Schrumpfende Bevölkerungen Europäer bleiben babymüde

Schrumpfende und vergreisende Gesellschaften: In allen Ländern Europas sind die Geburtenraten zu niedrig, um die gegenwärtige Bevölkerungszahl zu halten. Weil die Ausbildung immer länger dauert, schieben viele Paare ihren Kinderwunsch auf - und setzen ihn dann nicht mehr um.

Rostock - Dem sogenannten Ersatzniveau von statistisch 2,1 Geburten je Frau kämen nur Frankreich, Großbritannien, Irland und die nordischen Länder nahe, heißt es in einer Analyse des Max- Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock. Diese Staaten erreichten Werte von 1,8 bis 2,0, fassen die Forscher in der aktuellen Ausgabe Fachzeitschrift "Demografische Forschung aus Erster Hand"  zusammen. Sie beziehen sich damit auf Studien, die bereits vor einiger Zeit in einer Sonderausgabe des Journals "Demographic Research"  veröffentlicht wurden.

Seltenes Bild: In Deutschland werden weit weniger Kinder geboren, als zum Halten der derzeitigen Bevölkerungszahl nötig wären.

Seltenes Bild: In Deutschland werden weit weniger Kinder geboren, als zum Halten der derzeitigen Bevölkerungszahl nötig wären.

Foto: AP

Die deutschsprachigen Länder und die übrigen Staaten Mittel-, Ost- und Südeuropas hätten dagegen deutlich niedrigere Geburtenraten zwischen 1,3 und 1,5, so die Wissenschaftler. Die Max-Planck-Forscher erklären das Geburtentief in ganz Europa mit dem Aufschieben von Familiengründungen und dem veränderten Lebenslauf junger Menschen, in dem die Ausbildungszeiten eine immer größere Rolle spielen. In den späten Dreißigern und frühen Vierzigern schafften es Paare vor allem in Frankreich, Skandinavien, Belgien und den Niederlanden, ihren Kinderwunsch noch zu verwirklichen.

"In den nordischen Ländern, wo die Kinderbetreuungsinfrastruktur gut ausgebaut ist und wo Männer sich mehr als in anderen Teilen Europas an der Kindererziehung und Hausarbeit beteiligen, fallen diese Entscheidungen leichter", meinen die Forscher.

In den sechziger und siebziger Jahren habe es in Nord- und Westeuropa einen Kultur- und Wertewandel in Bezug auf Familiengründungen gegeben, der zunächst zu einem Sinken der Geburtenraten geführt habe. Dies habe sich inzwischen umgekehrt. "Der ursprünglich negative Zusammenhang zwischen dem Kultur- und Wertewandel und der Geburtenrate hat sich sogar in einen positiven verkehrt", heißt es in der Zeitschrift.

Die Untersuchung sieht einen Zusammenhang zwischen Familienpolitik und dem Vorherrschen toleranter und säkularer Werte: Die zunehmende Akzeptanz von eheähnlichen Gemeinschaften und nicht-ehelichen Kindern wirke sich inzwischen positiv aus. Allerdings liegt Irland, das die Forscher auf dem "Index der Familienwerte und des Verhaltens" nur im Mittelfeld verorten, bei der Geburtenrate noch vor Frankreich, Spitzenreiter ist Island. Deutschland, Österreich und Slowenien werden zwar als sehr tolerante und säkulare Länder eingestuft, ihre Geburtenraten sind jedoch unterdurchschnittlich.

Eine positive Wirkung auf die Geburtenrate hat nach Ansicht der Bevölkerungswissenschaftler auch die Einwanderung. In acht ausgewählten westeuropäischen Ländern (Niederlande, Großbritannien, Portugal, Österreich, Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland) hätten die Zuwanderinnen die Geburtenziffern zwischen 1997 und 2006 um drei bis acht Prozent gesteigert. Damit sei ihr Beitrag allerdings zu klein, um in diesen Ländern den Anstieg der Geburtenrate allein zu erklären.

Die Forscher halten auch die Familienpolitik für wichtig. Bedeutsam seien materielle Anreize zum Kinderkriegen sowie Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten. Auch die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen sei wesentlich.

Auf die Frage, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung und die politischen Umbrüche vor allem in den Ländern Osteuropas und in Ostdeutschland auf die Geburtenrate ausgewirkt haben, gingen die Forscher nicht ein.

chs/dpa
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