News aus Boston Organzüchter zeigen künstliche Quallen und Rochen

Boston stand im Zeichen der "Hub-Week". Dabei stellen Forscher ihre Arbeit vor, von der Organzüchtung über Krebstherapie bis zum Einsatz von DNA-Analysen in der Archäologie. Ein Querschläger kam von Donald Trump.
Foto: DER SPIEGEL/ Rick Friedman

Johann Grolle berichtet als Korrespondent für den SPIEGEL aus Boston. "Das ist die Welthauptstadt der Wissenschaft", sagt der langjährige Leiter des SPIEGEL-Ressorts Wissenschaft/Technik. An dieser Stelle schreibt er, was Forscher am MIT, der Harvard University und anderswo in den USA bewegt.

+++ Speed-Dating mit Klimaforschern +++

"Hub" ist englisch und heißt soviel wie "Nabe" oder "Knotenpunkt". Zugleich aber ist "Hub" auch der Spitzname von Boston. In der alljährlich begangenen "Hub-Week" feierte sich die Stadt in der vergangenen Woche selbst. Die Region rund um Boston mag nicht so berühmt sein wie das Silicon Valley, für das Gedeihen Hightech-Amerikas ist sie jedoch nicht weniger wichtig. Und das sollte das Programm dieser Woche unterstreichen.

Quer verstreut über den Großraum Boston stellten Roboter-, KI- und Biotechforscher ihre Kreationen vor. Und wo immer möglich sollten Besucher animiert werden, mitzumachen: Beim Speed-Dating konnten sie Unternehmensgründer kennenlernen, sich zum Lunch mit Erfindern treffen, oder unter der Anleitung von Klimaforschern Lösungen für die Herausforderungen der globalen Erwärmung suchen.

+++ Organzüchter zeigt Rochen aus Rattenzellen +++

Ich habe diesmal vor allem Veranstaltungen im biomedizinischen Bereich besucht. Spektakulär war zum Beispiel die Präsentation der Organzüchter. Auf unterschiedliche Weise versuchen Forscher in Bostoner Labors durch geschickte Manipulation von Zellen und Genen transplantationstaugliche Herzen, Lebern oder Lungen herzustellen. Zwar haben die Organzüchter bis zu diesem Ziel noch einen weiten Weg vor sich, trotzdem war es atemberaubend zu sehen, wie weit sie bereits gekommen sind.

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Harvard-Forscher Kit Parker etwa führte künstliche Quallen und Rochen vor, die er aus den Herzzellen von Ratten hergestellt hat. Sein Kollege David Kolesky nutzt Drucker mit hauchfeinen Düsen, um die funktionellen Einheiten von Nieren Zelle für Zelle zusammenzusetzen.

Harald Ott zeigte, wie er das tote Proteingerüst von Herzen oder Lungen mithilfe von Stammzellen wieder zum Leben erwecken kann. Und Biotech-Fantast George Church fabulierte sogar von künstlichen Organen, die dauerhafter und gesünder sein werden als die Originale: "Warum dort Schluss machen, wo die Natur aufgehört hat?", fragte er.

+++ DNA-Spuren in der Archäologie +++

Ganz anderer Natur war ein Workshop, zu dem sich Archäologen und Genforscher an der Harvard-Universität trafen. Kürzlich haben sie ein neues Forschungszentrum gegründet. Ziel ist es, historische Forschung mit den Mitteln der Naturwissenschaften zu treiben. Beteiligt ist die deutsche Max-Planck-Gesellschaft.

Im Fokus des Zentrums steht die bronzezeitliche Geschichte des Mittelmeerraums. Vor allem geht es darum, an den archäologischen Fundstätten nach Genmaterial zu suchen. Diesem können die Forscher mit den modernen Methoden der DNA-Analyse eine faszinierende Fülle von Informationen entlocken.

