Stadtleben Londoner Ratten verschmähen Hausmüll

Kulturfolger nennt man Tiere, die sich in der Nähe des Menschen aufhalten - und ausbreiten. Schädlingsbekämpfer berichten, Londoner Ratten sind schon so kultiviert, dass sie von Hausmüll auf Fast-Food-Reste umsteigen. Das ist ein Problem für die Jäger - und die Gifthersteller.
Von Franziska Badenschier

Einer der weltgrößten Hersteller von Rattenvernichtungsmitteln schlägt Alarm: Immer mehr Ratten entwickeln Resistenzen gegen die Gifte, die sie eigentlich töten sollten, warnt das britische Unternehmen Sorex. Außerdem hätten die Ratten - zumindest in London - ihren Speiseplan umgestellt: Statt Brotkrumen und Cornflakes mampften sie Burger, Nudel-Hühnchen-Pfanne und was sonst noch an Fast Food vor entsprechenden Lokalitäten weggeworfen werde.

Die Sorex-Mitarbeiterin Martina Flynn sagte der britischen Zeitung "Guardian", dass die Nagetiere in manchen Stadtzentren so viel Protein-reiches Fast Food vorfinden, dass sie sich weigern, Cerealien und andere Kohlenhydrate zu essen. Dabei werden gerade Körner vor Ort als Köder oder Giftträger genutzt. Rattenvernichtungsmittel kann also nicht mehr richtig wirken - oder die Nager erst gar nicht erreichen.

"Wenn so eine große Firma sagt, dass ein Wirkstoff nicht mehr richtig wirken kann, dann muss man das ernst nehmen", sagt Rainer Gsell vom Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verband (DSV). Eine Rattenplage muss aber nicht befürchtet werden, weder in London, wo die Schreckensmeldung berichtet wurde, noch in Deutschland.

Rattengift im Mülleimer vor dem Schnellimbiss?

Letztes Jahr haben die Londoner Kammerjäger acht Prozent weniger Ratten als im Vorjahr eingesammelt; dieses Jahr werden die Schädlingsbekämpfer wohl auch nicht mehr Einsätze haben als 2005, sagt John Davison, Geschäftsführer von der National Pest Technician Association, dem Berufsverband der britischen Kammerjäger. Wegen des guten Nahrungsangebots in den Städten werde es dort immer solche Nager geben.

Ratten sind sogenannte Kulturfolger: Weil sie in der Umgebung von Menschen besser leben können als in ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten, folgen sie dem Menschen in seine Kulturlandschaft, also in die Städte. So waren Amseln einst in Wäldern heimisch, heute leben sie auch in Dörfern und Städten. Auch Spatzen sind Kulturfolger - sie nisten nun am liebsten unter Häuserdächern. Und Ratten finden in den Städten nunmal mehr Futter als anderswo - also bleiben sie hier oder kommen wieder.

Nun wird gefordert, doch wenigstens jede Woche statt alle zwei Wochen den Müll abzuholen. Doch die Kommunen sind dazu gesetzlich nicht verpflichtet - und werden wohl beim 14-Tage-Dienst bleiben. "Aus Sicht eines Gesundheitsrisikos ist es nicht erforderlich, den Müll wöchentlich einzusammeln", zitiert der Guardian einen Sprecher des Chartered Institute of Environmental Health.

Zudem entwickeln Unternehmen wie Sorex immer wieder neue Rattenvernichtungsprodukte oder passen diese den neuen Vorlieben der Schädlinge an. Um die Entwicklung von Resistenzen zu behindern, bekämpft man die Nager mit Mitteln, die mehrfach ausgeteilt werden; das sind Rattengifte der sogenannten ersten Generation. Bei Rattengiften der zweiten Generation reicht hingegen schon eine einzige Dosis, um den unangenehmen Schädling zu töten.

Vergiftet und verblutet

Das Wirkprinzip ist bei all diesen Mitteln gleich: Ein Blutgerinnungshemmer sorgt für innere Blutungen. An denen gehen die Tiere zu Grunde. Was aber, wenn man - wie Sorex-Mitarbeiterin Flynn fordert - die Vernichtungsmittel in höheren Dosen ausbringt? Womöglich noch vor den Imbissen, die in London das Ratten-Übel verursacht haben sollen?

Entsprechend einer EU-Richtlinie zur Lebensmittelhygiene müssen Lebensmittelproduzenten und die Läden, die Nahrungsmittel in den Verkehr bringen, den Schädlingen vorbeugen. Die hierfür nötigen Nagetierköder dürfen aber nur an Stellen ausgelegt werden, die nicht so leicht sichtbar sind; sie müssen "zugriffsgeschützt"sein. Deswegen müsse man nicht fürchten, dass etwas ein hungernder Obdachloser vor einem Schnellimbiss aus dem Mülleimer mit Rattenvernichtungsmitteln vergiftete Essenreste klaubt, sagte Gsell zu SPIEGEL ONLINE.

Weil das den Schädlingsbekämpfern aber noch nicht sicher genug ist, wird den Produkten ein Stoff beigemischt, der laut Gsell "unvorstellbar bitter ist". Jeder Mensch würde das, was er gerade in den Mund genommen hat, sofort wieder ausspucken. Ratten schmecken das Bittere erstaunlicherweise nicht und mampfen dementsprechend weiter - normalerweise mit tödlichen Folgen.

Vergiftetes Schokoladenbrötchen statt Speck

In alten schwarz-weiß Krimis tritt Rattengift zuweilen als Gift auf - ein eher dramarturgischer als pharmakologischer Kniff. Denn selbst ohne den vorsorglichen Zusatz von Bitterstoffen wäre die Gefahr für den Menschen überschaubar. "Bei den modernen Mitteln kann nichts passieren", sagt DSV-Sprecher Gsell. "Der Wirkstoffgehalt ist so gering, dass ein Mensch unverhältnismäßig mehr von den Vernichtungsmitteln zu sich nehmen müsste als überhaupt zur Rattenbekämpfung ausgelegt wird", sagte der Experte.

Bleibt noch die neue Vorliebe der Londoner Ratten, Burger zu futtern - obwohl die Nagetiere doch von Natur aus Allesfresser sind. "Ratten ändern nun mal ihre Ernährungspräferenzen", so Gsell. "Dass man Ratten mit Speck fängt, gilt ja schon lange nicht mehr. Die Tiere freuen sich auch über ein Brötchen mit Schokoladenaufstrich."

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