Seuche in Spanien Erster Schweinegrippe-Fall in Europa bestätigt

Die Schweinegrippe ist in Europa angekommen: Spanien hat die erste Infektion bestätigt. Experten glauben, dass der Erreger, der in Mexiko bereits mehr als 100 Menschen getötet hat, bald auch Deutschland erreicht. Die EU-Kommission will eine Krisensitzung einberufen.

Hamburg/Madrid/Zürich - Bisher hatte es lediglich Verdachtsfälle gegeben, jetzt ist es amtlich: Die Schweinegrippe ist in Europa angekommen. Das Virus vom Typ H1N1 wurde in Spanien bei einem jungen Mann identifiziert, teilte Gesundheitsministerin Trinidad Jiménez am Montag in Madrid mit. Es handele sich um einen Studenten, der kürzlich aus Mexiko heimgekehrt sei. Er spreche bisher gut auf die Medikamente an und befinde sich nicht in Lebensgefahr. Das gleiche gelte für 20 weitere Menschen in Spanien, bei denen ebenfalls eine Infektion vermutet werde.

Damit ist gesichert, dass die Seuche innerhalb weniger Tage nicht nur von Mexiko auf die USA übergesprungen ist, sondern auch den Sprung über den Atlantik geschafft hat. Die Folgen der Krankheit sind bereits weltweit zu spüren: Die Börsen reagieren negativ auf Befürchtungen einer Pandemie, die Politik versucht, Aktionspläne international abzustimmen.

Die EU-Kommission möchte die Gesundheitsminister der Mitgliedsländer "so schnell wie möglich" zu einer Krisensitzung über die Schweinegrippe einberufen. Gesundheitskommissarin Vassiliou will nach Auskunft ihrer Sprecherin noch am Montag die EU-Außenminister bei ihrem regulären Treffen in Luxemburg zur Lage informieren. Es sei zu früh, um über die Situation zu spekulieren, sagte Kommissionspräsident Manuel Barroso vor Journalisten in Athen. "Wir beobachten die Situation sehr genau, zusammen mit den Mitgliedstaaten."

In Mexiko starben bislang 103 Menschen an der Schweinegrippe. Erste Krankheitsfälle wurden auch aus den USA und Kanada gemeldet. Nach Einschätzungen von Virologen wird die Schweinegrippe bald auch Deutschland erreichen. "Ich denke, wir können davon ausgehen, dass wir das Virus auch bei uns bald sehen werden", sagte Michael Pfleiderer, Virologe am Paul-Ehrlich-Institut. Es gebe aber keinen Grund für Panik. Normale Hygienemaßnahmen würden zur Vorbeugung ausreichen.

Außerdem seien die Gesundheitsbehörden "bis auf die kleinste lokale Region vorbereitet". Da es noch keine Impfung gegen das Virus gebe, seien die antiviralen Arzneimittel die derzeit stärkste Waffe, sagte Pfleiderer. Davon gebe es in Deutschland hinreichend Vorräte.

Die großtechnische Produktion eines neuen Impfstoffs könnte sich nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) im südhessischen Langen allerdings hinziehen. In der Regel dauere dies zehn bis zwölf Wochen. Im Fall des aktuellen Schweinegrippe-Auftretens sei man aber noch längst nicht so weit, sagte PEI-Sprecherin Susanne Stöcker. Derzeit sei die US-Gesundheitsbehörde CDC mit der Herstellung eines sogenannten Impfstamms beschäftigt. Dazu werde das Virus so verändert, dass es sich in Hühnereiern vermehre. Für die industrielle Impfstoffherstellung seien nach wie vor Hühnereier die Basis.

Das Schweinegrippe-Virus

Die Zulassung dürfte nach Ansicht des PEI kein Problem sein, zumal es bereits Zulassungen für Pandemie-Impfstoffe gebe, die nur variiert werden müssten. Es sei allerdings die Frage, wie viel Produktionskapazität die Hersteller für einen möglichen neuen Impfstoff hätten. Derzeit werde der Impfstoff für die nächste normale Grippewelle produziert.

Roche prüft Steigerung der Tamiflu-Produktion

Der Schweizer Pharma- und Diagnostikkonzern Roche prüft eine Produktionsausweitung seines Grippemedikaments Tamiflu. Die Herstellung des Mittel benötige allerdings rund acht Monate, sagte eine Sprecherin des Basler Konzerns am Montag. "Wir haben immer betont, dass das nicht über Nacht geschehen kann", sagte eine Sprecherin. "Deshalb ist es so wichtig, dass Staaten vor dem Ausbruch einer Pandemie vorbereitet sind."

Das ursprünglich von der US-Biotechnologiefirma Gilead Sciences entwickelte Medikament hatte vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Vogelgrippe Bekanntheit erlangt. Weltweit hatten sich Regierungen und Unternehmen mit Tamiflu eingedeckt, um für den Fall eines globalen Ausbruchs der Krankheit gerüstet zu sein. Für eine wirkliche Pandemie dürften die Vorräte aber trotzdem nicht reichen. Roche selbst verfüge über gewisse Tamiflu-Vorräte, um den Bedarf für die saisonale Grippe zu decken, sagte die Sprecherin. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe auf den von Roche im Jahr 2005 gestifteten Tamiflu-Notfallvorrat für drei Millionen Behandlungen noch nicht zugegriffen. Zusätzlich stünden der WHO im Bedarfsfall weitere zwei Millionen Packungen mit dem Medikament zur Verfügung, die von den Baslern für Länder bereitgestellt wurden, die nicht gut vorbereitet seien.

Der Leiter der Infektions- und Tropenmedizin der Uniklinik Leipzig, Stefan Schubert, warnte vor dem Schweinegrippe-Virus. "Die Ansteckungsgefahr ist kaum größer als bei einer normalen Grippe - aber die Tödlichkeit kann weitaus höher sein. Das ist das Gefährliche", sagte Schubert der "Leipziger Volkszeitung". Doch auch Schubert sieht keinen Grund für übertriebene Angst. In Deutschland existiere seit Jahren ein Grippe-Pandemieplan. Es gebe Netzwerke von Schwerpunktpraxen, die die Ausbreitung überwachen. Sobald erste Fälle aufträten, würden Informationen zu Verhaltensweisen gegeben.

Frankreich hat nach der Überprüfung mehrerer Verdachtsfälle von Schweinegrippe mittlerweile Entwarnung gegeben. Alle Erkrankungen hätten sich als normale Grippefälle erwiesen, sagte Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot: "Sie haben keinen Bezug zur Schweinegrippe."

In Frankreich hatten die Gesundheitsbehörden am Wochenende vier Verdachtsfälle überprüft. Dabei handelte es sich um eine dreiköpfige Familie, die in Kalifornien Urlaub gemacht hatte, und um eine 52 Jahre alte Frau, die sich in Mexiko aufgehalten hatte.

Frankreich werde trotz der vorläufigen Entwarnung "in seiner Wachsamkeit nicht nachlassen", sagte Bachelot. Reisende, die aus Risikogebieten wie Kalifornien oder Mexiko kämen und unter Atembeschwerden, Fieber oder Muskelschmerzen litten, sollten umgehend Kontakt mit den Behörden oder ihrem Hausarzt aufnehmen.

mbe/dpa/AFP/Reuters
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