Numerator Spart euch die Oscar-Gala!
Mein Kollege aus der Kulturredaktion hat seine Oscar-Gewinner längst gewählt. Als mit allen (Feuer-)Wassern gewaschener Feuilletonist verfügt er über seine ganz eigene Technik zur Gewinnprognose: Intuition ("Die schwulen Cowboys machen's") gepaart mit Rationalität ("Der Schauspieler ist lange überfällig") und ein Schuss Konformismus ("Hat ja auch schon bei den Golden Globes abgeräumt").
Für naturwissenschaftlich geprägte Zeitgenossen wie mich ist das natürlich unbefriedigend - man könnte sogar sagen - Pardon, Kollegen vom Feuilleton -, hanebüchen. Zugegeben, mit Bauchgefühl liegt man oft richtig. Aber für die Prognose der Oscar-Preisträger hätte ich schon gern etwas richtig Handfestes. Was zum Ausrechnen, also am liebsten etwas von einem Mathematiker.
Iain Pardoe, ein Entscheidungstheoretiker von der University of Oregon, hat mich erhört und ein komplexes mathematisches Modell für die Oscar-Verleihung entwickelt. Und wie es sich für gute Modelle gehört, erzielt es erstaunliche Trefferquoten. Im Schnitt liegt es in 81 Prozent der Fälle richtig - gemessen in den letzten 30 Jahren.
In der Kategorie "Bester Regisseur" erreicht es sogar 93 Prozent Genauigkeit, in den Rubriken "Bester Film", "Bester Schauspieler" und "Beste Schauspielerin" sind es immerhin noch jeweils 77 Prozent (Zeitraum 1975 bis 2004).
Obwohl eine ganze Branche jedes Jahr aufs Neue über den Award orakelt und spekuliert, ist die Verleihung mathematisches Neuland, worüber sich auch Pardoe wundert. "Nur sehr wenige Forscher haben überhaupt eine formale statistische Analyse durchgeführt", schreibt er im Fachblatt "Chance".
Für Pardoe ist die diesjährige Preisverleihung in Hollywood so gut wie gelaufen - zumindest statistisch. Der Ausgang der Verleihung scheint sogar eine so klare Sache zu sein - siehe unten stehender Kasten, - dass man die Gala getrost absagen könnte. Niemand müsste mehr zu spätnächtlicher Stunde vor der Glotze hocken und mit ansehen, wer über den roten Teppich stolpert und wem wann warum das Mikrofon abgedreht wird.
Nach den Berechnungen Pardoes kommen die mutmaßlichen Gewinner in den ersten drei Kategorien sämtlich auf über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit. Nur Reese Witherspoon, die Filmgattin von Johnny Cash in "Walk the Line", muss sich mit 75,9 Prozent begnügen. Die Zweitplatzierte Felicity Huffman ("Transamerica") hat immerhin noch Gewinnchancen von 15,3 Prozent.
Das Oscar-Gewinner-Modell nutzt ähnlich wie Spamfilter das sogenannte Bayes-Verfahren. Anhand der bisherigen Oscar-Verleihungen wird der Einfluss verschiedener Parameter statistisch bestimmt. Ein mit Daten gefütterter Computer erstellt ein Modell, das dann die Prognosen liefert.
Pardoe verfolgt einen umfassenden Ansatz und hat das Modell mit einer Vielzahl von Parametern gefüttert:
- Gesamtzahl der Oscarnominierungen eines Films in einem Jahr
- Gleichzeitige Nominierung als "bester Film" und "bester Regisseur"
- Gewinn des Golden Globe Awards im gleichen Jahr
- Gewinn des Screen Actor's Guild Awards
- Oscar-Nominierungen von Schauspielern in den Vorjahren
- Oscar-Preise in den Vorjahren (bei Schauspielern)
In den dreißiger und vierziger Jahren war das noch anders: Die "Beste Hauptdarstellerin" war durchschnittlich 29. Die ihr unterlegenen, ebenfalls Nominierten waren im Mittel 33 Jahre alt. Jugend war damals also von Vorteil - das gilt heute nur noch eingeschränkt. Weil das Alter als Parameter die Prognose nicht verbessert, taucht es in dem Modell erst gar nicht auf - übrigens auch nicht bei den männlichen Darstellern.
Manche Parameter erschweren sogar tendenziell die Prognose - etwa in der Kategorie "Beste Regie" die Zahl der Oscars, die ein Regisseur in den Vorjahren bereits gewonnen hat. Offenbar gibt es keine statistische Korrelation - weshalb die Zahl der Oscar-Trophäen ins Modell nicht einfließt. Man muss das nicht unbedingt verstehen - es ist halt Statistik.
Anders ist die Situation bei der Zahl der Nominierungen als "bester Regisseur" in den Vorjahren. Dieser Parameter erleichtert die Prognose des nächsten Regie-Preisträgers. Eine mögliche Erklärung dafür: Wer schon einen Oscar hatte, wird nicht bevorzugt behandelt, wer schon öfter leer ausgegangen ist schon eher.
Von 1938 bis 2004 erreicht Pardoes Modell in den vier Hauptkategorien eine Trefferquote von 69 Prozent. Von 1975 bis heute sind es sogar 81 Prozent. Die Entscheidungen der Oscar-Jury sind im Laufe der Jahre also immer vorhersehbarer geworden - auch weil, wie der Autor erklärt, immer mehr Daten im Vorfeld der Verleihung verfügbar sind.
Besonders drastisch zeigt sich diese Entwicklung bei den Hauptdarstellerinnen. Eine Vorhersage sei bis in die siebziger Jahre hinein sehr schwierig gewesen, schreibt Pardoe, inzwischen ist sie machbar.
Unfehlbar ist das Modell freilich nicht. In den letzten drei Jahren holten zwei Mal vermeintliche Außenseiter den Preis: 2002 wurde Nicole Kidman beste Hauptdarstellerin, obwohl sie laut Modell nur eine achtprozentige Siegchance hatte. Die unterlegene Favoritin Renee Zellweger lag bei 90 Prozent.
Im Jahr 2004 gewann "Million Dollar Babe" in der Kategorie bester Film, obwohl "The Aviator" mit 97 Prozent Wahrscheinlichkeit den Sieg quasi schon in der Tasche hatte.
Was lernen wir daraus? Auch 97 Prozent sind nicht 100 Prozent. Und, was viel wichtiger ist, das Leben eignet sich hervorragend für statistische Analysen - selbst dann, wenn es um eher flatterhafte Filmstars geht.