Psychosen Städter erkranken häufiger an Schizophrenie

Patienten mit Psychose: Schon mehrere Jahre vor der Diagnose verändern sich Menschen.
Foto: DAK / WiggerDepressive Verstimmungen, akustische Halluzinationen, Verlust des Realitätsbezugs - mit diesen Symptomen machen sich Psychosen häufig bemerkbar. Ob man derartige psychische Störungen erlebt, hängt offenbar auch davon ab, ob man in der Stadt oder auf dem Land aufwächst.
Schon früher hatten Forscher Hinweise darauf gefunden, dass Schizophrenie und andere psychotische Erkrankungen in Städten weiter verbreitet sind als auf dem Land. Nun erhärteten Forscher um Stanley Zammit vom Institut für Psychologische Medizin und Neurologie der britischen Cardiff University diesen Verdacht in einer umfangreichen Studie. Auch zu den Ursachen dafür, dass das Stadtleben der Psyche offenbar schaden kann, brachte die aktuelle Studie, die nun im Fachmagazin Archives of General Psychiatry erschienen ist, neue Erkenntnisse.
"In Städten gibt es öfter als in ländlichen Gegenden Viertel, in denen viele Menschen hin- und wegziehen und in denen viele alleinerziehende Eltern mit ihren Kindern wohnen", sagt Zammit. "Wir nehmen an, dass die Bewohner solcher Viertel im Schnitt weniger stabile soziale Netzwerke haben und dass dies bei der Entwicklung psychotischer Erkrankungen eine Rolle spielen könnte."
Zammit und seine Kollegen sammelten detaillierte Informationen unter anderem über Wohnort, Schullaufbahn und gegebenenfalls Krankenhausaufenthalte jeder einzelnen Person - darunter waren sowohl an Psychosen erkrankte Menschen als auch solche ohne diese psychischen Störungen. Das Ergebnis: "Der Zerfall sozialer Strukturen war der wichtigste auf die Wohngegend bezogene Faktor, der das erhöhte Psychose-Risiko von Menschen erklärt, die in Städten aufwachsen", schreiben die Autoren.
Frühere Studien, die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Stadtleben und psychischen Erkrankungen gefunden hatten, vermuteten meist andere Ursachen: die hohe Bevölkerungsdichte, Lärm, Reizüberflutung oder das größere Ausmaß an Gewaltkriminalität in Städten.
Nicht alle Wissenschaftler sind jedoch überzeugt von den Ergebnissen der britischen Mediziner: "Es wäre auch denkbar, dass Menschen, die schon gefährdet sind, öfter in Städte ziehen als andere", sagte Norbert Kathmann, Professor für Klinische Psychologie an der Humboldt-Universität in Berlin, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Insofern wäre das Leben in der Stadt nicht die Ursache für Psychosen, sondern die Veranlagung zu einer psychotischen Erkrankung wäre umgekehrt die Ursache für den Umzug in eine Stadt - das klassische Henne-Ei-Problem.
Kathmann sieht eine weitere Gefahr der Verzerrung: "Möglicherweise unterscheiden sich Kliniken in der Stadt und auf dem Land in ihrer Aufnahmepolitik. Es ist vorstellbar, dass Psychiatrien auf dem Land nur Betroffene mit schweren Psychosen aufnehmen, solche in der Stadt dagegen schon Patienten mit leichten Symptomen." Das würde bedeuten, dass schlichtweg die Statistik verzerrt ist - die Patienten auf dem Land würden demnach einfach seltener registriert.
Für die Untersuchung hatten die britischen Forscher Daten von 203.829 Schweden analysiert. Sie suchten sich dieses Land aus, weil in Schweden umfangreiche Informationen über die Bevölkerung in anonymisierter Form zur Verfügung stehen. Etwa ein Prozent der Schweden aus der Stichprobe hatten schon einmal eine Schizophrenie oder andere psychotische Erkrankung erlitten.
Psychosen haben mehrere Ursachen: Durch genetische Eigenschaften oder Probleme bei der Geburt kann es zu einer Reifungsstörung des Gehirns kommen. So kann dieses unter Umständen belastende Situationen schlechter verarbeiten. Stress, traumatische Lebensereignisse oder eben mangelnder sozialer Zusammenhalt können bei einer solchen Prädisposition Psychosen auslösen.