Den spannendsten Vortrag hielt Johannes Krause, der am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte historische Pandemien erforscht. In alten Skeletten hat er das Erbgut von Lepra-, Tuberkulose- und Typhuserregern sichergestellt. Demnächst will er neue Befunde aus Kleinasien vorlegen, welche die Hypothese stützen, dass die Beulenpest den großen Kollaps bronzezeitlicher Kulturen vor rund 3200 Jahren ausgelöst haben könnte.

+++ Erfolge in der Krebstherapie durch Big Data +++

Am MIT zeigte sich bei einer Podiumsdiskussion über die Fortschritte der Krebstherapie, wie einzigartig die Bostoner Medizinlandschaft ist. Wo sonst auf der Welt gibt es so große Forschungskliniken, wo finden sich Niederlassungen so vieler Pharmakonzerne, eine so große Zahl hochkarätiger Biotech-Firmen und dazu Labors vom Format des Dana-Farber-Krebsinstituts?

Vertreter all dieser Institutionen saßen auf dem Podium und befeuerten sich gegenseitig in ihrer Euphorie über die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Krebstherapie. In Hunderten klinischen Versuchen testen die Forscher derzeit unterschiedlichste neue Behandlungsansätze. Und nach vielen Jahren des Frusts trudeln jetzt endlich auch Berichte von Therapieerfolgen ein.

Die wichtigste Veränderung derzeit sei der Einzug von Big Data in ihr Fach, meinten die Diskutanten. Moderne Hochleistungs-Sequenzierer machen es möglich, die Evolution eines Tumors genau zu verfolgen und - zumindest theoretisch - die Therapie jeweils daran anzupassen.

+++ Checklisten, die Leben retten +++

Aber Fortschritt muss nicht immer Hightech heißen. In Faneuil Hall gegenüber des Bostoner Rathauses trat der Chirurg und Medizinjournalist Atul Gawande auf. Als Direktor der "Ariadne Labs" sucht er nach Neuerungen, mit denen sich die immer komplexere Medizin einfacher machen lässt. Als Paradebeispiel dient ihm eine Praxis, die er den Piloten abgeguckt hat: die Einführung von Checklisten im Operationsalltag.

Gawande hat eine Liste von Schritten erarbeitet, die alle abgehakt sein müssen, ehe ein chirurgischer Eingriff beginnen darf. In acht Krankenhäusern führte er diese Checklisten ein - mit durchschlagendem Erfolg. In einer Klinik in South Carolina zum Beispiel sank die Sterblichkeit nach der Operation um sagenhafte 22 Prozent. Eine Pille mit einer solchen Erfolgsrate würde im Handumdrehen zum MilliardengGeschäft.

Ein Problem allerdings, gesteht Gawande, habe auch er bisher nicht lösen können: Wie lassen sich schnöde Checklisten als Lösung medizinischer Probleme sexy machen?

+++ Querschläger von Trump +++

Am Freitag platzte dann ein Querschläger aus Washington ins Bostoner Wissenschaftsfestival. Diesmal gelingt es dem US-Präsidenten, den Hass, den er predigt, auch in mir auszulösen: Wenn ich sehe, wie Trump mit breitem Grinsen seine großspurige Unterschrift unter einen Erlass setzt, mit dem er die staatlichen Zuwendungen für die Sozialversicherung der Ärmsten in Amerika streicht, kann ich nicht anders, als Wut empfinden.

Trump versucht damit sein Versprechen einzulösen, Obamas Krankenversicherungssystem Obamacare, wenn er es schon nicht abschaffen kann, dann eben explodieren zu lassen. Sein Erlass hat das einzige Ziel, das Werk seines Vorgängers finanziell zum Einstürzen zu bringen. Selbst viele Republikaner packt da das Grauen.

Letzte Hoffnung: Nun wird sich vor Gericht erweisen, ob das vom Präsidenten verordnete Zerstörungswerk rechtens ist. Massachusetts will, zusammen mit 18 weiteren Staaten, gegen Trumps Erlass klagen.

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