Geplantes Gesetz des Umweltministeriums Plastiktüten sind nicht das Problem

Bundesumweltministerin Svenja Schulze plant ein Verbot von Plastiktüten. Doch so ein Gesetz hätte weniger Nutzen für die Umwelt, als man annehmen könnte.
Fliegende Plastiktüte

Fliegende Plastiktüte

Foto: Nick Dolding/ Getty Images

Es ist hierzulande ein Trend, mit Umweltschutz Politik zu machen. Über ein Thema diskutiert Deutschland in diesem Zusammenhang schon lange: Plastiktüten. Weil diese Kunststofftragetaschen die Welt vermüllen können, forderten schon Politiker aus nahezu jeder großen Partei Verbote - zuletzt sogar die CSU. Im Mai wollte Entwicklungsminister Gerd Müller Plastiktüten aus deutschen Läden verbannen. Dasselbe forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Juli. Dabei galt die Partei lange als Gegner solcher Verbote.

Nun will auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze die Nutzung von Plastiktüten per Gesetz eindämmen. Ihr Ministerium arbeite gerade an einem entsprechenden Entwurf für ein Verbot, hatte die SPD-Politikerin am Wochenende gesagt. Eine Wende in Schulzes Politik.

Erst kürzlich hatte sich die Ministerin noch gegen ein Verbot ausgesprochen und auf Freiwilligkeit gesetzt. Durch eine Vereinbarung mit dem Handel kosten Plastiktüten inzwischen in sehr vielen Supermärkten Geld. Wozu braucht es also ein Verbot? Und wie sinnvoll sind die Alternativen zu Plastiktüten?

Eines ist klar: Grundsätzlich wäre es gut, wenn Plastiktüten gar nicht erst hergestellt würden. Gelangen die Tragetaschen, die oft aus Polyethylen-Folie bestehen, in die Umwelt, überdauern sie lange Zeit - egal ob im Meer oder auf dem Land (eine Studie zu dem Thema finden Sie hier).

Meerestiere fressen die Tüten, man fand sie im Körper von Walen und sogar im Marianengraben. Wenn sie sich nach und nach zu winzigen Partikeln zersetzen, tragen sie zu einem weiteren Problem bei: Mikroplastik. Dann gelangen die Teilchen leicht bis in den letzten Winkel unserer Ökosysteme.

Bei der Verschmutzung der Meere sind Plastiktüten aus Deutschland aber eher nicht das Problem. Der Grund: Ein Großteil des Plastikmülls in den Ozeanen stammt aus Flüssen in Asien. Laut einer "Nature"-Studie  hat im Jahr 2015 der Jangtse, der längste Fluss Chinas, mit Abstand am meisten Plastikmüll in die Ozeane gespült, schätzungsweise 333.000 Tonnen. Etwa 86 Prozent des Plastiks weltweit stammen aus Flusssystemen aus Asien.

Daten zum Plastikmüll hat die Onlineplattform "Our World in Data" gesammelt. Ihre Weltkarte prognostiziert, wie hoch der Anteil eines Landes am globalen Missmanagement in der Abfallwirtschaft im Jahr 2025 sein könnte. Hier schneidet Deutschland vergleichsweise gut ab.

Dank der regulierten Abfallwirtschaft in Europa wird der Plastikmüll verbrannt oder landet auf streng kontrollierten Deponien. Das Recycling von Plastikmüll steht dagegen in der Kritik. Experten gehen davon aus, dass die Menge des widerverwerteten Plastikmülls in Deutschland sehr viel niedriger ist, als es die Bundesregierung angibt, berichtete der SPIEGEL.

Auch Exporte von Müll ins Ausland, bei denen Plastikmüll deutscher Verbraucher auf Deponien in Entwicklungsländern in Asien landet, stehen in der Kritik. Wegen der niedrigeren Umweltstandards in diesen Ländern verursacht Kunststoff auf Müllhalden in Malaysia oder Indonesien Verschmutzungen. Dabei sind Müllexporte eigentlich nur für das Recycling erlaubt. Im April hatte das Bundesumweltministerium angekündigt, zur Verhinderung solcher Exporte strengere Regeln einführen zu wollen.

