Psychologie "Ich bin grandios, alle anderen sind Flaschen"
SPIEGEL: Herr Schmidbauer, Sie arbeiten nicht nur als Psychoanalytiker, sondern auch in den Bereichen Supervision und Coaching. Welche Eigenschaften sollte eine gute Führungskraft mitbringen?
Schmidbauer: Führungsaufgaben sind im Grunde Beziehungsaufgaben. Ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder, dass sich Menschen mit einem gestörten Selbstgefühl schnell in Probleme verwickeln, ohne dass ihnen das bewusst ist.
SPIEGEL: Können Sie das erläutern?
Schmidbauer: Ich unterscheide zwischen einem gesunden, reifen und einem gestörten, kranken Narzissmus. Wir alle haben Machtgelüste und das Bedürfnis nach Selbstausdruck und Grandiosität. Die Frage ist nur, wie sehr wir uns dies eingestehen und wie wir den gesunden Narzissmus auf gute Weise stabilisieren.
SPIEGEL: Was treibt Vorgesetzte, die auf Schwächen und Fehler ihrer Mitarbeiter streng und hart reagieren?
Schmidbauer: Führen und erziehen, das sagte schon Sigmund Freud sinngemäß, sind die Professionen, bei denen man sicher sein kann, dass man nie alle gleichermaßen zufriedenstellt. Es gibt viele pseudostarke Chefs, deren Narzissmus nicht in der Balance ist. Sie geben vor, alles im Griff zu haben, versäumen aber, die richtigen Fragen zu stellen und ihr Team kreativ arbeiten zu lassen. Dadurch entstehen grobe Fehler.
SPIEGEL: Beispielsweise?
Schmidbauer: Das Selbstgefühl solcher Chefs schreit dauernd: "Ich bin grandios, alle anderen sind Flaschen." Sie feiern mit der Abwertung der Mitarbeiter dauernd die eigene Stärke, Misserfolge werden auf die Unfähigkeit anderer reduziert, Widersprüche niedergebügelt. Solche Chefs umgeben sich gern mit Schmeichlern, die ihnen auch angesichts von Fehlern dauernd huldigen.
SPIEGEL: Zu unserer Überraschung empfehlen Sie in Ihrem Buch "Persönlichkeit und Menschenführung", die Schriften von Macchiavelli zu lesen, die gemeinhin eher als Anleitung für skrupellose Machtmenschen gelten.
Schmidbauer: Ich mache ja viel Supervision bei Sozialberuflern. Die sind häufig sehr naiv, was Strukturen der Macht angeht, sie haben wenig oder kein Bewusstsein dafür, was Machtzuwachs eigentlich bedeutet. Sie übernehmen eine Führungsposition, sind dankbar für die Beförderung und geben sich den Mitarbeitern gegenüber großzügig. Insgeheim haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie plötzlich Macht haben. Also tun sie in kumpeliger Manier so, als hätte sich nichts geändert.
SPIEGEL: Und distanzieren sich auf diese Weise von ihrem Machtzuwachs?
Schmidbauer: Es gibt Chefs, die an ihrer Gutherzigkeit oder ihrem Helfersyndrom scheitern. Solche eher depressiven Persönlichkeiten gibt es durchaus auch in der Wirtschaft. Sie halten den Druck nicht aus, weil sie ihre Rolle nicht finden und von allen geliebt werden möchten. Die brauchten Hilfe, bevor sie körperlich zusammenbrechen. Es ist sinnvoll, sich klarzumachen: Wie gehe ich mit meiner Macht um?
SPIEGEL: Was sind dabei typische Fehler?
Schmidbauer: Ein Beispiel: Ein Arzt wird Klinikchef. Einer seiner Kollegen kommt zu ihm und klagt über sein Zimmer. Er will ein besseres, und der Chef verspricht ihm das auch. Dann kommt ein zweiter, der ebenfalls ein neues Zimmer fordert. Der Chef hat aber nur ein größeres zu vergeben. Er könnte die Zimmervergabe an Bedingungen knüpfen, tut es aber nicht und hat über kurz oder lang Krach mit beiden Kollegen. Er möchte als liebevoll und besorgt gelten, wird aber nur als unfähig erlebt.
SPIEGEL: Inwieweit spielen unser Unbewusstes und sein "Führungsanspruch" eine Rolle beim Chef-Sein?
Schmidbauer: Ich denke, dass uns viele unserer narzisstischen Bedürfnisse, also unsere Wünsche nach Anerkennung und Prestige, nicht bewusst sind. Und viele Führungskräfte tun sich schwer mit der Einsamkeit einer Chefsituation, die damit zu tun hat, dass man nicht mehr so nah an den Kollegen dran ist wie früher.
SPIEGEL: Sind wir alle von Narzissmus getrieben?
Schmidbauer: Ja, alle Menschen haben Anerkennungsbedürfnisse. Der Narzissmusbegriff ist nützlich, um die Belastbarkeit des Selbstgefühls zu beurteilen. Ist die narzisstische Struktur stabil, sagt der Vorgesetzte: Der Mitarbeiter hat einen Fehler gemacht, arbeitet jedoch sonst gut, ich konfrontiere ihn, vermittle ihm gleichzeitig aber meine Wertschätzung. Ein anderer Chef kann Kränkungen nicht angemessen verarbeiten. Sein Selbstgefühl bricht unter Belastung zusammen; Er zeigt destruktive Reaktionen, um das auszugleichen. Er reagiert beispielsweise auf den Fehler eines Mitarbeiters so, als wäre dieser ein totaler Versager. Er entwertet ihn vollständig und ist, bewusst oder unbewusst, davon überzeugt, dass er mit dieser Kritik im Recht ist. Ergebnis: Der Mitarbeiter fühlt sich schlecht behandelt und kündigt womöglich.
