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Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Kurt Stukenberg

SPIEGEL-Klimabericht Vergesst das Tempolimit

Kurt Stukenberg
Von Kurt Stukenberg, stellvertretender Ressortleiter Wissenschaft
Worauf kommt es beim Klimaschutz wirklich an? Diese Frage müssen sich die Sondierer von FDP und Grünen jetzt stellen. Das Tempolimit gehört jedenfalls nicht dazu. Der Wochenüberblick zur Klimakrise.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Das Tempolimit ist zurück, schon wieder.

Die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen ist seit vielen Jahren eine der Lieblingsforderungen von Umwelt-NGOs. Parteien links der Mitte schreiben sie auch immer wieder artig in ihre Parteiprogramme. Beim Bundestagswahlkampf 2021 war das nicht anders, die SPD will sie, die Linke auch und natürlich die Grünen. Weil zwei von ihnen sehr wahrscheinlich in einer Regierung vertreten sein werden, wird darüber nun schon wieder engagiert diskutiert, vor allem in den sozialen Netzwerken.

Vor zwei Tagen berichtete die »Welt« : In den Vorverhandlungen zwischen FDP und Grünen zu einem Ampel-Bündnis könnte sich eine Kompromisslinie abzeichnen, die ein generelles Tempolimit enthalten könnte. In den sozialen Netzwerken wurde über das hochemotionale Thema dann entsprechend hitzig diskutiert. Ein gutes Zeichen ist immerhin, dass Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, am Freitag mit Blick auf die Diskussion klarstellte: »Ich halte nichts davon, einzelne Maßnahmen zur Bedingung zu machen, das verkompliziert die Verhandlungen und wird unserer Aufgabe nicht gerecht.«

Gerade, wer sich wünscht, dass die neue Bundesregierung beim Klimaschutz jetzt endlich in die Vollen geht, sollte sich von der Forderung nach einem Tempolimit verabschieden. Denn mit dem Vorhaben lässt sich kaum etwas gewinnen.

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Das Umweltbundesamt rechnet vor , dass ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 km/h pro Jahr etwa 1,9 Millionen Tonnen CO₂ vermeiden würde. Bei 120 wären es sogar schon 2,6 Millionen. Zur Einordnung: Das ist mehr als Länder wie Sierra Leone, der Tschad oder Ruanda in einem ganzen Jahr ausstoßen  – und das nur für das Rasen auf der Autobahn. Grund genug, diesem Irrsinn ein Ende zu setzen? Klar, die Frage ist nur, zu welchem Preis. Denn verglichen mit den Gesamtemissionen der Bundesrepublik von derzeit mehr als 700 Millionen Tonnen pro Jahr  ist das wenig.

Wenn die Grünen klug sind, beerdigen sie die Forderung schnell

In den jetzt anstehenden Sondierungen zwischen SPD, Grünen und FDP geht es um nichts Geringeres als die Frage, ob Deutschland das Pariser Abkommen wird einhalten können oder nicht. Es ist die nächste Bundesregierung, die dafür die Weichen stellen muss . Und natürlich – so will es die Logik von Koalitionen – wird es zwischen den Partnern Kompromisse geben müssen. Solardachpflicht oder schnellerer Kohleausstieg? Milliardeninvestitionen in die Gebäudesanierung oder ein politisches Aus für den Verbrenner? Nicht jeder wird alles durchsetzen können.

Es führt in die Irre, wenn Linken-Parteichefin Susanne Henning-Wellsow nun sagt: »Wenn die Grünen nicht einmal das Tempolimit hinbekommen, was soll dann erst aus ihren ambitionierten Plänen etwa für einen früheren Kohleausstieg werden?«

Das Gegenteil ist richtig. Wenn die Grünen klug sind, beerdigen sie die Forderung schnell und lassen sich das von den Liberalen an anderer Stelle bezahlen. Zudem ist die Geschwindigkeitsbegrenzung gerade unter Anhängern der FDP offenkundig so emotional besetzt, dass es die gerade keimende Kompromissfindung zwischen beiden Lagern gefährden könnte. Das wäre eine ausgesprochen schlechte Nachricht, denn ein Blick in die Programme beider Parteien zeigt, dass FDP und Grüne den Klimaschutz in Deutschland entscheidend voranbringen könnten (eine detaillierte Analyse dazu hören Sie im Klimabericht-Podcast) – wenn sie sich einigen:

  • Beide Parteien sehen in einem höheren CO2-Preis ein wichtiges Steuerungsinstrument für den Klimaschutz und liegen bei den grundsätzlichen Ideen dazu nah beieinander. Die Grünen wollen die Einnahmen aus dem Preis über ein »Energiegeld« pauschal an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben, sodass diejenigen unter dem Strich Geld sparen, die sich besonders klimaschonend verhalten. Die »Klimadividende« der FDP geht in eine ganz ähnliche Richtung

  • Dass die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden müssen, dürfte ebenfalls kein Streitpunkt zwischen den Partnern in spe werden. Genehmigungsverfahren dafür wollen beide verschlanken.

  • Derzeit subventioniert die Bundesregierung klimaschädliche fossile Energieträger mit mehr als 40 Milliarden Euro jährlich. Allein die Streichung von zehn Posten aus der langen Liste dieser Subventionen könnte nach Daten  des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft 100 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Beide Parteien könnten hier schnell zusammenfinden: Leitet man das Geld in Klimaschutzmaßnahmen um, wird weder der Staatshaushalt noch der Steuerzahler zusätzlich belastet, was besonders der FDP wichtig ist.

Würden drei unterschiedliche Partner in einer Ampel beim Klimaschutz zusammenfinden, könnte dabei etwas Spannendes und Neues herauskommen. Das durch eher folkloristische Forderungen nach einem Tempolimit auszubremsen, wäre falsch. Zumal sich das Rasereiproblem je nach Tempo bei der Verkehrswende schon bald von ganz allein erledigt: Alle E-Autofahrer und -Fahrerinnen wissen – wer schneller fährt, kommt später an. Oder gar nicht.

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Ihr Kurt Stukenberg

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