Shampoo-Forschung Viele Schäume bleiben Träume

Die Wahl zwischen Shampoos: Für mehr Fülle, Glanz und Geschmeidigkeit
Foto: DDPLangsam gleitet der Kamm durch das nasse Haar. An den Spitzen angekommen, setzt der Roboterarm von Neuem an. Wieder und wieder. Sein Gegenüber erduldet es, obwohl die Prozedur kein Ende nimmt. Es könnte sich ohnehin nicht beschweren: Die Menschenhaare hängen an einem Ständer.
Der Friseur aus Stahl, Kabeln und Schrauben steht in der Forschungszentrale von Henkel in Düsseldorf. Ein Computer registriert die Kraft, die die Maschine beim Kämmen aufwenden muss. Je widerspenstiger das Haar, desto steiler steigen die Kurven auf dem Bildschirm. Thomas Förster und seine Mitarbeiter testen mit dem Gerät Substanzen, die Haare seidig und leicht kämmbar machen sollen.
Die Forscher sind in der Entwicklung eines Shampoos auf der einen Seite. Auf der anderen stehen Drogeriekunden vor Regalen voll bunter Flaschen, Dosen und Tuben - und sind ratlos. Sie haben die Wahl zwischen Shampoos und Haarpflegemitteln für mehr Fülle, Glanz und Geschmeidigkeit, Kuren für trockenes, strapaziertes, glanzloses, brüchiges, kraftloses, widerspenstiges, fettiges, dünnes oder alterndes Haar, mit Joghurt, Mandelextrakt, Weizenprotein, Aloe vera oder einer Kaschmir-Formel.
Schönes Haar scheint heute weniger eine Gnade der Natur als eine Frage der richtigen Kaufentscheidung zu sein. Aber was ist wirklich drin in den Mixturen, und was ist dran an den Versprechen? Misstrauen ist angebracht. Tatsächlich sind Shampoos heute hochentwickelte Hightechprodukte mit patentierten Wirkstoffen. Sie wirken allerdings oft nur sehr begrenzt und anders, als die Kunden sich das vorstellen oder die Werbung es verspricht.
Die Henkel-Forscher zum Beispiel haben herausgefunden, wie man aus Schafwolle Keratin-Bruchstücke herauslöst, die mit menschlichem Keratin (Horn) identisch sind, und sie als Bestandteil eines Shampoos in die Haare einschleust. In einer Studie zeigten sie, dass Haare bei regelmäßiger Wäsche mit einem solchen Shampoo ein bisschen reißfester und elastischer werden. Das Haar werde "tiefenwirksam repariert", verspricht die Marketingabteilung.
Das Problem: Nach den Maßstäben medizinischer Wirkstoffforschung sind solche firmeneigenen Kosmetikstudien undurchsichtig und schwer nachvollziehbar. In diesem Fall wird nicht angegeben, in welcher Konzentration das Keratin angewandt wurde und wie viel davon später im fertigen Produkt steckt. Dauerhaft reparieren kann das Shampoo jedenfalls nicht, denn der Eiweißstoff wird wieder herausgewaschen, wenn man ein keratinfreies Shampoo benutzt.
"Schaum ist völlig unnötig"
Auch an den Universitäten findet man Shampoo-Forscher, sie können offener über die Tricks der Kosmetikindustrie und die falschen Erwartungen der Kunden reden als ihre Fachkollegen in Unternehmen. Schon die wohl grundlegendste Eigenschaft eines Shampoos ist für eine Überraschung gut. Es soll Schmutz und Fett entfernen und muss dafür schäumen, denken viele. Irrtum. "Schaum ist völlig unnötig", sagt Franz Wortmann, der an der University of Manchester die Struktur von Haaren und die Wirkung kosmetischer Behandlungen erforscht. "Ohne Schaum käme man mit viel weniger Shampoo aus." Die Hersteller lassen ihre Produkte nur deshalb so schön schäumen, weil viele Kunden das erwarten.
Nicht der Schaum löst Talg und Schmutzpartikel, es sind künstlich hergestellte Tenside, die das Haar reinigen. Sie wirken schonender als die bis in die sechziger Jahre verwendete Seife. Durch die Mischung verschiedener Tenside können Chemiker heute sehr genau einstellen, wie mild oder wie gründlich ein Shampoo ist. Spezialshampoos für fettiges Haar etwa enthalten weniger Pflegestoffe und sind für diese Anwendung tatsächlich besser geeignet. Sie können allerdings nicht die Talgproduktion der Kopfhaut beeinflussen, wie manche Hersteller behaupten.
Es gibt viele Versuche, das Nachfetten der Kopfhaut zu bremsen, zum Beispiel mit Algenextrakten. "Das überzeugt alles nicht", sagt jedoch der Dermatologe Ralph Trüeb, der die Haarsprechstunde am Universitätsspital Zürich leitet. Bleibt nur, das Haar immer wieder zu waschen. Ein Trost: Häufiges Waschen führt nicht zu einer verstärkten Talgproduktion - das hat die Kosmetikprofessorin Martina Kerscher von der Universität Hamburg vor Kurzem nachgewiesen.
