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Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Susanne Götze

SPIEGEL-Klimabericht Wie Saudi-Arabien den IPCC-Report verwässerte

Susanne Götze
Von Susanne Götze, Redakteurin Wissenschaft
Der dritte Teil des Weltklimaberichts zeigt der Welt den Ausweg aus der Klimakrise. Viele Regierungen – auch in Europa – halten aber an fossilen Energien fest und bauen sie sogar aus.

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Reaktionen auf den am Montag veröffentlichen dritten Teil  des Weltklimaberichts zeigen, dass wir wirklich in verrückten Zeiten leben. Es ist nun amtlich, dass die Erde die jährlichen CO2-Emissionen bis 2030 um rund die Hälfte reduzieren muss, um das wichtige Limit von unter 1,5 Grad Erwärmung zu halten. Es ist auch eindeutig, dass wir nur noch ein bestimmtes CO2-Budget und wenige Jahre haben, bis dieses erschöpft ist. Allein die bisher bestehenden Gasleitungen, Ölfördertürme und Kohlegruben könnten dieses Restbudget recht schnell aufbrauchen.

Deshalb ist die zentrale Erkenntnis des 2900-Seiten-Berichtes: Es geht nur mit einem Ausstieg aus der fossilen Energieverbrennung und dem schnellen Einstieg in alternative Energiequellen. Wie die mittlerweile berühmte Grafik des Berichts – SPM7 – zeigt (siehe Tweet), sind Wind- und Solarenergie mit Abstand die günstigsten Klimaschutz-Lösungen und auch die mit dem höchsten Potenzial.

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Nach diesem Befund ist es also schwer verständlich, dass einen Tag später hunderte EU-Parlamentarier unter Führung der Konservativen für die Unterstützung neuer Erdgasleitungen  stimmen – und zwar nicht irgendwelcher, sondern unter anderem der bisher längsten Gasleitung Europas – und der tiefsten Unterwasserleitung der Welt (drei Kilometer). Die »EastMed« oder auch östliche Mittelmeerpipeline soll Zypern und Kreta direkt mit dem griechischen Festland verbinden. »Wir nehmen den Klimanotstand einfach nicht ernst«, schimpfte der Europaabgeordnete Michael Bloss nach der Abstimmung.

Ja, es ist Krieg und wir brauchen europäische Unabhängigkeit. Doch braucht Europa deshalb wirklich neue Gaspipelines, wenn es im IPCC-Bericht heißt, dass der Gasverbrauch eigentlich in weniger als 30 Jahren um 70 Prozent (!) reduziert werden müsste? Wie wäre es mit Mega-Windparks vor Zypern?

Hingegen fanden hochrangige Diplomaten – die Betonung liegt auf: Diplomaten – ungewöhnlich harte Worte: Nach der Veröffentlichung des IPCC-Berichts warf der Uno-Generalsekretär António Guterres einigen Regierungen und Unternehmen »Lügen« über ihr Klimaschutz-Engagement vor. Der neue IPCC-Bericht sei ein »Katalog der leeren Versprechungen«. Wow. Solche klaren Ansagen hätte man sonst von Fridays for Future erwartet. Aber vom Uno-Chef?

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Ein Rettungsversuch für das Öl

Und damit nicht genug. Durchaus kontrovers ging es auch bei der Abschlussdiskussion über den Weltklimabericht zu – es war angeblich die historisch längste in der Geschichte des IPCC. In einer 40-stündigen Marathonsitzung diskutierten Wissenschaftler und Regierungsvertreter über die »Zusammenfassung für politischen Entscheidungsträger«  (Summary for Policymakers). Bei der Langfassung des Berichts, also dem Original, haben Regierungen selbstverständlich keinerlei Mitspracherecht, da entscheidet allein die wissenschaftliche Evidenz. Bei der Zusammenfassung für Entscheidungsträger kurioserweise aber schon – was Klimajournalisten weltweit am Montag auf eine harte Geduldsprobe stellte.

Denn die Presse ist von diesen Verhandlungen über die Summary ausgeschlossen und die finalen Dokumente bekommen Medienvertreter erst in letzter Minute. Ich musste mich am Wochenende deshalb mit einigen Autorengesprächen und einer Vorabversion, einem Leak von vor ein paar Wochen, begnügen.

Als ich am Montagmittag dann endlich die finale Fassung las, staunte ich nicht schlecht: Die Summary wurde an einigen Stellen abgeschwächt. Ein Beispiel:

  • Umstrittene CO2-Vermeidungs- und Speichertechnologien
    Hier ging es um die Bewertung von bestimmten Techniken zur CO2-Vermeidung. Im (alten) Leak stand dazu: »Der Ausbau und die weltweite Verbreitung von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS), Atomenergie und Kohlendioxidabscheidung (CDR) sind nicht so schnell vorangekommen wie erwartet.« Grund dafür seien wirtschaftliche »Barrieren, institutionelle Herausforderungen und Bedenken der Öffentlichkeit hinsichtlich Sicherheit und Nachhaltigkeit.«

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Klingt erst mal logisch. Denn tatsächlich spielen alle drei »Klimaschutz-Lösungen« bisher kaum eine Rolle. Zum Beispiel CCS: Das ist die Abkürzung für Carbon Capture and Storage  und bezeichnet die Technologie, bei der CO₂ aus einer Produktionsanlage abgeschieden, verflüssigt und schließlich im Untergrund gespeichert werden kann. Das testen Unternehmen derzeit in Pilotanlagen , etwa bei Zementwerken.

