
Synthetische Biologie: Leben aus dem Labor
Synthetische Biologie Leben erschaffen nach dem Lego-Prinzip
Paracelsus' Anleitung war erstaunlich konkret: Man solle den Samen eines Mannes zunächst 40 Tage in wärmendem Pferdemist verwesen lassen. Es rege sich dann etwas, einem Menschen gleich, doch durchsichtig, das nun 40 Wochen lang mit dem Arcanum des Menschenbluts zu nähren sei, bis es sich zu einem Wesen entwickelt habe ganz wie ein Kind, nur deutlich kleiner. Was allerdings das "Arcanum" sei, da gibt sich der Forscher etwas zugeknöpft und vage, es ist deshalb bisher auch kein gelungener Versuch überliefert, das Experiment nachzuvollziehen - obwohl der japanisch-amerikanische Präparator Takeshi Yamada behauptet , ein 1572 in Paris hergestelltes Exemplar ausgestopft zu haben.
Der mittelalterliche Alchemist und Mediziner Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt unter dem Namen Paracelsus, der diese Beschreibung um 1537 in seinem Buch "De Natura Rerum" gab, war nicht der erste und nicht der letzte Forscher, der sich dem Mythos künstlichen Lebens widmete. Sein Homunkulus ist mit dem Golem verwandt und mit den Schöpfungen griechischer Götter. Im Lauf der Geschichte griffen die Theorien darüber stets die Stimmung der aktuellen Zeit auf - so lösten spätestens mit der Aufklärung Maschinenmenschen, Automaten, später Roboter die Kunstwesen aus Fleisch ab, die Paracelsus' Alchemistenkollegen noch schaffen wollten.
Junges Fachgebiet
Heute sind wir im Zeitalter der Gene. Die Maschine ist tot - zu lange wurden die Versprechungen der Künstlichen Intelligenz nicht eingelöst, als dass sie noch real erschienen. Den neuen Golem-Mythos bildet die synthetische Biologie. Ihr traut man inzwischen alles zu - weil sie noch in den Anfängen steckt. Zum ersten Mal verwendet wurde der Begriff 1974 von dem polnischen Genetiker Waclaw Szybalski. Er schilderte damals in einem Artikel in dem Magazin "Advances in Experimental Medicine and Biology" mit großer Vorhersagekraft, wie sich das Forschungsgebiet bis heute entwickelt hat. Zunächst, so Szybalski, werde man dem existierenden Genom neue, künstliche Steuerelemente hinzufügen, um später einen komplett selbst entworfenen Erbcode zu schaffen, der dann als Grundlage für synthetische Organismen dient.
Dass der in die USA emigrierte Forscher schon damals diese Prognose wagte, überrascht nicht, wenn man sich seine wissenschaftlichen Leistungen ansieht: 1961/62 konnte er zum Beispiel erstmals DNA des Darmbakteriums E. coli im Reagenzglas enzymatisch replizieren. Was bis dahin graue Theorie war - erst acht Jahre zuvor hatten Watson und Crick ihre Arbeit über die Struktur der DNA veröffentlicht, die erstmals dem Kopiermechanismus der Zelle auf die Schliche gekommen war -, ließ sich nun vom Menschen in vitro nachahmen. Es sollte allerdings noch gut 30 Jahre dauern, bis den Biologen die Werkzeuge zur Verfügung standen, das Genom in der nötigen Art und Weise zu manipulieren.
Werkzeuge auf Zellniveau
Erst in diesem Jahrtausend kamen dann die Faktoren zusammen, die die synthetische Biologie aus dem Keimzellen-Status befreit haben. Das Human Genome Project gab den Startschuss dazu, weil die Gensequenzierung und -analyse immer einfacher wurde. Die Automatisierung und Computerisierung dieser Prozesse ist so weit fortgeschritten, dass das 100-Dollar-Genom greifbar erscheint. Zudem haben die Biologen Vehikel und Techniken entwickelt, mit denen sich Genstrukturen systematisch verändern lassen. Ein Forscher verglich die erreichten Fortschritte mit der Computerbranche: Der Rechner wurde dann zum Massenphänomen, als man ihn nicht mehr aus einzelnen Transistoren zusammenlöten musste. Heute oder in naher Zukunft stehen auch in der Biologie Standardkomponenten zur Verfügung, die man nur neu verdrahten und zusammenstöpseln muss, um ein neues, einen anderen Zweck erfüllendes Wesen zu erschaffen.
Dabei gibt es im Großen und Ganzen zwei Herangehensweisen, die man als "Top-down" und "Bottom-up" bezeichnet. Die Top-down-Methode versucht, das Verhalten einer Zelle zu verändern, indem sie neu geschaffene Abschnitte in ihren Gencode einfügt. Die Forscher tunen die Zelle gewissermaßen nach ihren Bedürfnissen und lassen sie mit anderen, ebenfalls derart veränderten Zellen zusammenarbeiten. Das hat den Vorteil, dass man sich um grundlegende Funktionen nicht kümmern muss. Man nimmt quasi das vorhandene Fahrgestell und baut einen neuen Vergaser ein. Dabei macht man sich gleichzeitig das in Jahrmillionen erfolgte Bio-Engineering der Natur zunutze, das in vielen Aspekten ja schon sehr effiziente Strukturen hervorgebracht hat.