Die meisten Menschen waschen sich die Haare allerdings nicht, weil sie schmutzig oder fettig sind. Shampoos, Spülungen und Kuren sollen vielmehr "gesundes Haar" hervorbringen, sie sollen das Haar kräftiger, geschmeidiger und vor allem glänzender machen. "Der globale Trend heißt Pflege, Pflege, Pflege", sagt Henkel-Forscher Förster.
Die Haare selbst können allerdings weder gesund noch krank sein. Mediziner betrachten Haare als "Hautanhangsgebilde". Sie bestehen aus fadenförmigen, vielfach miteinander verdrehten Eiweißmolekülen, dem Keratin. Diese Stränge entstehen in den Haarfollikeln, kleinen Einstülpungen der Haut. Sie ordnen sich spindelförmig an und versteifen sich dadurch. Millionen von ihnen verkleben und bilden die Haarfasern, dazwischen sind Fette und Wasser eingelagert. Umhüllt ist jedes Haar von einer dünnen Schicht aus Hornschuppen.
Nun schlägt die Stunde der Kosmetikindustrie
Die Haarproduktion kann durch Krankheit, Medikamente, hormonelle Veränderungen oder Mangelernährung beeinflusst werden, Haare sind daher ein Spiegel der Gesundheit. Das Geschehen in der Kopfhaut lässt sich aber kaum von außen mit einem Shampoo beeinflussen. "Dafür sind schon die Kontaktzeit und die Konzentration der Wirkstoffe zu gering", sagt der Dermatologe Trüeb. Wer unter Haarausfall leidet oder seinem vermeintlich alternden Haar eine Anti-Aging-Behandlung verpassen will, sollte sich keine großen Hoffnungen machen.
Kommt das Haar erst mal auf der Kopfhaut zum Vorschein, handelt es sich nur mehr um tote Materie. Sie braucht keine Nährstoffe oder Vitamine zum Bestehen. Und die einmal gebildete Haarstruktur wird auch von der Körpergesundheit nicht weiter beeinflusst (man kann auch nicht durch einen Schreck plötzlich ergrauen). Es sind vor allem das ständige Rubbeln, Bürsten, Föhnen und das UV-Licht, die das Haar beschädigen, außerdem Färbungen, Dauerwellen oder heiße Glätteisen. Die äußeren Schuppen reißen unter der Belastung auf, das Haar verliert die spiegelnde Oberfläche und damit den Glanz. Es ist schwieriger zu kämmen, und wer es dennoch versucht, macht den Schaden oft noch größer.
Nun schlägt die Stunde der Kosmetikindustrie. Ihre Chemiker konstruieren langkettige Kunststoffmoleküle mit positiv geladenen Atomen, die mittels elektrostatischer Kräfte an der negativ geladenen Haaroberfläche haften bleiben. Sie bilden einen schützenden und glatten Überzug. Ähnlich wirken Silikonöle, die in feinsten Tröpfchen im Shampoo oder Conditioner gelöst sind. Die Wirkung lässt sich mit Rasterelektronenmikroskopen belegen. Franz Wortmann analysiert sogar den Glanz einzelner Haare, indem er sie mit Laserstrahlen beleuchtet und den Anteil der Reflexion vermisst.
Eine glättende Schutzschicht und ein vermehrter Glanz sind also durchaus realistische Versprechen. Weil die Kunden aber keine Silikonabdichtung für ihr Haar kaufen wollen, dienen "Ginseng-Extrakte", "Kaschmirproteine" oder "Bambusessenzen" als Lockmittel. Diese Begriffe klingen nach Gesundheit, und tatsächlich sind die entsprechenden Stoffe auch im Produkt enthalten, oft jedoch nur in winzigen Mengen. Die größere Wirkung entfalten Stoffe mit wenig glamourösen Namen wie Polyquaternium. Die Zahl der künstlichen Conditioner-Verbindungen schätzt Chemiker Wortmann auf rund 500.
Die Schutzschicht hat jedoch nur eine begrenzte Haltbarkeit, und das ist durchaus gewollt. Denn wenn mit jedem Waschen mehr hängen bliebe, würden die Haare bald schwer werden und aneinanderhaften - die Frisur würde schlapp und sähe fettig aus. Manche Silikonöle sollen sogar nur das nasse Haar kämmbar machen und verdunsten innerhalb weniger Stunden. Wie einfach hatten es doch unsere Großmütter. "Sie haben Dreck und Talg täglich ausgebürstet, und ihre Haare waren auf diese Weise eigentlich auch gut gepflegt", sagt Wortmann. "Allerdings war die Haarmode eine andere."