steuert, die mit Muskeln und Nervenenden in seinem Körper verbunden sind. Das neue Gerät wurde von einem 20-jährigen Österreicher demonstriert, der bei einem Unfall 2005 beide Arme verloren hatte. Auch in den USA gibt es bereits mindestens sechs Patienten mit einer ähnlichen Prothese. Allerdings ist sie nur für Patienten geeignet, deren Armamputation noch nicht allzu lange zurückliegt.
mbe/dpa