
Primzahl-Zerlegung: 12 = 5 + 7
Mathematiker Harald Helfgott Primzahl-Dompteur aus Paris
Es hätte der ganz große Auftritt werden können für Harald Helfgott. Auf dem Mathematiker-Kongress ICM 2014 in Seoul präsentierte er seinen spektakulären Beweis der Schwachen Goldbachschen Vermutung . Sie besagt, dass jede ungerade Zahl ab 7 als Summe dreier Primzahlen geschrieben werden kann. Zwei Beispiele: 7 = 2 + 2 + 3 und 23 = 5 + 7 + 11.
Doch die begehrte Fields-Medaille bekam der Peruaner nicht, die als höchster Preis für Mathematiker gilt. Ausgezeichnet wurden vier andere Genies - mit Maryam Mirzakhami auch die erste Frau in der Geschichte der Fields-Medaille. "Ich bin nicht enttäuscht", sagt Helfgott. Er selbst habe sich eher nicht zum Kreis der Top-Favoriten gezählt.
Das Zahlenrätsel geht zurück auf den deutschen Mathematiker Christian Goldbach (1690-1764). In einem Brief an Leonard Euler hatte Goldbach diesem seine Vermutung mitgeteilt: Jede gerade natürliche Zahl ab 4 ist als Summe von zwei Primzahlen darstellbar.
Schritt für Schritt haben sich Zahlentheoretiker Goldbachs Vermutung genähert. 1995 konnte der Franzose Olivier Ramaré zeigen, dass sich jede Zahl als Summe von höchstens sechs Primzahlen schreiben lässt. 2012 bewies Terence Tao, dass alle ungeraden natürlichen Zahlen als Summe von höchstens fünf Primzahlen darstellbar sind. 2013 folgte Harald Helfgott mit seiner Arbeit über die Summe aus drei Primzahlen.
Wann endlich gelingt der Beweis über zwei Primzahlen? "Das ist keine Frage von Jahren, sondern eher von Jahrzehnten", meint Helfgott. Es könnten 50 Jahre sein, vielleicht aber auch 500 - eine Abschätzung sei schwierig.
Jonglieren mit Zehnerpotenzen
Der Peruaner forscht am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS ) in Paris. Um seine Arbeitsbedingungen beneiden ihn deutsche Kollegen - sie erklären auch die vielen Erfolge von Mathematikern aus Frankreich. "Ich habe keinerlei Lehrverpflichtung und kann mich ganz auf die Forschung konzentrieren", sagt Helfgott.
Bei seinem Beweis der Schwachen Goldbachschen Vermutung konnte der Wahlpariser auf wichtige Vorarbeiten von Kollegen zurückgreifen. Es klingt verrückt - aber es gibt tatsächlich eine Formel, die angibt, wie viele Zerlegungen in drei Primzahlen für eine Zahl n mindestens möglich sind.
Die Formel besteht aus zwei Ausdrücken: Einem positiven Hauptterm und einem negativen Fehlerterm. Beide hängen von der natürlichen Zahl n ab, für die man die Zahl der Zerlegungen berechnen will. Die von Helfgott benutzte Formel ist sehr kompliziert. Um das Prinzip zu verdeutlichen, nehmen wir an, diese Formel sei
n2 - 1000*n
Der Hauptterm wäre dann n2 und -1000*n der Fehlerterm. Wenn wir die Formel etwas anders schreiben, indem wir n ausklammern, erhalten wir
n*(n - 1000)
Man sieht sofort, dass die Formel nur dann eine Zahl größer null ergibt, wenn n>1000 ist. Nur für n>1000 würde die Formel uns also die Gewissheit liefern, dass für die Zahl n mindestens eine Möglichkeit existiert, sie als Summe von drei Primzahlen zu schreiben.
Ganz so einfach war die Sache natürlich nicht: "Den Fehlerterm kann man leider nicht als eine genaue Formel angeben", erklärt Helfgott. "Man ist schon zufrieden, wenn man zeigen kann, dass er in einem genau bestimmten Intervall liegt."
Beweishilfe vom Computer
Immerhin lieferte die Formel die Gewissheit, dass die Schwache Goldbachsche Vermutung für alle Zahlen größer als 2*101346 gilt - ein Zahlenmonster mit 1346 Nullen. Für alle Zahlen kleiner als 101346 war hingegen keine Aussage möglich. Theoretisch hätte man all diese Zahlen von einem Computer auf eine Zerlegung in drei Primzahlen hin überprüfen können. Praktisch sei dies aber undenkbar, erklärt Helfgott: "Selbst eine Grenze von 10120 wäre viel zu groß, um alle Zahlen bis dahin zu kontrollieren."
Dem Peruaner blieb nichts anderes übrig, als die Formel zu verbessern, welche die Zahl der Zerlegungen in drei Primzahlen angibt. "Es existieren oft viele verschiedene Zerlegungen für eine Zahl", erklärt er. "Durch geschickte Auswahl der Primzahlen konnte ich die Abschätzung verbessern, ab der die Vermutung gilt - und zwar von 101346 auf 1027 ."
Der Rest war dann vergleichsweise einfach. Mit Computern hatten Mathematiker bereits gezeigt, dass die Starke Goldbachsche Vermutung, also die Zerlegung in zwei Primzahlen, für alle geraden Zahlen bis 4*1018 gilt. Ein Wochenende an einem handelsüblichen PC reichte Helfgott, um daraus abzuleiten, dass die Schwache Goldbachsche Vermutung bis 1027 gilt. Damit war die Aussage für alle natürlichen Zahlen bewiesen - durch Tests an Computern und durch eine Formel.
"Wir haben die Gültigkeit der Vermutung sogar bis 8*1030 am Computer getestet", berichtet der Mathematiker. "Das war zu einem Zeitpunkt, als ich noch nicht wusste, wie weit ich die untere Schranke drücken kann." Formal akzeptiert ist der 240 Seiten lange Beweis bislang nicht - das ist erst der Fall, wenn er nach dem Peer Review von einem Fachmagazin publiziert wird. Der Review-Prozess läuft bereits, ist aber noch nicht beendet.
Die von Helfgott genutzten Methoden könnte man prinzipiell auch für die Summe aus zwei Primzahlen anwenden - also um die Starke Goldbachsche Vermutung zu beweisen. Allerdings führen sie bislang nicht zu einer Obergrenze, ab der die Vermutung automatisch gilt. "Wir brauchen neue Ideen", sagt der Peruaner. Und er wäre kein guter Mathematiker, wenn er nicht schon die eine oder andere im Hinterkopf hätte.
Die Sache mit der Fields-Medaille hat Helfgott abgehakt. Das Reglement der International Mathematical Union ist streng - die Altersgrenze liegt bei 40 Jahren. In vier Jahren auf dem nächsten Kongress in Rio werden wieder vier Mathematiker die Goldplakette bekommen - aber Helfgott scheidet als Empfänger aus. "Im Jahr 2018 bin ich fünf Wochen zu alt."