Neuer Militärbericht Russland hat schätzungsweise 50 Prozent seiner Kampfpanzer verloren

Panzerhaubitze K9 Thunder aus Südkorea
Foto: piemags / IMAGODieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Das vergangene Jahr hat die Welt erschüttert. Russlands Überfall auf die Ukraine hat nicht nur in Europa vieles in Bewegung gebracht, sondern auch global. Durch Waffenlieferungen veränderten sich Armeebestände so massiv wie seit Jahren nicht. Viele Panzer oder Kampfjets wurden zerstört, die Kriegsparteien ließen sich mit militärischem Equipment aus anderen Nationen versorgen.
Welche Auswirkungen der russische Angriffskrieg auf die Armeen der Welt hat, zeigt der jährliche Bericht »Military Balance«, den das britische International Institute for Strategic Studies (IISS) nun veröffentlicht hat – eine der wichtigsten Militärdatenbanken. Dafür sammeln die Expertinnen und Experten Daten zu internationalen Rüstungsentwicklungen.
Dieses Jahr fokussiert sich die Arbeit der Fachleute wenig überraschend stark auf den Krieg in der Ukraine und auf die Verluste der russischen Armee, die schätzungsweise 50 Prozent der T-72B3- und T-72B3M-Panzer und viele T-80-Panzer eingebüßt haben soll. Diese Fahrzeugtypen zählen zu den modernsten, die Russland besitzt.
Das Nachrüstprogramm für den T-72B3M begann erst 2014, er ist beispielsweise mit einer moderneren Reaktivpanzerung sowie einem neueren Feuerleitcomputer ausgestattet. Durch die Verluste hat sich die Zusammensetzung der gepanzerten Fahrzeugflotte verändert. Russland verwendete zunehmend ältere Ausrüstung, die wieder in Dienst gestellt wurde.
Hohe Verluste bei Kampfjets
Den russischen Streitkräften gelang es bis heute nicht, Luftüberlegenheit zu erlangen – auch das schlägt sich in den militärischen Verlusten nieder. Nach Schätzung des IISS hat Russland im Jahr 2022 etwa sechs bis acht Prozent seiner taktischen Kampfflugzeuge verloren, von einigen Flugzeugtypen sogar zwischen zehn und 15 Prozent. Darunter sind das Mehrzweckkampfflugzeug Suchoi Su-30SM Flanker, das Ende der Achtzigerjahre in Dienst gestellt wurde, sowie die Bomber Suchoi Su-24M und die modernere Version M2.

Zerstörter russischer Panzer
Foto: NACHO DOCE / REUTERSAuch von der Suchoi Su-25 hat die russische Luftwaffe viele verloren, dabei handelt es sich um gepanzerte Erdkampfflugzeuge, die dafür entwickelt wurden, feindliche Bodenziele anzugreifen und Bodentruppen zu unterstützen. Selbst vom moderneren Jagdbomber Suchoi Su-34 gingen viele verloren.
Aufgrund dieser Verluste und der fehlenden Lufthoheit hätten die Russen irgendwann ihre Strategie ändern müssen. Ziele in der Ukraine wurden aus großer Entfernung und in großem Umfang durch Marschflugkörper und andere Waffen angegriffen. Der Bericht des IISS deckt sich mit den Beobachtungen vieler anderer Experten im Laufe des vergangenen Jahres.
Das gilt auch für abgeschossene und zerstörte ukrainische Kampfflugzeuge: Das Land habe proportional höhere Verluste erlitten. »Wir schätzen, dass sie etwa die Hälfte ihres Bestandes an aktiven taktischen Kampfflugzeugen aus der Vorkriegszeit verloren haben«, heißt es in einer Mitteilung des IISS.

Russische Su-25 der bulgarischen Luftwaffe
Foto: StockTrek Images / IMAGOAndererseits belegt die neue Ausgabe der »Military Balance« auch den Zuwachs der ukrainischen Armee durch die zahlreichen Waffenlieferungen aus dem Westen. Die ukrainische Artillerie- und Panzerfahrzeugflotte befinde sich in einem Transformationsprozess. Immer mehr schweres Gerät von Partnerländern wurde geliefert.
Interessant ist ein Blick auf die Folgen des Krieges, die sich in vielen europäischen Armeen bemerkbar machen. So hat etwa Polen Waffen an sein Nachbarland abgegeben, darunter Kampfpanzer vom Typ T-72. Deswegen schauen sich viele europäische Armeen in anderen Ländern nach Nachschub um. »Südkorea hat sich durch diesen Prozess zu einem wichtigen Verteidigungslieferanten in Europa entwickelt«, berichtet das IISS. Das asiatische Land liefert Kampfpanzer vom Typ K2 Black Panther und die Panzerhaubitze K9, ein Kettenfahrzeug ähnlich der deutschen Panzerhaubitze 2000.
Russland könnte Kampfjets liefern
»Military Balance« macht aber nicht nur auf Verluste an militärischem Gerät aufmerksam, die Russland im Krieg erlitten hat, sondern auch auf neue Ströme für Waffenlieferungen, die sich durch den Krieg für Moskau ergeben könnten. Russland hat einerseits Drohnen und möglicherweise auch ballistische Raketen von Iran bezogen. Im Gegenzug könnte Russland Teheran Suchoi-34-Kampfflugzeuge liefern, die ursprünglich für Ägyptens Armee produziert wurden, berichten die Expertinnen und Experten des IISS auf einer Pressekonferenz.
Für Iran würde diese Lieferung einen erheblichen Gewinn an militärischen Fähigkeiten bedeuten. Das Land hatte mit der Entwicklung seiner umfangreichen Drohnenflotte vor Jahren vor allem deshalb begonnen, weil das Regime aufgrund der Wirtschaftssanktionen keine Möglichkeit sah, eine schlagkräftige Luftwaffe mit Kampfjets aus eigener Produktion zu entwickeln.
Insgesamt hat die verschärfte Sicherheitslage mehrere europäische Staaten dazu veranlasst, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, berichtet IISS-Direktor John Chipman. Es gehe darum, militärische Fähigkeiten wie den Schutz vor Angriffen aus der Luft zu verbessern. Allein in Europa seien die jährlichen Verteidigungsausgaben zum achten Mal in Folge gestiegen. Aber durch die Inflation sei der Wert der weltweiten Ausgaben für militärische Aufrüstung im Jahr 2022 real um 2,1 Prozent gesunken, heißt es.
China könnte die USA überholen
Der Bericht nimmt auch andere Regionen der Welt in den Blick. Ein militärischer Konflikt zwischen den USA und China führt im pazifischen Raum ebenfalls zu Aufrüstungen. Peking hat seine Militärausgaben so stark erhöht wie nie zuvor. Sie wuchsen 2022 um sieben Prozent. China kündigte etwa neue Flugzeugträger an, auch die Produktion von J-20A-Kampfflugzeugen ist weiter gestiegen.
Wenn die Produktion in dem Tempo weiter steigt, wird das Land in diesem Jahr erstmals mehr Kampfflugzeuge der fünften Generation besitzen als die USA mit ihren hochmodernen F-22. Aufgrund der Furcht vor Chinas wachsender militärischen Stärke investieren auch andere Staaten in der Region in militärisches Gerät, vor allem Australien und Japan. Und auch Südkorea modernisiert seine Streitkräfte weiter.
Bei so viel Aufrüstung ist ein alter Bekannter der globalen Sicherheitskrisen schon fast eine Randnotiz: Nordkoreas Kim Jong Un ließ 2022 mehr ballistische Raketen testen als jemals zuvor.