Christian Stöcker

Sieg von Joe Biden Wie heilt man ein zerrissenes Land?

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Rick Santorum ist ein ultrakonservativer Republikaner. Diese Woche konnte man ihm auf CNN live dabei zusehen, wie er vor Trumps Lügen erschauerte. Ein Hoffnungsschimmer?
Die verbliebenen Kräfte der Vernunft, die es in der republikanischen Partei noch immer zu geben scheint, müssen ihren Beitrag leisten, um die Spaltung des Landes zu überwinden

Die verbliebenen Kräfte der Vernunft, die es in der republikanischen Partei noch immer zu geben scheint, müssen ihren Beitrag leisten, um die Spaltung des Landes zu überwinden

Foto: Steve Marcus / REUTERS

"Die Rhetorik und das Handeln politischer Anführer zeigen ja, dass Feindseligkeit gegenüber der Gegenseite akzeptabel, ja angemessen ist. Parteigänger haben deshalb das Gefühl, Animositäten gegenüber den Parteigängern der anderen Seite freimütig ausdrücken und diese diskriminieren zu können."

Politikwissenschaftler Shanto Iyengar und Sean J. Westwood (2015)

Wenn man, wie das auch viele Europäer taten, die US-Wahlen diese Woche unter anderem bei CNN verfolgte, konnte man einem Hoffnung machenden Schauspiel beiwohnen: dem zunehmend gequälten Gesicht von Rick Santorum. 

Santorum, ein stets rosig wirkender katholischer Republikaner, ist eine Art Einmann-Repräsentant für den Weg, den die republikanische Partei seit der Jahrtausendwende zurückgelegt hat. Ein lebendes Beispiel für die Mechanismen der gesellschaftlichen Polarisierung, die die USA zu zerreißen droht. 

2003 sagte Santorum in einem Interview  unter anderem diese Sätze: "Meines Wissens hat in jeder Gesellschaft die Definition der Ehe niemals Homosexualität eingeschlossen. Das geht jetzt nicht speziell gegen Homosexualität. Es ist eben nicht Mann mit Kind, Mann mit Hund oder was auch immer. Es ist nur eine Sache."

Inzestvergleiche und Google-Bomben

Im gleichen Jahr sagte er zum gleichen Thema : "Wenn der Supreme Court sagt, dass man in seiner Wohnung das Recht auf einvernehmlichen Sex hat, dann hat man auch das Recht auf Bigamie, auf Polygamie, das Recht auf Inzest, das Recht auf Ehebruch." Das unterminiere "das Gewebe unserer Gesellschaft".

Den schwulen Kolumnisten Dan Savage machten Santorums aggressiv homophobe Äußerungen so wütend, dass er eine sehr erfolgreiche Kampagne startete: Noch heute steht, wenn man "Santorum" googelt, auf der ersten Seite, das Wort sei ein Ausdruck für "die schaumige Mischung aus Gleitmittel und Fäkalmasse, die manchmal bei Analsex entsteht". Santorum versuchte diverse Male, juristisch gegen Savages "Google Bomb" vorzugehen, vergeblich.

Santorum ist ein Beispiel für die oft menschenfeindliche Rhetorik der Republikaner und gleichzeitig eines für die diskursiven Racheakte der anderen Seite. Ein Kristallisationspunkt der Polarisierung. 

Der Homophobe am Tisch des schwulen Anchorman

2012 wäre Santorum gern der republikanische Präsidentschaftskandidat geworden, unterlag aber am Ende Mitt Romney. 

Heute sitzt er regelmäßig bei CNN, natürlich rechts außen, als Kommentator in der Sendung von Anderson Cooper. Cooper, das ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, ist einer der ersten offen schwulen Anchormen des amerikanischen Fernsehens. Er hat einen Sohn, ausgetragen von einer Leihmutter. 

Man könnte auch sagen: Anderson ist die Verkörperung dessen, was Santorum 2003 als Bedrohung für "das Gewebe unserer Gesellschaft" verdammt hatte. Die Tatsache, dass er trotzdem regelmäßig an Andersons TV-Tresen sitzt, kann man als Akt der Versöhnung deuten.

