Neue Studie Experten bestreiten Gefahr iranischer Atomraketen

Iran hat nach eigenen Angaben erneut erfolgreich eine Mittelstreckenrakete getestet - und könnte laut einer neuen Studie schon in einem Jahr eine Atombombe besitzen. Eine Bedrohung Europas durch iranische Nuklearraketen sehen die Experten allerdings nicht.

Semnan - Auf den ersten Blick scheint die Bedrohung durch iranische Atomraketen erneut gewachsen zu sein: Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat erneut den erfolgreichen Test einer Rakete mit fast 2000 Kilometern Reichweite verkündet. Die zweistufige Rakete des Typs Sedschil-2 sei wie geplant am vorgesehenen Zielort eingeschlagen, sagte Ahmadinedschad am Mittwoch bei einer Ansprache im nordiranischen Semnan.

Damit wären sowohl Israel und sogar das östliche Europa in Reichweite der Rakete vom Typ Sedschil-2. Prompt sagte der israelische Vize-Außenminister Danny Ajalon im Militärrundfunk, die Reichweite der iranischen Raketen "sollte die Europäer beunruhigen".

Wie maßgeschneidert schien dazu eine neue Studie des EastWest Institute  zu passen, die am Dienstag in New York präsentiert wurde. Sechs russische und sechs US-Wissenschaftler seien darin zu der Einschätzung gekommen, dass Iran in einem bis drei Jahren einen einfachen Atomsprengsatz produzieren könnte. Zudem warnten die Fachleute, dass das geplante amerikanische Raketenabwehrsystem in Europa prinzipiell keinen Schutz vor den Raketen der Mullahs bieten würde.

Bei näherer Betrachtung allerdings sieht die Lage weniger bedrohlich aus - denn im Grunde hat sich nichts Neues getan. Die Rakete vom Typ Sedschil-2 wurde bereits im November 2008 getestet. Dass Ahmadinedschad nun erneut mit einem Raketenstart geprahlt hat, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass er sich in drei Wochen der Präsidentschaftswahl stellen muss.

Zudem betonen die Experten des EastWest Institute, dass Iran erst in "vielleicht sechs bis acht Jahren" eine Rakete entwickeln könnte, die einen 1000 Kilogramm schweren Sprengkopf bis zu 2000 Kilometer weit tragen könnte. Eine enorme technische Herausforderung wäre es auch, einen nuklearen Sprengsatz so weit zu miniaturisieren, dass er auf eine Mittelstreckenrakete passt.

Wann Iran eine größere Interkontinentalrakete bauen könnte, sei derzeit völlig unmöglich zu sagen, erklärten die Experten. Ohne Hilfe von außen könnten es noch mindestens zehn bis 15 Jahre sein. Es gebe auch noch keine Hinweise, dass der Iran dies überhaupt vorhabe.

Die derzeit verfügbaren iranischen Raketen basierten auf recht einfacher nordkoreanischer Technik, die ihrerseits von russischen U-Boot-Raketen der fünfziger Jahre abgeleitet sei. "Wir glauben, dass diese Komponenten in den achtziger und neunziger Jahren illegal nach Nordkorea gelangt sind, als in Russland politisches und wirtschaftliches Chaos herrschte", heißt es in der Studie. Die Raketen Irans seien deshalb mit grundsätzlichen Schwächen behaftet, die dem Alter der zugrunde liegenden Technologie geschuldet sind. Zudem mangele es dem Land an Forschungseinrichtungen, Industrieanlagen, Wissenschaftlern und Ingenieuren, die für "substantielle Verbesserungen" notwendig wären.

Auch die prinzipiellen Zweifel, ob ein Abwehrsystem gegen ballistische Raketen jemals zuverlässig funktionieren kann, sind nicht neu. Viele Experten sind der Ansicht, dass der Angreifer mit relativ einfachen Mitteln jedes noch so ausgefeilte Abfangsystem überwinden könnte - etwa indem er seine Atomsprengköpfe gemeinsam mit einer immens großen Zahl von Attrappen abfeuert.

Die Einrichtung eines Abwehrsystems in Polen und Tschechien sei deshalb nicht sinnvoll, so die Experten. Dafür haben sie noch ein weiteres, gewichtigeres Argument: Sollte Iran jemals eine Atomrakete auf Israel oder Europa abschießen, sei dem Land die Vernichtung durch einen nuklearen Gegenschlag sicher. "Eine unmittelbare Bedrohung Europas durch iranische Raketen", so das Fazit der Experten, "ist deshalb nicht gegeben."

Bis Februar 2009 könnte Iran dem Bericht zufolge 1010 Kilogramm schwach angereichertes Uran produziert haben, das offiziell für Atombrennstäbe verwendet werden soll. Daraus könne aber auch hoch angereichertes Uran für einen Atomsprengsatz gewonnen werden. Dieses Material könne aber nur produziert werden, wenn die Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nicht mehr anwesend wären, heißt es weiter. Die Ergebnisse seien im Februar dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, General James Jones, und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow vorgelegt worden.

Die iranische Regierung selbst bestreitet, ein Atomwaffenprogramm zu betreiben. Allerdings wird Iran international dafür kritisiert, die Fragen zu den möglichen militärischen Dimensionen des Programms bisher nicht ausreichend beantwortet zu haben.

Mit Material von AFP und AP

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