
Geoinformationssystem: Cäsar und die Schweizer
Julius Cäsar hat die Helvetier in heldenhaftem Kampf besiegt - behauptete Julius Cäsar. Doch der Verdacht, der römische Imperator könnte gelogen haben, verdichtet sich. Jetzt will ein Forscher mit einer aufwendigen Simulation den antiken Bericht testen.
Die meisten Lateinschüler bekommen bei der Erwähnung des Stammes der Helvetier leichte Schweißausbrüche. Denn Julius Cäsar beschreibt in seinem Werk "Der Gallische Krieg" langatmig und detailverliebt, wie er dieses ach so mächtige und kriegerische Volk besiegt. Und gerade diese Anfangskapitel des "Gallischen Krieges" sind bei Lateinlehrern beliebte Übersetzungsaufgaben. Sie erzählen davon, wie die Helvetier ihre eigenen Siedlungen niederbrannten und auszogen, um andere gallische Stämme zu unterwerfen - bis der heldenhafte Cäsar sie stoppte und zurück in ihre Heimat zwang.
Doch hat Cäsar übertrieben, was Macht und Mannstärke der Helvetier anbelangt? War sein Sieg am Ende gar nicht so glorreich, wie er die Nachwelt glauben ließ? Mit seinen genauen Angaben über die Zahl der Helvetier lehnt der Imperator sich jedenfalls weit aus dem Fenster: Insgesamt 368.000 Männer, Frauen und Kinder hätten ihre Heimat verlassen, behauptet er. Der traurige Haufen, den er am Ende zurückschickte, bestand angeblich nur noch aus 110.000.
Um diese Zahlen zu prüfen, simuliert Thomas Whitley von der University of Western Australia die helvetische Nahrungsversorgung in einem Geoinformationssystem. Wie viele Helvetier konnte das Land maximal ernähren? Wären 368.000 Menschen überhaupt satt geworden? "Die Modelle basieren auf drei Aspekten", erläutert Whitley: "die zur Verfügung stehende Nahrung, der Aufwand, diese Nahrung zu produzieren, und die Kosten für ihren Transport." Die Datensätze, die Whitley für sein Modell braucht, stellt die Schweizer Regierung auf einer Webseite frei zur Verfügung.
Simulation der gesamten heutigen Schweiz
Zunächst hat Whitley unterschiedliche Nahrungsquellen definiert: Rinder, Schafe, Ziegen, Hühner und Schweine, Getreide, Obst, Gemüse, Bier und Käse, Nüsse und Beeren sowie wilde Nahrungsquellen wie Hirsche, Auerochsen, Wildschweine, Wildgeflügel und Fische. Aber nicht jeder isst gleich. Ein Bergbauer, der hoch in den Alpen lebt, ernährt sich anders als ein Bewohner der größeren Städte, die Cäsar erwähnt.
Whitley will mit seiner Simulation, bestehend aus rund 50 verschiedenen Modellen, die gesamte heutige Schweiz abdecken: In einer Auflösung von etwa 30 Quadratmetern ließe sich dann jeweils sagen, wie viele Kilokalorien von jeder Nahrungsart den Bewohnern jedes Fleckens über das Jahr verteilt zur Verfügung standen. Doch natürlich ist die Nahrung nicht immer genau dort, wo sie auch gebraucht wird. "Also berechne ich zusätzlich noch sechs oder sieben Modelle für die Energie, die es kostet, Nahrungsmittel zu Fuß, per Boot oder mit dem Ochsenkarren in die urbanen Zentren zu transportieren."
Am Ende will er eine Schätzung haben, wie viele Kalorien den Helvetiern insgesamt zur Verfügung standen - und wie viel Stress es für sie bedeutete, ihren Lebensunterhalt zu sichern. "Falls Cäsar mit der Anzahl der Helvetier übertrieben hat, wird der Stresslevel sehr hoch sein", meint Whitley. Gab es dagegen Nahrung genug für alle, bleibt die Frage, warum der Stamm seine Heimat überhaupt verlassen wollte. Geriet er vielleicht unter Druck von germanischen Stämmen nördlich des Rheins? Oder brachen die Handelbeziehungen zu den Allobrogern ab, als sie von den Römern unterworfen wurden? "Die Antwort ist wahrscheinlich vielschichtig", vermutet Whitley. "Aber ich denke, dass Cäsar wohl ein wenig übertreiben hat - weil er gute politische Gründe dafür hatte."
Die Archäologie legt diese Vermutung ebenfalls nahe: Außer in einem einzigen Helvetierdorf fanden Archäologen keine Spur der erwähnten großen Brände. Auch scheinen die Dörfer und Städte nie verlassen worden zu sein. Und Militärhistoriker haben sich die Mühe gemacht und nachgerechnet: Ein Tross, wie Cäsar ihn beschreibt - mit 368.000 Menschen, 8500 Ochsenkarren und Vieh -, hätte eine Gesamtlänge von rund 130 Kilometern gehabt. Für Kriegszüge wäre er völlig ungeeignet gewesen.
Was genau passiert ist, wird sich wohl nie endgültig klären lassen. "Die Vergangenheit kann niemals vollständig rekonstruiert werden", sagt Whitley. "Wir haben nur kleine Fragmente. Aber wir können versuchen, eine Reihe von Annahmen zu machen - und sie mit solch einer Simulation zu testen."