Phosphor-Verdacht Rauchbomben-Einsatz entfacht Vorwürfe gegen Israels Armee

Israel feuert im Gaza-Streifen laut Kritikern mit Phosphorgranaten. Die Genfer Konvention erlaubt deren Einsatz nur, um Rauchvorhänge zu legen - in dichtbesiedelten Gebieten ist er dagegen hoch umstritten, denn die Bomben können schwere Verbrennungen verursachen.

Hamburg/Aschkelon - Es war nur eines von mehreren PR-Desastern der amerikanischen und britischen Streitkräfte im Irak. Als ruchbar wurde, dass sie weißen Phosphor gezielt zur Tötung von Aufständischen eingesetzt hatten, dementierten die Alliierten zunächst. Man habe die Substanz nur benutzt, um schützende Rauchvorhänge zu schaffen und Ziele zu beleuchten, hieß es. Später aber mussten Amerikaner und Briten einräumen, dass die Gerüchte stimmten. Die internationale Empörung war groß, im Internet kursierten Fotos hässlicher Brandwunden und grauenhaft verbrannter Menschen.

Jetzt macht die umstrittene Munition erneut Schlagzeilen: "Israel lässt mit Phosphorgranaten Feuer auf Gaza regnen", titelte die britische Zeitung "The Times". Zahlreiche Fotos von Nachrichtenagenturen scheinen das zu belegen: Sie zeigen, wie Geschosse in der Luft explodieren und glühende Brocken freisetzen, die auf ihrem Weg zum Boden dicke Rauchfahnen hinter sich herziehen. Die Bilder sind charakteristisch für Phosphorgranaten, die Israel bekanntermaßen besitzt und zuletzt 2006 im Libanon-Krieg eingesetzt hat. Die dichten Rauchwände, die vom Phosphor verursacht werden, sollen Truppen beim Vormarsch schützen.

Als am Samstagabend erste Fernsehbilder der Bodenoffensive ausgestrahlt wurden, sanken hell leuchtende Geschosse zu Boden und beleuchteten das Schlachtfeld. Für Moderatoren der großen israelischen Fernsehsender schien die Sache deshalb klar: Die Armee setze bei ihrer Offensive auch auf Phosphor, hieß es ganz offen.

Letzte Sicherheit darüber, ob Israel tatsächlich Phosphor einsetzt, gibt es nicht. Ein Armeesprecher wollte nicht verraten, welche Substanz für die Rauchvorhänge zum Einsatz kommt. Er teilte auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE nur mit: "Die Streitkräfte der israelischen Armee operieren im Einklang mit dem internationalen Recht. Das schließt den Gebrauch von Waffen und Munition ein."

Nach internationalem Recht erlaubt ist auch weißer Phosphor - solange er zur Tarnung und Beleuchtung eingesetzt wird. Die Genfer Konvention verbietet aber den direkten Einsatz als Waffe in zivilen Gebieten.

Nahost-Konflikt

Ungeachtet der rechtlichen Lage dürfte der Phosphor-Einsatz über dem dichtbesiedelten Gaza-Streifen weitere Kritik am Vorgehen Israels provozieren. Denn die Substanz ist äußerst gefährlich: Kommt sie mit Sauerstoff in Kontakt, beginnt sie augenblicklich zu brennen und entwickelt Temperaturen von rund 1300 Grad Celsius. Weißer Phosphor wurde bereits im Zweiten Weltkrieg beim Bombardement deutscher Städte eingesetzt. Vermischt mit Kautschuk ergab er eine zähflüssige Masse, die sich, einmal in Brand gesetzt, nicht mit Wasser löschen ließ, an den Opfern kleben blieb und üble Wunden verursachte.

Auch in Rauchgeschossen ist weißer Phosphor keinesfalls harmlos. Wer mit der weißen Wolke in Kontakt kommt, kann schwere Verletzungen erleiden. Beim Einatmen schädigt der Phosphor die Atemwege. Der Kontakt löst auch Schäden an Augen, Leber, Herz, Nieren oder Knochen aus. Am schlimmsten ist der Kontakt mit Haut und Gewebe: Die Partikel hören nicht auf, zu brennen, bis sie komplett verschwunden sind oder den Knochen erreicht haben. Zwar kann der Brand mit Wasser unterdrückt werden. Doch sobald der Phosphor getrocknet ist, kann er sich spontan wieder entzünden.

Zu den thermischen kommen chemische Verbrennungen, zum Beispiel wenn durch Kontakt mit Wasser Phosphorsäuren in der Haut entstehen. Außerdem ist weißer Phosphor hochgiftig: Schon 50 Milligramm gelten als tödliche Dosis, doch der Tod kommt langsam - oft erst nach 5 bis 10 Tagen, da das Gift die Eiweiß- und Kohlenhydratsynthese stört.

Als Rauchmittel mag weißer Phosphor nach der Genfer Konvention erlaubt sein, "aber kritisch ist sein Einsatz allemal", findet Jan van Aken vom Sunshine Project, einer Organisation zur Kontrolle von Bio- und Chemiewaffen. "Phosphor ist per se eine grauenvolle Waffe", und sein Effekt sei durchaus mit dem von Chemiewaffen vergleichbar. Zudem bewiesen die Fotos von in der Luft explodierenden Granaten keineswegs, dass der Phosphor im Gaza-Streifen ausschließlich gemäß der Genfer Konvention verwendet werde. "Niemand weiß, wie viele Granaten möglicherweise am Boden explodiert sind", sagt van Aken zu SPIEGEL ONLINE. "Zwei Fotos sagen nichts über den operativen Einsatz aus."

Mitarbeit: Ulrike Putz

Update vom 13. Januar: Die "New York Times" hat inzwischen berichtet, dass in Gaza-Stadt Granatenfragmente mit der Aufschrift M825A1 gefunden wurden. Dabei handelt es sich um Phosphorgranaten aus US-Produktion. Die Geschosse des Kalibers 155 Millimeter setzen bei der Explosion 116 mit weißem Phosphor getränkte Filzkeile frei, die sich beim Kontakt mit Sauerstoff entzünden und fünf bis 15 Minuten lang eine Rauchwand erzeugen.

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