SPIEGEL: Oder flüchtet sich in eine innere Kündigung.
Schmidbauer: Ja. Ein solcher Chef schafft ein Klima der Angst oder der Resignation.
SPIEGEL: Also sollte sich jeder Chef in seiner eigenen Psyche etwas auskennen und sein Verhalten kritisch reflektieren?
"Frauen sind an die Moderne viel besser angepasst als Männer"
Schmidbauer: Gut wäre es. Ein Chef mit einer reifen narzisstischen Struktur kann seine Geltungsbedürfnisse reflektieren, akzeptiert sie aber auch bei seinen Mitarbeitern. Der Unreife hält sich für den Größten und die anderen nicht als Partner bei Problemlösungen. Umgangssprachlich nennen wir Menschen mit unreifen narzisstischen Strukturen "Narzissten".
SPIEGEL: Wann bricht ein solches System?
Schmidbauer: Es hängt davon ab, wie viel Druck von außen wirkt. Aber solche Konstellationen können sich lange halten, auf einem unproduktiven, kräftezehrenden Niveau.
SPIEGEL: Warum haben Frauen häufig Hemmungen, sich in eine Vorgesetztenrolle zu begeben?
Schmidbauer: Sie sind oft zögerlicher und trauen sich weniger zu, leider. Sie haben Angst aufzufallen, als ehrgeizig oder machtbewusst zu gelten. Dabei sind Frauen meiner Meinung nach an die Moderne viel besser angepasst als Männer.
SPIEGEL: Inwiefern?
Schmidbauer: Männer haben eine große Tendenz, Dinge auf der kämpferischen, ja sogar auf der körperlichen Ebene auszutragen. Das sieht man ja bei Jungs sehr gut, die ihr Selbstgefühl gern über Kraftentfaltung organisieren. Frauen positionieren sich eher über die Beziehungsebene, schaffen Kontakte, vernetzen sich. Das sind die Qualitäten, die wir heute brauchen. Körperkraft, die braucht man vielleicht noch für die Müllabfuhr.
SPIEGEL: Vielleicht sollte ein Unternehmen gleich mehrere Führungspositionen mit Frauen besetzen?
Schmidbauer: Klar ist es leichter, in eine Gruppe hineinzufinden, wenn frau nicht alleine ist. Stellt man ein neues Team zusammen, ist es ja auch besser, nicht ein einzelnes Mitglied in eine bestehende Gruppe zu integrieren, sondern möglichst zwei oder drei Personen. Andererseits müssen einzelne Frauen den Anfang machen, sonst folgen andere nicht nach.
SPIEGEL: Was fällt Chefs am schwersten?
Schmidbauer: Womit sich viele sehr schwertun, ist die Einfühlung in andere. Emotionale Intelligenz oder Empathie heißt das heute und meint nichts anderes als zu verstehen, wie andere Leute ticken. Das lässt sich nicht einfach mechanisch durch Regeln lernen. Das ist eine emotionale Aufgabe, es hat auch mit Verständnis für die eigenen Schwächen zu tun.
SPIEGEL: Männer, die in Unternehmen zu viele Gefühle zeigen, gelten ja schnell als Problemfälle.
Schmidbauer: Stimmt, Männer haben es nicht leicht. Aber sie können viel an Empathie lernen, dafür eignet sich Coaching schon sehr gut. Ein guter Chef versteht die Anerkennungsbedürfnisse seiner Mitarbeiter und hält sein Team auf einem entsprechenden Kurs. Kommt es beispielsweise zu Mobbing in einer Abteilung, ist meist schon etwas schiefgelaufen, da wurden Anerkennungs- und Kooperationsdefizite im Vorstadium nicht erkannt.
SPIEGEL: Gerade harte Formen des Mobbings werden doch gern eingesetzt, um bestimmte Mitarbeiter loszuwerden.
Schmidbauer: Mobbing wird tatsächlich oft betrieben, wenn man jemanden nicht kündigen kann. Und oft stellen Chefs irritiert fest, wie lange Mitarbeiter trotz Mobbings auf ihrer Stelle ausharren. Gemobbte verlieren das Selbstvertrauen, das sie benötigen würden, um sich eine neue Stelle zu suchen.
SPIEGEL: Was soll jemand auch tun, der Ende vierzig ist und zwei Kinder in der Ausbildung hat.
Schmidbauer: Genau. Der kündigt nicht, wenn er gemobbt wird, der wird eher krank. Natürlich halte ich diese Formen der Ausgrenzung für eine destruktive Maßnahme. Und sie ist auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit.
SPIEGEL: Sind regelmäßige Gespräche nicht ein gutes Führungsmittel?
Schmidbauer: Guter Kontakt zum Personal wird nicht automatisch über Mitarbeitergespräche gefunden, solche Maßnahmen können purer Formalismus sein. Ein Chef muss integrativ wirken wollen und können, er muss die richtigen Fragen stellen und zuhören können und auch sicherstellen, dass er verstanden wird. Ein formales Gerüst hilft, führt aber zu Problemen, wenn es persönliche Kreativität ersetzen soll.
SPIEGEL: Der neue US-Präsident Barack Obama hat kürzlich ganz offen einen Fehler eingeräumt, es ging um seinen Wirtschaftsminister. Wie beurteilen Sie das?
Schmidbauer: Ich denke, es ist Obamas Stil, sich für Fehler zu entschuldigen. Ich glaube, er sagt sich: Zu meiner Identität passt es, Fehler zuzugeben. Und meiner Meinung nach ist das die bessere Haltung für einen Boss, keine Frage.