
Chachapoya: Verlorene Kultur
Archäologischer Überraschungsfund in Peru Zwei Kölner entdecken Dorf der Nebelkrieger
An dem Tag, als Tom Schinker und Martin Druschel auf das längst verlassene Dorf der Chachapoya stießen, lag ein Großteil der anderen Expeditionsteilnehmer krank in ihren Feldbetten im Dschungelcamp. Einer hatte sogar eine Lungenentzündung, ein anderer gebrochene Rippen nach einem Sturz. Schinker und Druschel organisieren unter dem Slogan "Wandermut" Abenteuerreisen und verdienen damit ihr Geld. Mal geht es in die Sahara, mal nach Grönland, diesmal führte die Reise in den Regenwald Perus. "Das ist kein Entspannungsurlaub", betonen die beiden 27- und 28-Jährigen.
Zweieinhalb Wochen lang waren sie im August mit zwanzig Expeditionsteilnehmern im Norden Perus unterwegs. In der Gegend um den See der Kondore, fast 600 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Lima. Die Region ist abgelegen, die nächstgrößere Stadt ist Dutzende Kilometer entfernt.
Im Dschungel konnte die Reisegruppe oft nur zwei Meter weit gucken, dann versperrte dichte Vegetation die Sicht. Das Gebiet am Rand des Amazonas steht unter besonderem Schutz, ohne Genehmigung darf niemand hinein. Wege oder Straßen gibt es hier nicht, nicht einmal Trampelpfade. Mit Macheten mussten sich die Abenteurer ihren Weg frei schlagen, pro Tag kamen sie oft nur wenige Kilometer voran. "Ohne unsere erfahrenen Guides würden wir uns heillos verlaufen", erzählt Schinker.
Am Tag der Entdeckung waren Druschel und Schinker allein mit zwei Guides zu einem Gipfel unterwegs, um dort Drohnenaufnahmen zu machen, als sie merkten, dass der Dschungel um sie herum plötzlich lichter wurde. "Da entdeckten wir auffällige runde Strukturen, die mit Pflanzen überwuchert waren", erinnert sich Druschel.

Chachapoya: Verlorene Kultur
Sie waren auf Überreste der Chachapoya-Kultur gestoßen, die bekannt ist für ihre runden Häuser. Die Mauerreste waren unter der dichten Vegetation kaum zu erkennen. Hätten sich die Abenteurer nur wenige Meter weiter entfernt ihren Weg durch den Dschungel gebahnt, hätten sie den Fundplatz wohl übersehen. "Wahrscheinlich waren wir die ersten Menschen dort seit Jahrhunderten", erzählen die beiden. "Das war schon ein tolles Gefühl."
Die Chachapoya, gesprochen wie "Tschatschapoja", lebten etwa zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert in den nordöstlichen Anden des heutigen Perus, am Rande des Amazonasbeckens. Der Name bedeutet so viel wie Nebelkrieger oder Wolkenmensch. Wie groß deren Reich war, ist unklar. Ein Großteil des Gebiets liegt heute tief im Dschungel, archäologische Untersuchungen sind deshalb extrem schwierig.
Älter als die Inka-Stadt Machu Picchu
Zu den berühmtesten Fundplätzen der Chachapoya gehört die Festung Kuélap. Sie liegt gut 50 Kilometer nordwestlich des Sees der Kondore und bestand zwischen 500 und 1570 nach Christus. Damit ist sie deutlich älter als die berühmte Inka-Stadt Machu Picchu. Die Mauerreste wurden im Jahr 1841 wieder entdeckt und zeigen die Wehrhaftigkeit der Wolkenmenschen. Wer dorthin wollte, musste gut 3000 Meter die nordperuanischen Anden hinaufklettern, eine stattliche Mauer überwinden und sich durch einen schmalen Gang zwängen, durch den jeweils nur ein Mensch passte.