Der Vorteil: Mit CCS können nicht vermeidbare Emissionen wie bei der Zementproduktion einfach abgeschieden werden. Dadurch kann die Produktion mit viel Aufwand sogar CO2-neutral werden. Der Nachteil: Es ist kostspielig und oftmals gab es Widerstand in der Bevölkerung, weil niemand ein CO2-Endlager unter der Erde in seiner Nähe will. Außerdem stehen Ölkonzerne (und Regierungen wie Norwegen und Saudi-Arabien) im Verdacht, die Technologie nutzen zu wollen, um auch künftig weiter fleißig Öl fördern und verkaufen zu können.

Letzteres scheint der Fall zu sein. Denn in der neuen Fassung steht nun, dass CCS es »ermöglichen könnte«, fossile Energien länger zu nutzen und »stranded assets« (gestrandete Vermögenswerte) zu vermeiden. Die weltweite CO2-Speicherkapazität unter Tage wird mit 1000 Gigatonnen CO₂ angegeben, »was mehr ist als der CO2-Speicherbedarf bis zum Jahr 2100, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen«. Zwar gebe es Hindernisse, so heißt es nun, aber »günstige Rahmenbedingungen« könnten diese abbauen. Auch interessant: Die Atomenergie wird am Ende gar nicht mehr erwähnt.

Saudi-Arabien schwächt Paragraf über den Ausstieg aus fossilen Energien ab

Wie konnte es so weit kommen? Zwar sind die Schlussverhandlungen nicht öffentlich. Dennoch ist recht eindeutig, dass Länder für ihre Interessen lobbyiert haben. Nachzulesen ist die gesamte Debatte mittlerweile im Earth Negociation Bulletin (ENB) , das sämtliche Uno-Verhandlungen aus der Nähe verfolgt.

Anscheinend setzte sich Saudi-Arabien als einer der größten Ölproduzenten- und Exporteure der Welt für die positive Darstellung der CCS-Technologie ein und schwächte auch den Absatz zum Ausstieg aus fossilen Energien ab. Während es vorher hieß, dass die Welt eine »substanzielle Reduktion fossiler Energien« braucht (alter Leak), heißt es nun nur noch, dass man von fossilen Brennstoffen auf kohlenstoffarme Energiequellen oder auf fossile Brennstoffe mit CCS umsteigen sollte.

Solche Unterschiede sind fein aber politisch brisant: Trotzdem die CCS-Technik nur in wenigen Industrieanlagen der Welt im Pilotstadium betrieben wird und, wie zuvor erwähnt, kostenintensiv ist (mindestens 100 Euro die Tonne CO₂), wird sie nun als ernsthafte Alternative aufgeführt. Im worst-case haben Staaten nun die Möglichkeit auf CCS zu verweisen, um ein »Weiterso« ihrer Ölförderung zu legitimieren. Außerdem fließen auch in der EU bereits jetzt Millionen Steuergelder in solche Testprojekte . Dank solcher Formulierungen könnten künftig noch mehr CCS-Projekte staatlich gefördert werden – und so fließt weniger Geld in andere Klimaschutzmaßnahmen.

Die Diskussion um CCS war laut dem Protokoll von ENB insgesamt recht lang – und es beteiligten sich auch andere Länder. So waren Frankreich, Deutschland und Mexiko dafür, die Referenz für CCS zu streichen, weil die Technologie nicht reif sei. Die Niederlande – wo es bereits solche Pilotanlagen im Bau sind – waren hingegen eher auf der Seite von Saudi-Arabien.

CCS mag für einige Industriezweige auch sinnvoll sein. Aber als echte Klimalösung kann die Technologie einfach nicht gelten. Wer den Bericht aber richtig liest, erkennt, dass die Potenziale dieser Technologie minimal sind und dass es für alle Länder billiger und risikoärmer ist, auf Wind und Sonne zu setzen (siehe Grafik im Tweet).

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In einer vorherigen Fassung hieß es, dass der Abschnitt B.3 zum Thema Klimagerechtigkeit abgeschwächt worden sei. Allerdings ist die Information, dass die reichen zehn Prozent bis zu 45 Prozent der globalen Emissionen verantworten nur in einen untergeordneten Paragrafen gerutscht, wurde aber nicht gestrichen.

Foto: Xinhua / IMAGO

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Ihre Susanne Götze

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