Neues Darmvirus entdeckt  In jedem zweiten Menschen und doch unbekannt

Es wurde zufällig entdeckt - doch das Virus, das Forscher nun nachgewiesen haben, ist offenbar so alt wie der Mensch selbst. Die neuen Erkenntnisse sollen eines Tages helfen, Krankheiten wie Diabetes und Übergewicht zu behandeln.
Unbekanntes Virus im Darm (CT-Aufnahme): "Es ist sehr seltsam, dass es so lange unter dem Radar blieb"

Unbekanntes Virus im Darm (CT-Aufnahme): "Es ist sehr seltsam, dass es so lange unter dem Radar blieb"

Foto: Corbis

Die Hälfte der Weltbevölkerung trägt das Virus anscheinend - entdeckt wurde es aber erst jetzt. Das crAssphage genannte Virus infiziere offenbar bestimmte Darmbakterien, berichtet ein Team um Bas Dutilh von der Radboud Universitätsklinik Nijmegen (Niederlande) und Robert Edwards von der San Diego State University (US-Bundesstaat Kalifornien) in der Zeitschrift "Nature Communications"  . Die Entdeckung zeigt vor allem, wie wenig man über das menschliche Mikrobiom - die den Menschen besiedelnden Mikroorganismen - weiß.

Viren, die Bakterien befallen - sogenannte Bakteriophagen - können das Erbgut von Bakterien und damit deren Fähigkeiten verändern oder sie abtöten. Forscher hoffen, mit neuen Erkenntnissen die Behandlung von Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Asthma und starkem Übergewicht zu verbessern. Es ist aus vielen Studien bekannt, dass die Darmflora für das Risiko und den Verlauf der Krankheiten eine wichtige Rolle spielen kann.

Auf die Spur des nun entdeckten Virus kamen die Wissenschaftler eher zufällig, als sie Stuhlproben von zunächst zwölf Menschen - vier eineiige weibliche Zwillingspaare und deren Mütter - auf Erbgut von Viren untersuchten. Dabei fiel ihnen eine Anhäufung von Virus-DNA auf, die 97.000 Basenpaare umfasste und die alle Untersuchten gemeinsam hatten.

Hälfte der Menschen hat es

Ein Abgleich mit Verzeichnissen bekannter Viren lieferte keinen Treffer. Allerdings fanden sich die Erbgutfolgen reichlich in Datenbanken, unter anderem des Human Microbiome Project (HMP) der US-Gesundheitsbehörde (NIH). 99,9 Prozent der gefundenen Erbgutsequenzen stammten von Proben aus dem menschlichen Darm.

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Insgesamt trage etwa die Hälfte aller Menschen das Virus, glauben die Forscher. "Wir haben es mehr oder weniger in jeder Population gefunden, die wir uns angeschaut haben", wird Edwards in einer Pressemitteilung seiner Universität zitiert. "Soweit wir das beurteilen können, ist es so alt wie die Menschheit."

Wegen der speziellen Virusproteine vermuten die Forscher, dass crAssphage zu den Bakteriophagen zählt. Vermutlich besiedele es Darmbakterien aus der Gruppe der Bacteroidetes. Diese werden mit Übergewicht und Diabetes in Zusammenhang gebracht. Ob und wie das Virus dazu beitrage, müsse nun untersucht werden.

Grundsätzlich zeige die Studie, dass selbst weit verbreitete Darmbewohner noch unbekannt sein können, betonen die Autoren. "Es ist nicht ungewöhnlich, ein neues Virus zu suchen und zu finden", meint Edwards. "Aber es ist sehr ungewöhnlich, eins zu finden, das so viele Menschen gemeinsam haben. Es ist sehr seltsam, dass es so lange unter dem Radar blieb."

nik/dpa
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