Die Entdeckung der Kölner ist im Vergleich dazu bescheiden. Die Mauerreste gehörten einst zu 36 Rundhäusern, die nur wenige Meter im Durchmesser maßen. "Wir haben die Mauern fotografiert, aber sonst alles so gelassen, um sie nicht noch mehr zu beschädigen", erzählt Schinker. Später meldeten die beiden ihre Entdeckung den zuständigen Behörden. "Für peruanische Verhältnisse ist der Fund aber nicht besonders spektakulär", geben die Abenteurer zu. Und die Gegend ist so abgelegen, dass sich wohl so bald niemand mehr dorthin verirren wird.
"Solche kleinen Dörfer sind typisch für die Chachapoya-Kultur", sagt Karoline Noack, Professorin für Altamerikanistik an der Universität Bonn. Noch immer rätseln Archäologen, ob sich die Chachapoya überhaupt als ein Volk verstanden. Sie gehen eher davon aus, dass einzelne Gruppen immer wieder unterschiedliche Bündnisse eingingen, je nach ihren politischen Interessen. Die Gesellschaft der Nebelkrieger war demnach sehr komplex.
Selbst den Namen Chachapoya hatten sie sich nicht selbst gegeben, sondern die Inka. Sie hatten das Reich der Chachapoya um das Jahr 1475 erobert. Nach heftigen Kämpfen köderten die Inka einflussreiche Nebelkrieger mit wertvollen Geschenken und installierten sie als Statthalter. Andere Chachapoya rebellierten weiter gegen die Inka und verbündeten sich mit spanischen Eroberern, die etwa zur selben Zeit die Ostabhänge der Anden Richtung Amazonasgebiet erreichten.
Die Konquistadoren staunten über die Nebelkrieger, die so anders aussahen als die Inka. Viele der Chachapoya waren groß, hatten einen hellen Teint und blonde bis rote Haare. Einige Forscher stellten gar die These auf, die Nebelkrieger könnten die Nachfahren spanischer Kelten sein, die lange vor den Konquistadoren Südamerika erreichten.
Nebelkrieger waren keine europäischen Einwanderer
Noack glaubt allerdings nicht an diese Theorie. Sie hält es für wahrscheinlicher, dass die Chachapoya ihren Ursprung im Amazonasgebiet haben. "Genetische Untersuchungen haben zwar gezeigt, dass Vertreter der Chachapoya-Kultur eng mit Europäern verwandt sind", sagt Noack. "Doch die Ursprünge dieser Verbindungen sind im 16. Jahrhundert und der spanischen Eroberung zu suchen." Die Nebelkrieger zeugten also Kinder mit den spanischen Erobern, lange nach den Kelten.
Die ständigen Kriege gegen die Inka und die Spanier, die Kollaborationen auf beiden Seiten und eingeschleppte Krankheiten schwächten die Gesellschaft der etwa 100.000 Chachapoya empfindlich. Ganz ausgestorben sind sie allerdings nicht. Noch immer leben am Rande des Amazonasbeckens Menschen, die sich als Chachapoya bezeichnen.
An die Vergangenheit der Wolkenmenschen erinnern beeindruckende Monumente wie die Festung Kuélap. Tief im Dschungel dürften noch weitere unentdeckte Funde warten. Besonders die Lidar-Technik könnte neue Erkenntnisse bringen. Dabei senden Flugzeuge Laserstrahlen aus, die den Boden abtasten. Die einzelnen Messpunkte lassen sich dann in ein Oberflächenprofil umwandeln. Allerdings wäre es extrem teuer und sehr aufwendig, den gesamten peruanischen Dschungel zu überfliegen.
Auch die Kölner Abenteurer Schinker und Druschel wollen in das Reich der Nebelkrieger zurückkehren. Noch fehlen ihnen aber Teilnehmer für die nächste Reise.
Zusammengefasst: Zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert lebten in den Nebelwäldern Perus die Wolkenmenschen Chachapoya. Bis heute gehören sie zu den am wenigsten eforschten indigenen Kulturen Südamerikas, weil ihre Fundplätze tief verborgen im Dschungel liegen. Trotzdem werden immer wieder neue Entdeckungen gemacht. Zuletzt stießen zwei junge Männer aus Köln gemeinsam mit zwei peruanischen Guides auf eine Siedlung der Chachapoya .