Tatsächlich das Wort "Fakten" gebraucht

Im Verlauf der vergangenen Woche fiel es Santorum, der ja schließlich als treuer Vertreter der Republikaner in dieser Runde sitzt, zunehmend schwer, seinen Präsidenten noch zu verteidigen. Von Tag zu Tag sagte er noch deutlicher, was er tatsächlich dachte: Dass Trump mit seinen wiederholten Behauptungen groß angelegten Wahlbetrugs eine Grenze überschritten hatte. 

Die Fakten, so Santorum, stützen die These vom Wahlbetrug einfach nicht. Er benutzte wirklich das Wort "Fakten", das bei den Republikanern in den vergangenen vier Jahren zunehmend in Misskredit geraten zu sein schien. Er sprach Trump direkt an und erklärte, was er da tue sei "gefährlich". Trumps bizarre Rede am Donnerstag sei "schockierend und enttäuschend" gewesen. 

Denkwürdiger Moment der Versöhnung

In einem denkwürdigen Fernsehmoment dankte der Anti-Rassismus-Aktivist Van Jones, der ebenfalls zu Andersons Talkrunde gehört, Santorum, augenscheinlich gerührt , "als Vater, als Amerikaner, als Demokrat, als Mensch".  

Für einen Moment schien es, als könnten sich die erbitterten politischen Gegner in den USA jenseits des Lagers der von der Realität entkoppelten Trump-Fans doch wenigstens auf eines einigen: dass die Demokratie nicht dem Ego eines einzelnen Mannes geopfert werden darf. Und dass es beobachtbare Tatsachen gibt, nicht nur politische Positionen.

Die Polarisierung der US-Gesellschaft hat jahrzehntelang immer weiter zugenommen: Eine Studie von 2017  etwa hatte gezeigt, dass ältere US-Bürger besonders stark polarisierte Meinungen vertreten, in immer weiter zunehmendem Ausmaß.

Toxischer Mix

Anders gesagt: Das Internet ist nicht an allem schuld. Auch ohne Facebooks Sortieralgorithmen wurden Leute, die dem giftigen Mix aus politischer Aggression bei Fox News und anderswo ausgesetzt sind, über die Jahre immer feindseliger gegenüber "den anderen". 

Empirisch lässt sich auch zeigen, dass die Bereitschaft von Kongressabgeordneten, sich über Parteigrenzen hinweg auf Gesetzesvorhaben zu einigen, immer weiter abgenommen hat .

Parteienpräferenz schlägt Rassismus 

Gleichzeitig wuchs die Bereitschaft, den politischen Gegner offen zu beleidigen. Der zunehmend toxische politische Diskurs begünstigte einen zunehmend toxischen privaten. Und eine Entwicklung , an deren Ende die Bereitschaft, Anhänger der Gegenpartei abzuwerten, sogar nachweislich Rassismus als Diskriminierungsmotiv schlägt.

Diese Entwicklung wiederum hat viel mit dem US-Wahlsystem zu tun: Mehrheitswahlrecht sorgt praktisch automatisch für Zwei-Parteien-Parlamente. Und ohne die potenzielle Notwendigkeit, auch mal mit jemand anderem zu koalieren, lockt die Wahlkampftaktik, den Gegner als dämonisch zu porträtieren.

Die Schuld ist nicht gleich verteilt

Die Schuld ist aber nicht gleich verteilt: Die aggressive Politik der Lüge, die die Republikaner mittlerweile offen betreiben, ist eine Spezialität der amerikanischen Rechten, angefangen mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels, bis hin zu der absurden Behauptung, eine solidarische Krankenversicherung sei mit Sozialismus gleichzusetzen. Vorläufiger Endpunkt der Politik der Lüge ist die QAnon-Verschwörungserzählung über einen globalen Ring von Kinderschändern, den nur Donald Trump zerschlagen kann. 

Es wurde in den vergangenen Tagen oft gefragt, was Joe Biden denn tun könne, um die Spaltung des Landes zu überwinden. Ein wichtiger Teil der Antwort ist: Er kann es nicht allein. Die verbliebenen Kräfte der Vernunft, die es in der republikanischen Partei noch immer zu geben scheint, müssen ihren Beitrag leisten. Abrüstung geht nur gemeinsam.

Es ist zu hoffen, dass der in Rick Santorums gequältem Gesicht zu erkennende Moment des Erschauerns angesichts von Trumps hochgefährlichen Lügen auch ein Umdenken in Teilen seiner Partei reflektiert. 

Eine Rückkehr zu einer Politik, die auf Tatsachen fußt, nicht auf Lügen.

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