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Forschungsprojekt PathoMap: Unsichtbare Fahrgäste im Untergrund

Foto: SPENCER PLATT/ AFP

Bio-Inventur in New York Mikroben fahren U-Bahn

Mit der New Yorker U-Bahn fahren täglich Millionen Menschen - aber sie sind klar in der Unterzahl. Forscher haben Waggons, Drehkreuze, Türgriffe und Sitze untersucht und kartiert, wo welche Bakterien und Viren mitreisen.

Gehören Sie zu den Menschen, die mit der U-Bahn oder dem Bus fahren und sich von Bakterien, Viren oder andere Mikroben umzingelt fühlen? Würden Sie lieber jeden Haltegriff mit einem Hygienetuch abwischen, bevor sie diesen ergreifen - man weiß ja nie, wer ihn zuvor angefasst hat?

Für die New Yorker Subway lässt sich diese Frage nun genauer beantworten: Forscher haben einen Mikroben-Atlas veröffentlicht. Er zeigt, welche Bakterien, Viren und auch Spuren menschlicher DNA sie in den 466 Stationen der New Yorker U-Bahn fanden. Die Daten des Projekts PathoMap  sind komplett im Fachmagazin "Cell Systems" veröffentlicht.

Seine Furcht vor Mikroben hatte Christopher Mason zu der Untersuchung bewegt. Der Genetiker, stolzer Vater eines kleinen Mädchens, tat sich schwer damit, dass seine Tochter alles, was ihr auf ihren kindlichen Entdeckungstouren begegnete, einfach in den Mund steckte. "Ich dachte ständig: Um Gottes willen!", erzählt Mason SPIEGEL ONLINE. Was wohl alles auf diesen fremden Dingen haftet? Er beschloss, dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Er wählte dafür eine Umgebung, in der es von Bakterien und anderen (Kleinst-)Lebewesen nur so wimmeln dürfte: die New Yorker U-Bahn.

PathoMap für New York: Die Daten zeigen für jede U-Bahn-Station, welche menschliche DNA ermittelt wurde und die jeweilige Verteilung über die Stadt

PathoMap für New York: Die Daten zeigen für jede U-Bahn-Station, welche menschliche DNA ermittelt wurde und die jeweilige Verteilung über die Stadt

Foto: Afshinnekoo et al./ Cell Systems 2015

17 Monate zog Manson mit einer Gruppe seiner Studenten von der Weill Cornell Medical School durch jede einzelne Station, per Nylontupfer nahmen sie ihre Proben. Die Ergebnisse wurden etikettiert und direkt an eine eigens eingerichtete Datenbank übermittelt. Nach Abschluss der Feldphase folgten Monate aufwendiger Analysen.

Stationen und Wagen der Subway, mit rund fünf Millionen Passagieren täglich eines der größten Transportsysteme der Welt, sind voll mit Spuren menschlichen Erbguts und allerlei Mikroben. Rund die Hälfte konnten die Forscher keinem existierenden Lebewesen zuordnen. Aber, gute Nachricht - nicht nur für Forscher und Familienvater Mason: Wirklich krank macht das, was an Türen, Sitzen, Griffen, Drehkreuzen oder Türen haftet, in der Regel nicht.

Hier weitere Ergebnisse von Masons PathoMap:

  • New York ist nicht nur eine Stadt, in der Menschen vieler Länder und Kulturen zusammenleben. Die gleiche Diversität findet sich auch bei der Analyse der Mikroben. Die Kleinstlebewesen mit der größten Vielfalt fanden die Forscher bei Stationen in der Bronx, gefolgt von Brooklyn, Manhattan, Queens und Staten Island.

  • Die Forscher zählten insgesamt 15.152 verschiedene Mikroben, die sich mit den Menschen den Platz in der Subway teilen.

  • Die meisten der Bakterienarten, die das Team um Mason identifizierte, sind keine Krankheitserreger, manche sind vielmehr gut für das menschliche Immunsystem. Selbst wenn es sich um potenziell krankmachende Bakterien handelte, war ihr Anteil so gering, dass sie keine Wirkung erzielen konnten.

  • In drei Proben fanden sich Spuren von Anthrax- und Pest-Erregern. Diese waren allerdings nicht mehr ansteckend - im Umfeld hatte es zudem zu keiner Zeit derartige Erkrankungen gegeben.

Die U-Bahn-Station als demografisches Profil der Stadt: Lag eine Station in einer Region der Stadt, in der eine bestimmte Bevölkerungsgruppe häufig vertreten ist, spiegelt sich das auch in den Proben der jeweiligen U-Bahn-Station.

  • In Chinatown etwa, wo viele Menschen spanischer Herkunft leben, fanden die Forscher deutlich mehr Spuren spanischen und asiatischen Erbguts.

  • In der Gegend um Brooklyn bis zum Prospect Park entdeckten die Forscher auffallend viel Spuren menschlichen Erbguts, das Menschen aus Finnland, Großbritannien oder der Toskana zugeordnet werden konnte. Eine Erklärung dafür haben die Forscher bisher nicht. "Vielleicht liegt es an dem noch nicht komplett entzifferten irischen Erbgut - das die finnischen und italienischen Einflüsse vereint", sagt Mason.

Wissenschaftler Mason betont, dass das PathoMap-Projekt nicht bloß eine nette Spielerei sei. "Bei regelmäßiger Wiederholung kann es dazu dienen, entstehende Krankheiten in Zukunft schneller zu erkennen", sagt er.

Die Betreiber der New Yorker U-Bahn sind dennoch wenig begeistert, sie befürchten eine unnötige Hysterie unter ihren Fahrgästen. "Es besteht doch überhaupt keine Gefahr", sagte ein Sprecher der "New York Times". Die Studie sei irreführend und überinterpretiert.

Manson stört das wenig. "Jetzt weiß ich endlich, dass ich mit meiner Tochter unbesorgt die Subway nehmen kann. Ein tolles Gefühl!"

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