Streit über Stammzellgesetz Kleines Forschungsgebiet sorgt für großes Brimborium
Ist die Forschung mit Stammzellen aus menschlichen Embryonen eine unverzichtbare Zukunftsoption der Medizin oder nur ein biotechnologischer Hype? Bei der "Bio 2007" in Boston, der größten Biotechnologie-Messe der Welt, stand diese Frage auf der Agenda. Selbst in Ländern mit liberaleren Gesetzen - wie etwa Großbritannien, Spanien oder den Staaten Skandinaviens - sind sich nicht alle Forscher einig.
In Deutschland hemmen drastische Beschränkungen die Forschung, noch bevor es eine Antwort auf die Frage gibt manch einer hat aber ohnehin schon für sich selbst entschieden. "Embryonale Stammzellen sind in Deutschland nur ein ganz kleiner Bestandteil der Stammzellforschung - der aber gigantisch aufgebauscht wird", sagt Heiko von der Leyen, Ehemann der CDU-Bundesfamilienministerin, der für das Auftragsforschungsunternehmen Hannover Clinical Trial Center arbeitet.
Als 1992 Wissenschaftler an der Stanford University erstmals eine Gentherapie am Menschen ausprobierten, galt diese, so wie Stammzellen heute, als neue Wunderwaffe der Mediziner. "Doch dann hat man gemerkt", erzählt von der Leyen, der damals an dem Versuch mitgearbeitet hat, "dass man erst einmal die Basics verstehen muss." Diese Grundlagen könne man allerdings auch an embryonalen Stammzellen von Schweinen und Mäusen erforschen. "Die Mechanismen sind das Entscheidende, und die sind überall gleich."
Heike Mertsching vom Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart widerspricht: "Es wurden durchaus Unterschiede zwischen embryonalen Stammzellen von Mäusen und Affen festgestellt." Menschliche embryonale Stammzellen könnten sich von tierischen unterscheiden. "Deswegen brauchen wir in Deutschland humane embryonale Stammzellforschung", sagt die Biologin, "nicht für die Therapie, sondern für die Grundlagenforschung."
Grundlagen erforschen aber womit?
Von der Leyen arbeitet lieber mit ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen, die aus dem Knochenmark und anderen Geweben gewonnen werden. Und das, weil der Forscher sie für zukunftsträchtiger hält, nicht wegen der gesetzlichen Beschränkungen in Deutschland. Genau um die wird in Berlin neu gestritten: In einer Anhörung im Bundestag ringen die Parlamentarier am heutigen Mittwoch über eine eventuelle Lockerung.
Bundesforschungsministerin Schavan (CDU) bedient sich gerne des suggestiven Ausdrucks von der "verbrauchenden Embryonenforschung" und hat schon angekündigt, dass sie die umstrittene deutsche Stichtagsregelung "vom Grundsatz her auf keinen Fall aufgeben" will. Außerdem solle die Forschung mit adulten Stammzellen weiterhin der Schwerpunkt in diesem Forschungsbereich bleiben.
Bei der "Bio 2007" wurde viel über embryonale Stammzellen geredet, aber was die Forscher präsentierten, waren Mosaikstückchen aus Tieren gewonnene Zellen, erste Experimente mit Patienten, aber keinesfalls fertige Therapien. Stammzellen aus menschlichen Embryonen sind noch weit von klinischen Erfolgen entfernt.
Sowohl Mertsching als auch von der Leyen warnen deswegen vor Argumenten wie etwa: "Wenn wir nicht mit humanen embryonalen Stammzellen arbeiten können, dann können wir den Parkinson-Patienten in drei Jahren nicht helfen" - so etwas sei sicher nicht zu schaffen.
Abhilfe aus Übersee
Die Diskussion über die "Wegwerf-Embryonen" lässt Forscher nach neuen Wegen suchen, embryonale Stammzellen zu gewinnen und für den Menschen nutzbar zu machen. So setzt William Hurlbut von der Stanford University auf eine Methode, die der in den USA forschende Deutsche Rudolf Jaenisch entwickelt hat: Altered Nuclear Transfer, geänderter Kerntransfer. Dabei wird der Zellkern einer Körperzelle in eine Maus-Eizelle eingesetzt und zu einem Embryo entwickelt, der nicht fähig ist, sich in einer Gebärmutter einzunisten. Somit werde "kein menschlicher Embryo geschaffen und zerstört", sagt Hurlbut.
Auch in den USA spüren Universitäten das ethische Dilemma. In Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen dürfen keine staatlichen Mittel fließen. Der demokratisch dominierte US-Senat hatte zwar Anfang April beschlossen, dieses Verbot zu kippen. Doch Präsident George W. Bush kündigte sofort sein Veto an.
Auch Hurlbut musste sich auf dem Biotech-Kongress Vorwürfe anhören. "Wir müssen die moralischen Fragen genauso ernst nehmen wie die wissenschaftlichen Lockrufe", sagte er. Dazu diene ja gerade das neue Verfahren. Hurlbut arbeitet dabei auch mit dem deutschen Stammzellenforscher Hans Schöler zusammen der bei der Anhörung vor dem Bundestags-Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am heutigen Mittwoch für eine Lockerung des Stammzellengesetzes wirbt (siehe Kasten).
Die Stammzellforschung wird in Deutschland durch das 2002 verabschiedete Stammzellgesetz strikt reglementiert. Es ergänzt das Embryonenschutzgesetz von 1991. Kritiker sagen, die Gesetzeslage mache sinnvolle Forschung auf diesem Gebiet unmöglich: Die Stichtagsregelung beschränkt Forscher auf die Arbeit mit alten, teilweise unbrauchbaren Zelllinien (siehe Kasten).
Wenn in Deutschland richtig mit embryonalen Stammzellen geforscht werden soll, und das wollen deutsche Wissenschaftler wie Schöler, "dann muss die Stichtagsregelung aufgehoben werden", folgert Fraunhofer-Forscherin Mertsching. Statt eines konkreten Datums solle lieber eine "fließende Frist" gesetzt werden, die mit der Zeit mitgeht. "Sonst führen wir die Diskussion wie vor fünf Jahren und jetzt zukünftig immer wieder." "Die Gesellschaft muss entscheiden", sagt auch der Hannoveraner Forscher von der Leyen.
Befürworter von mehr Forschungsfreiheit verweisen auf das Nachbarland Schweiz. Dort haben Ende 2004 die Bürger entschieden: In einem Referendum sprachen sich überraschend viele Wähler 66 Prozent dafür aus, dass Wissenschaftler künftig aus überzähligen menschlichen Embryonen Stammzellen gewinnen und mit ihnen forschen dürfen.
Die Schweiz, sagte Rüdiger Häcker von der Schweizer Biotech-Firma RCC, gehe nicht etwa locker mit der Stammzellforschung um, sondern habe einfach "eine forscherfreundliche Atmosphäre".