
Der, die, das: Bei Sagrotan kommt es auf jedes Wort an
Foto: SPIEGEL ONLINEEs gibt Wunder! Zehntausend Arten von Bakterien wimmeln um uns herum. Und dann verspricht der Hersteller von Sagrotan, dass er (fast) alle mit einem Wisch beseitigt. Kann das wirklich sein?
Der Hersteller Reckitt Benckiser (RB) bewirbt sein Putzmittel Sagrotan mit dem Slogan, der Multi-Reiniger desinfiziere mit dreifacher Reinigungskraft - und entferne "99,99 Prozent der Bakterien".
Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass es bereits am und im Menschen weit mehr als zehntausend verschiedene Bakterienarten gibt. Wie das sein kann, erklärt uns die RB-Pressesprecherin:
Erlauben Sie uns eine Anmerkung vorweg: Der Sagrotan-Claim lautet "Sagrotan entfernt 99,9 Prozent der Bakterien", was nicht gleichbedeutend ist mit der Aussage "Sagrotan entfernt 99,9 Prozent aller Bakterien".
Okay, ein kleiner, aber feiner Unterschied, auf den Flaschen steht jedenfalls "Beseitigt 99,99 Prozent". Und wir dachten, bei Sagrotan handle es sich um ein echtes Allzweckmittel! Wir sollen aber nicht enttäuscht sein, der Hersteller schreibt weiter:
"Für RB ist es von größter Bedeutung, dass die Aussagen zur Produktleistung von Sagrotan auf wissenschaftlichen Daten basieren. Die antibakteriellen Eigenschaften der Sagrotan Produkte werden in Anlehnung an EN 1276 (Suspensionstest) und EN 13697 (Oberflächentest) getestet. Bei beiden Testmethoden wird auf vier Standard-Bakterienstämme getestet: Escherichia coli, Staphylococcus aureus, Enterococcus hirae und Pseudomonas aeruginosa. Diese Bakterien sind repräsentativ für eine Vielzahl verschiedener Bakterien. Sie wurden zum einen aufgrund ihrer relativen Widerstandsfähigkeit gegen Desinfektion und zum anderen wegen ihrer Relevanz im Alltag ausgewählt."
Machen wir uns nichts vor: Die Angabe 99,99 Prozent bezieht sich also ausschließlich auf die keimabtötende Wirkung des Desinfektionsmittels für eine genau definierte Gruppe von Bakterien - Experten sprechen auch vom Wirkungsspektrum. Dieses enthält allerdings nur einen kleinen Teil der auf der Welt vorkommenden Bakterien. Bei dem Wert von 99,99 Prozent reduziert das Mittel den Befall von Bakterien aus dem Wirkungsspektrum auf ein Zehntausendstel des ursprünglichen Werts. Das ist gut, lässt aber dennoch nur einen Rückschluss auf bestimmte Bakterien zu - bei Sagrotan eben auf Bakterien, die Magen-Darmerkrankungen, Durchfall, Lungenentzündungen oder Augen- und Wundinfektionen auslösen.
Würde sich die Angabe aber tatsächlich auf alle Bakterien beziehen, wäre sie mit Sicherheit falsch, da ein großer Teil der Bakterien in unserem Umfeld in Sporenform vorliegt. Gegen Erreger in dieser Art Winterschlaf können Desinfektionsmittel nicht wirken - die meisten dieser Bakterien sind allerdings auch nicht schädlich, sagt Rico Schmidt, Sprecher der Behörde für Gesundheit und Verbraucher der Stadt Hamburg.
Wie ein VW Polo auf 4 Liter
Die Sprecherin von RB legt noch einmal nach: Sagrotan sei nach Standardmethoden getestet, die vom Europäischen Komitee für Normung in den Bereichen Haushalt, Lebensmittelverarbeitung, Industrie und Institutionen empfohlen werden. Die Ergebnisse stützten klar die Auslobung "Entfernt 99,9 Prozent der Bakterien".
Walter Krämer, Professor für Statistik an der Universität Dortmund und Mitherausgebeber der "Unstatistik des Monats" , kann derartigen Aussagen nicht viel abgewinnen:
"Die Werbesprüche von Sagrotan sind vom gleichen Kaliber wie etwa die Behauptung von VW: unser neuer Polo braucht pro 100 Kilometer nur 4 Liter Sprit. Das stimmt zwar, aber nur unter bestimmten Versuchsbedingungen. Im normalen Alltag braucht er natürlich mehr, und genauso tötet Sagrotan im normalen Alltag auch weniger als 99,9 Prozent aller Bakterien ab.
Update, 26. November 2014:
Thomas Eckert, aufmerksamer Leser von "nachgeforscht", bemerkte in Sachen "Sagrotan" eine Ungereimtheit. Er schrieb uns, dass wir versäumt hätten, die Internetseite des Herstellers genauer anzusehen. Auf der Unterseite "Hygiene" verspreche Reckitt Benckiser (RB), das 99,9% ALLER Bakterien entfernt würden. "Somit scheint sich der Hersteller doch selbst zu widersprechen, und ich würde mich freuen, wenn Sie hier doch nochmals nachhaken."
Das haben wir getan. Der neue PR-Manager von RB rief uns einige Tage später zurück. Unser Leser habe natürlich recht, das sei ein bedauerliches Versehen. "Wir haben den Fehler selbstverständlich korrigiert."
Dieses Mal haben wir direkt geschaut: Die Information stimmt leider nicht. Auf der Website schreibt der Hersteller immer noch, das Reinigungsmittel wirke gegen 99,9 Prozent aller Bakterien.
Unsere neuerliche Rückfrage läuft.
Update 2, 30. November 2014:
Der PR-Manager von Reckitt Benckiser meldet sich. Die Formulierung auf der Website sei nun korrekt. Was stimmt. Auf der Website schreibt der Hersteller nun, das Reinigungsmittel wirke gegen 99,9 Prozent der Bakterien.

Und jetzt Sie: Haben Sie ein Produkt, dessen wissenschaftliche Bewerbung Sie staunen lässt? Wollten Sie schon immer wissen, ob die Zahnpasta besser ist, wenn Forscher ihre Wirkung garantieren? Oder was sind eigentlich Nanomicroperls? Schreiben Sie uns eine Mail - wir gehen Ihrer Frage auf den Grund! nachgeforscht@spiegel.de