
Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL
SPIEGEL-Klimabericht Was kostet eine verlorene Heimat?
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
für einige Inselstaaten dieser Welt ist die Klimakrise keine Bedrohung der Zukunft, sondern eine gegenwärtige Gefahr.
Tuvalu liegt im Pazifik, auf halbem Weg zwischen Hawaii und Australien. Palau gehört zu Mikronesien, liegt nördlich von Indonesien, östlich der Philippinen. Antigua und Barbuda ist eine Inselgruppe im Atlantik an der Grenze zur Karibik.
Das Meer muss die Inseln dieser Staaten nicht erst komplett überspülen, um das Leben dort beschwerlich zu machen. Schon jetzt steigt die Zahl von Stürmen, Flutwellen und Starkregen, gleichzeitig kommt es immer häufiger zu Dürren. Und schon jetzt sorgt der steigende Meeresspiegel für einen zunehmenden Salzgehalt des Grundwassers und in der Folge für sinkende Ernteerträge.
Eine globale Erwärmung von mehr als 1,5 Grad – und darauf steuert die Welt ziemlich klar zu – bedeutet für viele Bewohnerinnen und Bewohner dieser und anderer Inselstaaten: Sie werden ihre Heimat verlassen müssen. Und wenn sie es nicht müssen, dann müssen es ihre Kinder und Enkelkinder. Die Klimakrise trifft sie früher und härter als viele andere Regionen der Welt.

»Klimabericht« ist der SPIEGEL-Podcast zur Lage des Planeten. Wir fragen, ob die ökologische Wende gelingt. Welche politischen Ideen und wirtschaftlichen Innovationen überzeugen. Jede Woche zeigen wir, welchen Einfluss die Klimakrise auf unseren Planeten hat und warum wir im spannendsten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts leben.
Die kleinen Inselstaaten im Pazifik, im Atlantik und im Indischen Ozean sind nach einer Definition des Uno-Büros für Katastrophenvorsorge (des United Nations Office for Disaster Risk Reduction, UNDRR) fast ausnahmslos gefährdet.
Dabei sind sie für weniger als ein Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Ein Schaden, den andere verursacht haben
Der Klimagipfel in Glasgow wurde nicht allen Hoffnungen gerecht, die auf dem Treffen ruhten – kein klares Ende der Nutzung fossiler Energieträger, keine verbindlichen Finanzzusagen, keine Regeln, die die Welt dem 1,5-Grad-Ziel deutlich näherbringen.
Vertreter und Unterhändler der Pazifikstaaten sprachen nach dem Ende der COP26 von einem »monumentalen Scheitern«, wie die britische Zeitung »The Guardian« berichtete.

Ein Delegierter aus Tuvalu spricht auf der Uno-Klimakonferenz in Glasgow
Foto: ROBERT PERRY / EPAUnd trotzdem hat der Gipfel manches verändert: Bereits am ersten Tag der Uno-Klimakonferenz unterzeichneten Gaston Browne, der Premierminister von Antigua und Barbuda, und Kausea Natano, der Regierungschef von Tuvalu, ein Abkommen. Wenig später schloss sich auch der Inselstaat Palau an. Dieses Abkommen legt die Einrichtung einer Kommission der kleinen Inselstaaten fest – der »Commission of Small Island Developing States on Climate Change and International Law«. Ziel der Kommission ist es, die großen Treibhausgasemittenten mit rechtlichen Mitteln zu zwingen, einen Preis für die Zerstörung der Inselstaaten zu zahlen.
Wie soll das funktionieren?
Die Inselstaaten können den Internationalen Gerichtshof anrufen
Zum einen kann die Kommission der Inselstaaten den Internationalen Gerichtshof – das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag – um eine Stellungnahme ersuchen, ob Staaten für die Auswirkungen ihrer Emissionen auf andere Länder haftbar gemacht werden können.
Ein solches Gutachten hätte zwar keine rechtlich bindende Aussagekraft. Angesichts der weltweit zunehmenden Zahl von Klagen im Kontext der Klimakrise ist die Hoffnung aber durchaus berechtigt, dass es den Forderungen der Inselstaaten neues Gewicht verleihen könnte. Alternativ können die Inselstaaten auch versuchen, eine Stellungnahme des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg einzuholen.
Die Chancen auf Erfolg stehen gar nicht so schlecht: Immer wieder haben Gerichte in den vergangenen Monaten im Sinne des Klimaschutzes entschieden.
Man weiß jetzt mehr als in den 1980er-Jahren
»In den 1980er-Jahren mag es eine Zeit gegeben haben, in der wir nicht wussten, welche Folgen die globale Erwärmung haben würde.« Das sagte der Anwalt Payam Akhavan, der die Kommission der kleinen Inselstaaten als Rechtsberater unterstützt, laut einem Bericht der »Washington Post«. »Aber jetzt wissen wir es. Und sie fügt den Inselstaaten irreparablen Schaden zu.«
Wie lässt sich dieser Schaden bemessen? Wenn ein Staat untergeht, wenn seine Bewohnerinnen und Bewohner in andere Länder umsiedeln müssen, was kostet das? Eine Antwort darauf zu finden, ist Schritt zwei.
Schritt eins – wer für diesen Schaden aufkommen muss – sei leichter zu eruieren. Akhavan sagte: »Wer verschmutzt, muss zahlen.«

Wie lange können Menschen in Tuvalu noch leben?
Foto: MICK TSIKAS / AAP / IMAGOWenn Sie mögen, informieren wir Sie einmal in der Woche über das Wichtigste zur Klimakrise – Storys, Forschungsergebnisse und die neuesten Entwicklungen zum größten Thema unserer Zeit. Zum Newsletter-Abo kommen Sie hier.
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Bleiben Sie zuversichtlich
Ihre Viola Kiel