Initiative "Pro-Test" Warum Italiener für Tierversuche demonstrieren

Demonstration von "Pro-Test Italia" in Mailand: "Wichtig, dass die Wissenschaft auch zu Wort kommt"
Foto: Lorenzo Todaro"Ich mag es nicht, wenn Menschen manipuliert werden", sagt Daria Giovannoni. Die Psychologie-Studentin ist die Präsidentin der jungen Organisation "Pro-Test Italia". Das Ziel der Gruppe: in der Debatte um Tierversuche zu erklären, warum diese notwendig sind. "Die Öffentlichkeit hört fast nur die andere Seite. Radikale Tierversuchsgegner manipulieren die öffentliche Meinung", sagt Giovannoni. Mit Tierbildern und emotionalen Geschichten werde der Eindruck erweckt, dass Tierversuche grausam und unnötig seien. Der Nutzen der Experimente sei dagegen schwieriger zu vermitteln - und werde in Berichten oft ausgeklammert. "Es ist wichtig, dass die Wissenschaft auch zu Wort kommt."
Giovannoni und ihre Mitstreiter sprechen sich bewusst für Tierversuche aus. Eine in der Öffentlichkeit selten präsentierte Haltung, die ihnen nicht nur Sympathien einbringt. Doch warum geht die Gruppe diesen Weg?
Anlage in Mailand gestürmt
Die Initialzündung für die Gründung von "Pro-Test Italia" war ein Vorfall im April: Aktivisten besetzten eine Tierhaltungsanlage der Universität Mailand. Weil sich mehrere Menschen von innen an die Türen ketteten, konnte die Polizei nicht in die Räume eindringen, ohne diese Leute zu gefährden.
Sie wollten damit die Zustände dokumentieren, unter denen die Tiere leben, und das Problem der Tierversuche für die gesamte Gesellschaft sichtbar machen, schreiben Aktivisten der Organisation "Fermare Green Hill" auf ihrer Webseite . Es gehe darum, die Tiere zu befreien, und darum, dass die Politik endlich mit den falschen Versprechen aufhöre und Tierversuche endgültig verbiete. Das Hauptziel der Aktion war es, Aufmerksamkeit zu bekommen und eine Debatte zu starten, sagte ein Beteiligter in einem Interview .
Die Aktivisten richteten in den Labors Chaos an. Sie entfernten Schilder von Käfigen, setzten Tiere frei oder um. In der Anlage befanden sich hauptsächlich Mäuse, sagt Francesco Clementi vom Neuroforschungszentrum der Mailänder Universität. Es seien rund 1600 Tiere gewesen.
Viele Experimente mussten daraufhin abgebrochen werden. Die meisten Tiere sind für Versuche nicht mehr einsetzbar. Die Universität beziffert den Schaden auf 1,8 Millionen Euro. Die Aktivisten hätten einige Tiere mitgenommen, sagt Clementi. Die restlichen seien noch an der Universität, wo sie weiter versorgt werden, bis sie sterben. "Es ist eine Verschwendung, es ist traurig." Die Universität habe Anzeige erstellt. Man hoffe, dass tatsächlich ein Gerichtsverfahren folgen wird.
Wie seine Kollegen war auch Clementi von der Aktion überrascht. "Wir halten in der Anlage alle Standards ein", sagt er. "Wer Experimente mit Tieren macht, ist nicht nur aus moralischen Gründen daran interessiert, dass es den Tieren gut geht." Würden die Mäuse unter Stress, Angst, Hunger leiden, würde das die Versuchsergebnisse beeinflussen.
Bedroht und als Mörder beschimpft
Dass sich Menschen fürs Wohl der Tiere einsetzen, hält der Wissenschaftler grundsätzlich für wichtig. "Als ich vor Jahrzehnten in der Forschung angefangen habe, hat man sich darum viel weniger gekümmert. Es ist gut, dass sich das geändert hat."
Clementi nennt sogar eine positive Folge des Vorfalls vom April: Dass jetzt eine öffentliche Diskussion stattfinde, und in dieser nicht nur die Tierversuchsgegner zu Wort kommen.
Seit der Gründung Ende April hat Pro-Test Italia drei Veranstaltungen organisiert. Direkt nach dem Vorfall in Mailand demonstrierten einige Forscher und Studenten vor der Universität. An einer zweiten Demonstration in Mailand nahmen nach Angaben der Organisation etwa 400 bis 600 Menschen teil. Im Juni gab es außerdem eine Veranstaltung in mehreren italienischen Städten, darunter Rom, Neapel und Bologna. Es handelt sich um eine Non-Profit-Organisation, die von Mitgliederbeiträgen und Spenden finanziert wird.
Die Forscher, die sich jetzt etwa im Rahmen von "Pro-Test Italia" äußern, müssten allerdings hartgesotten sein. "Einige unserer Mitglieder wurden bedroht und als Mörder beschimpft", sagt Daria Giovannoni. Zur Präsidentin der Gruppe sei sie gewählt worden, weil sie als angehende Psychologin kein Eigeninteresse an Tierversuchen habe - im Gegensatz zu Mitgliedern aus der biomedizinischen Forschung, die mit Tieren arbeiten.
"Pro-Test Italia" hat noch ein weiteres Ziel: Italien müsse endlich die EU-Tierversuchsrichtlinie von 2010 umsetzen, die die Vorschriften für Experimente verschärft, erklärt Daria Giovannoni im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Das hätte eigentlich schon vor Monaten passieren müssen. In der Richtlinie ist auch das Ziel definiert, Experimente mit lebenden Tieren "vollständig zu ersetzen, sobald das wissenschaftlich möglich ist". Die Richtlinie ziele daher darauf ab, alternative Ansätze zu erleichtern und zu fördern.
Das besagt auch das schon vor Jahrzehnten etablierte 3-R-Prinzip, das auch die Unterzeichner der "Basler Deklaration" zu Tierversuchen explizit erwähnen: "Replace, Reduce, Refine". Das heißt: Tierversuche sollen, wann immer möglich, durch andere Methoden ersetzt werden - etwa durch die Arbeit mit Zellkulturen ("Replace"). Gibt es noch keine Alternativmethode, so soll die Zahl der Tiere ("Reduce") ebenso verringert werden wie ihr Leid ("Refine").
Denn auch wenn sich Forscher im Rahmen der Basler Deklaration oder in Form von "Pro-Test Italia" für Tierversuche aussprechen, wollen sie unterm Strich so wenig davon wie möglich. Sie wollen aber, dass Experimente stattfinden können, ohne dass Labore verwüstet und Wissenschaftler bedroht werden.