Psychologie Gier schlägt Großzügigkeit

Wenn jemand Großzügigkeit erlebt, verhält er sich auch anderen gegenüber freigiebiger - das würde jeder unterschreiben. Der Nachahmungseffekt ist bei Gier laut einer Studie jedoch viel größer: Wer unfair behandelt wird, der schlägt auch so zurück.
Gierig oder großzügig?: Psychologen betonten den Wert der Fairness

Gierig oder großzügig?: Psychologen betonten den Wert der Fairness

Foto: Corbis

"Pay it Forward" heißt das Prinzip  - wer selbst Freundlichkeit erlebt, der verhält sich anschließend anderen gegenüber eher großzügig und nett, so dass die Welt mit jeder guten Tat ein ordentliches Stück besser wird. So weit die Theorie.

Wie US-Forscher im "Journal of Experimental Psychology" berichten , ist dieses positive Verhalten wohl vor allem in kleinen Gruppen zu beobachten - oder unter Verwandten. Ob es aber auch greift, wenn es um Begegnungen mit völlig Fremden geht, haben Kurt Gray von der University of North Carolina in Chapel Hill und zwei Kollegen von der Harvard University mit einer Reihe von Experimenten untersucht. Außerdem überprüften sie die Vermutung, dass Gier möglicherweise viel stärker weitergegeben wird als Großzügigkeit.

Das Ergebnis ihrer Experimente erscheint ernüchternd: Tatsächlich verhalten sich Menschen, die gerade Opfer der Gier eines Unbekannten geworden sind, anschließend ebenfalls unfair oder gierig. Wer dagegen großzügig bedacht wurde, ist danach nur ein kleines bisschen freigiebiger. Es zeigt sich aber auch: Wer zumindest fair behandelt wurde, ist danach auch selbst meist fair.

Teilnehmer am Bahnhof und online angeworben

Die Wissenschaftler testeten dies nicht, wie sonst oft üblich, mit Hilfe von Studenten - stattdessen rekrutierten sie die Versuchsteilnehmer für einen Teil der Experimente an Bahnhöfen und anderen belebten Orten in einer Stadt an der US-Ostküste. Für die anderen Versuche, die online durchgeführt wurden, buchten sie die Teilnehmer über die Plattform Amazon Mechanical Turk. An den fünf verschiedenen Experimenten nahmen jeweils zwischen 60 und 165 Menschen teil.

Die am Bahnhof angesprochenen Teilnehmer spielten eine Version des sogenannten Diktator-Spiels. Konkret konnten sie sechs Dollar zwischen sich und einem Unbekannten aufteilen, wie sie wollten. Vorher erhielt jedoch ein Teil von ihnen selbst einen Umschlag mit null, drei oder sechs Dollar - so als wären sie ein Zwischenglied in einer Kette von Spielenden.

Das Ergebnis des ersten Tests:

  • Wer vorher keinen Umschlag bekommen hatte, gab von den sechs Dollar im Schnitt 2,40 ab.
  • Gier: Wer einen Umschlag erhalten hatte, in dem kein Geld war, war deutlich knauseriger und spendete dem Fremden nur 1,32 Dollar.
  • Fairness: Die Teilnehmer, die drei Dollar erhalten hatten, gaben ihrerseits 3,38 Dollar weiter.
  • Großzügigkeit: Wer sechs Dollar im Umschlag erhalten hatte, gab im Schnitt 3,71 Dollar ab.

Folgende Experimente mit ähnlicher Struktur bestätigten die Tendenz, dass Gier stärker weitergegeben wurde als Großzügigkeit. Und dass Fairness dazu führt, ebenfalls fair zu agieren. Denn wer drei Dollar erhalten hatte, war deutlich großzügiger als die Teilnehmer, die vorab keinen Umschlag bekommen hatten.

Arbeitsteilung - mal fair, mal unfair

In weiteren Versuchen wurde kein Geld geteilt, sondern Arbeit. Die gebuchten Arbeiter hatten verschiedene angenehme und nervige Aufgaben zu erledigen. Als Beispiel für eine gute Aufgabe nennen die Forscher die Bewertung lustiger Inhalte, als Beispiel für eine schlechte das Anstreichen von Vokalen in einem in einer Fremdsprache verfassten Text.

Die Probanden mussten mehrere dieser Aufgaben erledigen, sie konnten aber die Hälfte auf einen unbekannten späteren Teilnehmer abwälzen. Ähnlich wie in den Experimenten davor hatte ihnen selbst jemand entweder nur nervige oder nur angenehme Aufgaben überlassen. Auch hier bestätigte sich das Ergebnis: Erlebte Gier beeinflusste die Entscheidung stärker als Großzügigkeit.

"Wir glauben alle gern, dass Großzügigkeit andere dazu bringt, wiederum andere gut zu behandeln", sagt Kurt Gray. Aber das passiere nicht unbedingt. "Um eine Kette des guten Verhaltens zu starten, sollten Leute weniger auf einzelne, zufällige Akte der Großzügigkeit setzen." Stattdessen empfiehlt der Forscher, generell darauf zu achten, andere fair zu behandeln - und auf habgierige Aktionen zu verzichten.

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