Runder Tisch in Berlin Gentechnik - stopp oder topp?
Berlin - Der Runde Tisch in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung ist eckig. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat Vertreter aus Wissenschaft, Verbänden, Kirchen und Industrie zusammengetrommelt. Neben ihr sitzt Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner. Die CSU-Politikerin hat im April die einzige in der EU zugelassene Gentechnikpflanze wieder verboten und damit eine Grundsatzfrage aufgeworfen: Soll die Regierung gentechnische Pflanzen weiter forcieren, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung dies Umfragen zufolge ablehnt?
Schavans Hauptreferenten beantworteten diese Frage mit einem klaren Ja.

Schavan (links) und Aigner (rechts): "Hunger und Armut wachsen"
Foto: DPAJoachim von Braun, Direktor des International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington und damit einer der führenden Fachleute für die Welternährung, warnte davor, auf grüne Gentechnik zu verzichten. Bis 2050 müsse die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt werden. Schon heute gebe es eine Milliarde hungernde und zwei Milliarden mangelernährte Menschen. Gentechnisch veränderte Pflanzen seien zwar kein Allheilmittel, doch ohne ihre Nutzung würden "Hunger und Armut wachsen".
Stefan Marcinowski, Vorstandsmitglied der BASF, hob hervor, dass gentechnisch veränderte Pflanzen der Umwelt zwischen 1996 und 2007 rund 350.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel erspart hätten. Das wirtschaftliche Potential dieser Pflanzen sei gewaltig, weshalb der "zehn Jahre dauernde Stillstand in der EU" ein Ende haben müsse. Eine Trennung von Forschung und Anwendung, wie sie die CSU fordert, sei nicht machbar: "Sie können auch einem Autobauer nicht sagen, er solle beim Prototypen aufhören", sagte Marcinowski.
Diese Aussagen hörte Forschungsministerin Schavan gerne. Für Agrarministerin Aigner stehen die Plädoyers aber in Konflikt mit dem Kurs ihrer Partei, der CSU. Zwar hat der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zuletzt die Attacken gegen Grüne Gentechnik etwas abgeschwächt. Doch vom Dauerfeuer seines Umweltministers Markus Söder (CSU) gegen den "Eingriff in die Schöpfung" erhofft sich Seehofer wichtige Stimmen aus dem ländlich-kirchlichen Milieu, um bei der Europa- und der Bundestagswahl kein Debakel zu erleiden. Von der CSU-Bundesministerin Aigner erwartet Seehofer eigentlich, in Berlin ein Maximum an Restriktionen durchzusetzen.
"Es geht sehr wohl ohne Gentechnik"
Der Runde Tisch wirkte da wie der Versuch Schavans, ihre Kabinettskollegin mit möglichst vielen Pro-Argumenten für den CSU-internen Meinungsstreit auszustatten. Klare Gegner fanden sich unter den 28 Teilnehmern nur zwei: Der Vertreter des Deutschen Naturschutzrings beklagte, die Runde sei "einseitig besetzt". Er widersprach der Vorgabe Schavans, dass ein grundsätzliches Nein zur Gentechnik ganz sicher nicht Ergebnis der Zusammenkunft sein werde: "Es geht sehr wohl ohne Gentechnik."
Der Vertreter der Bio-Lebensmittelbranche kritisierte, der Beitrag der Gentechnik zur Welternährung werde maßlos überschätzt, dafür würden die Risiken unterschätzt. Es sei an der Zeit, den westlichen Lebensstil zu thematisieren und Forschungsmittel auf den umweltschonenden ökologischen Landbau zu konzentrieren.
Doch die Hauptredner ließen sich davon nicht aus dem Konzept bringen. "Man darf das Vorsorgeprinzip nicht politisch missbrauchen", sagte BASF-Vorstandsmitglied Marcinowski, erkennbar an Aigner gerichtet. Die staatlichen Zulassungsverfahren seien sehr streng, dann müsse man sie "bitte auch respektieren". Aigner hatte den Mais MON 810 verboten, obwohl die zuständigen Behörden keine Bedenken gegen das Produkt hatten. Sie zog zur Begründung Studien heran, die in den Forschungsinstituten ihres Ministeriums als wenig aussagekräftig beurteilt werden. Aigner vermied es bei dem Treffen am Mittwoch, irgendetwas zu sagen, was pro oder contra Gentechnik gewertet werden könnte. Sie wollte sich nicht in die Karten schauen lassen.
"Spürbare Reduktion von Armut und Hunger"
Schavans Anliegen beim Runden Tisch war es dagegen, den Befürwortern ein Forum zu bieten und zudem den Blick über Deutschland hinaus zu weiten. Für Indien zog Joachim von Braun eine positive Bilanz des Anbaus von gentechnisch veränderter Baumwolle: In Westindien seien die Einkommen ganzer Dörfer durch die Pflanzen um 50 bis 80 Prozent gestiegen, es habe eine "spürbare Reduktion von Armut und Hunger" gegeben.
Extrem arme Haushalte hätten ihr Einkommen pro Hektar von 48 auf 60 Dollar erhöhen können, arme Haushalte von 100 auf 200 Dollar. Dabei sei ein Faktor, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 41 Prozent reduziert worden sei. Berichte über Selbstmorde von Bauern, die sich für Gentechnik-Saat gut überschuldet hätten, seien einseitig: Die Selbstmordrate sei schon immer erschreckend hoch gewesen und durch den Gentechnik-Einsatz nicht gestiegen.
Um die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherheit wirklich zu verbessern, sei viel mehr nötig als Gentechnik, sagte von Braun: Investitionen in Infrastruktur, technische Ausstattung und Beratung sowie ein Abbau von Handelsschranken. Der nötige Zuwachs an Produktivität um drei Prozent pro Jahr lasse sich aber nur mit "intensiver Forschung und Entwicklung" und einer Verdoppelung der weltweiten Agrarforschungsmittel auf zehn Milliarden Dollar leisten.
Die in Deutschland weit verbreitete Haltung, dass Grüne Gentechnik überflüssig sei und dem Verbraucher keine direkten Vorteile bringe, geißelte von Braun scharf: "Das grenzt die Mehrheit der Menschen aus und stoppt dringend nötige Innovationen im Ansatz."
Nach der Fachdiskussion betonten die beiden Ministerinnen vor der Presse, wie sehr ihnen an einem gemeinsamen Vorgehen gelegen sei. Wie sich aber der CSU-Kurs mit Schavans Strategie vereinbaren lassen soll, bleibt weiterhin ein Rätsel. Weitere Runde Tische sollen folgen, doch vorsorglich kündigte Aigner an, sie werde wichtige Fragen wie das europäische Zulassungsverfahren und die Rechte gentechnikfreier Regionen "in meinem Ressort" klären.