In Deutschland sinkt der Verbrauch von Plastiktüten ohnehin seit Jahren. Im Vergleich zu 2015 ist er um 64 Prozent zurückgegangen. Laut der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung sind 2018 zwei Milliarden Kunststofftragetaschen an den Kassen ausgegeben worden. Das entspreche pro Jahr 24 Taschen pro Einwohner. 2016 lag der Durchschnitt noch bei 45 Tüten pro Kopf. Allerdings machen Plastiktüten nur etwa ein Prozent des gesamten Plastikmülls aus. Das weiß auch Schulze. Ein Sprecher des Umweltministeriums hatte vor Monaten noch gesagt, es gehe bei Plastiktüten "im Grunde genommen um Peanuts".

Zudem sind Alternativen zu Plastiktüten nicht unbedingt umweltfreundlicher. Papiertüten beispielsweise wirken zwar ökologischer, sind in der Bilanz aber nicht besser als Plastik. Denn für die Herstellung werden lange, sehr reißfeste Zellstofffasern benötigt. Aber die Produktion von Zellulose ist äußerst energie- und wasseraufwändig - zudem müssen Chemikalien eingesetzt werden. Einwegtüten aus frischen Papierfasern müssten mindestens dreimal so oft genutzt werden wie eine erdölbasierte Plastiktüte, damit sich die Herstellung lohnt, rechnet etwa der Nabu vor. Zudem steigt durch die Papierproduktion die Nachfrage nach Holz.

Auch Stoffbeutel lohnen sich aus Gründen des Umweltschutzes nur, wenn sie oft verwendet werden. Genau wie beim Papier benötigt man für die Baumwollherstellung viel Wasser, und es werden beim Anbau Pestizide eingesetzt. Eine Tasche aus konventioneller Baumwolle muss mehr als hundertmal so oft wie eine Kunststofftüte genutzt werden, um die schlechtere Klimabilanz auszugleichen.

Als weitere Alternative zu herkömmlichen Plastiktüten werden sogenannte Bioplastiktüten gehandelt. Darunter sind meist verschiedene Materialien zusammengefasst, die als biologisch abbaubar gelten oder die aus pflanzlichen Stoffen hergestellt werden. Doch auch die Ökobilanz solcher Produkte ist zweifelhalft.

Das legt etwa eine kürzlich erschienene Studie zu Bioplastiktüten nahe. Dafür hatten sich die Forscher verschiedene Tüten aus dem Supermarkt besorgt und beobachtet, wie sie in der Natur auf Umwelteinflüsse reagieren. Ein Teil der Tüten wurde im Boden vergraben, in der Luft aufgehängt oder in Meerwasser gelagert. Dabei schnitten die Biotüten nicht sonderlich besser ab als klassische Tüten aus Polyethylen.

Immer häufiger werden zudem Tüten aus kompostierbarem Kunststoff auf Basis von Mais- oder Kartoffelstärke angeboten. Doch der biologische Abbau gelingt bisher nur in industriellen Anlagen. Der eigene Komposthaufen im Garten oder eine Biogasanlage können das Material nicht verwerten - für den problemlosen Abbau in der Natur gibt es bisher keinen Nachweis, so der Nabu. Und gelangen diese Tüten in Recyclinganlagen für Material aus dem gelben Sack, können sie Verwertungsprozesse anderer Kunststofffolien sogar stören.

Wenn es nicht anders geht und eine Plastiktüte sein muss, empfiehlt das Umweltbundesamt etwa eine mit dem Blauen Engel. Das Umweltzeichen der Bundesregierung steht in diesem Fall für mindestens 80 Prozent Recyclingkunststoff.

Am Ende gilt: Vor Recycling sollte man zuallererst auf Abfallvermeidung setzen. Bei jedem Supermarktbesuch eine neue Tüte zu kaufen, egal aus welchem Material, ist keine gute Idee. Stattdessen sollten Verbraucher ihre Tüten so oft wie möglich nutzen und den Transport ihres Einkaufs entsprechend vorher planen, statt erst an der Kasse festzustellen, dass sie noch Tüten benötigen. Sollte das doch einmal passieren - und bei wem passiert das nicht - dann gilt: Solange man sie so oft wie möglich verwendet, darf sie auch mal aus Plastik sein.

joe
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