Der zweite Arm der synthetischen Biologie dreht den Spieß um. Nach dem Bottom-up-Prinzip beginnen Forscher bei kleinsten, einzelnen Gen-Schnipseln, die sie wie auf einem leeren Blatt Papier erzeugen und mit der Zeit zu immer komplexeren Gebilden zusammensetzen wollen. Praktisch gestaltet sich diese Herangehensweise deutlich schwieriger. Auf diese Weise, so die Hoffnung, lernt man mehr über die Prinzipien des Lebens. Parallel verspricht dieses Vorgehen jedoch auch, was den Menschen schon immer fasziniert hat: künstliches Leben zu erschaffen und sich damit gottgleich zu erheben. Offenbar ist das selbst für atheistische Forscher eine spannende Perspektive.
2002 gelang so erstmals die Herstellung künstlicher Viren im Labor. Der Biologe Eckard Wimmer setzte nach dem Lego-Prinzip aus kommerziell erhältlichen Gensequenzen ein "künstliches" (also nicht auf natürlichem Wege entstandenes) Polio-Virus zusammen. Viren erfüllen allerdings ohne ihre Wirte nicht die Kriterien für Leben. 2007 gelang es, das Genom einer Zelle in eine andere zu transferieren - eine wichtige Vorarbeit für den nächsten Schritt: 2008 publizierte Gen-Papst Craig Venter, bei einem Bakterium erfolgreich gewesen zu sein. Dem Team des Forschers gelang es, das Erbgut von Mycoplasma genitalium zu synthetisieren. Das ist eine außerordentliche Puzzle-Arbeit, denn das Genom besteht aus über einer halben Million Basenpaaren. Gezielt lassen sich jedoch mit der heutigen Technik nur einige hundert Basenpaare zu einer Kette anordnen. Danach kommt man nur weiter, wenn man zu den Methoden der Natur greift, den Genschnipsel mit anders kodierten Abschnitten rekombiniert und so noch längere Sequenzen erzeugt. Wiederholt man diesen Prozess sehr oft (wobei man missglückte Versuche säuberlich aussortieren muss), kommt man irgendwann bei den 580076 Basenpaaren von Mycoplasma genitalium an.
Nicht ganz geglückte Premiere
Noch stand jedoch der Beweis aus, dass das so erzeugte Genom auch tatsächlich lebensstiftend funktioniert. Zwei Jahre später war es so weit: Die Gruppe um Venter demonstrierte, wie sich ein künstlich erzeugtes (allerdings bewusst deutlich gekürztes) Genom (hier von Mycoplasma mycoides) in den Zellkern von Mycoplasma capricolum einsetzen lässt - und wie die Bakterie daraufhin ihre Eigenschaften ändert. Der Versuch blieb zwar nicht fehlerfrei (14 Gene verschwanden oder wurden beschädigt), doch die so umgebauten Zellen können zweifelsfrei als die ersten Lebewesen mit künstlichem Genom gelten. Dass man sich dazu einer von der Natur produzierten Zellhülle bediente, ist an dieser Stelle verzeihlich.
Venters Versuche stehen zwar kennzeichnend für das gesamte Forschungsgebiet der synthetischen Biologie. Und natürlich hat sich der umtriebige Unternehmer auch schon Patente für seine Lösungen gesichert. Aber im Grunde handelt es sich um (wenn auch prestigeträchtige) Grundlagenforschung. Wesentlich höheres ökonomisches Potenzial gestehen Experten der Idee zu, Zellen auf industrieller Grundlage mit neuen Aufgaben und Fähigkeiten auszustatten. Hier erscheint die Idee der BioBricks besonders charmant - eine Art biologischer Lego-Bausteine, die wie ihre Plastik-Brüder mit definierten Schnittstellen ausgestattet sind, über die sich die BioBricks verketten lassen.
Leben nach dem Lego-Prinzip
Jeder kann solche Zellbausteine herstellen, die es in den Größen- und Komplexitätsstufen "parts" (setzt grundlegende biologische Funktionen um), "devices" (erfüllt eine bestimmte, vom Menschen definierte Funktion) und "system" (bewältigt eine komplexe Aufgabe) gibt. Eine Datenbank im Netz verwaltet, was weltweit schon entwickelt wurde. Wer nun eine bestimmte Funktion braucht, kann die benötigten BioBricks bestellen und problemlos zu eigenen Zwecken zusammensetzen. Das Ergebnis muss man zwar mangels künstlicher Wirte noch in ein funktionsfähiges Bakterium einbauen. Inzwischen widmet sich aber bereits ein jährlicher Wettbewerb, der iGem, dem Entwurf von BioBricks. Der Einsendeschluss für die Weltmeisterschaft 2011 der Brick-Entwickler lief Ende Oktober ab. Zu den dort umgesetzten Projekten gehören etwa der Abbau von Pestiziden in der Zelle, die Herstellung von Biotreibstoffen, Zellen, die sich selbst umbringen, aber auch zellinterne informationsverarbeitende Netzwerke.
Im Ergebnis könnte ein ganz neuer Beruf entstehen: Der Bio-Designer, der von der inneren Funktionsweise eines BioBricks gar nichts verstehen muss. Dieses System-Engineering ist in der Biologie noch am Anfang, man hat jedoch anscheinend aus der Geschichte der IT gelernt und schon frühzeitig Standards definiert, sodass Bausteine verschiedener Hersteller miteinander kompatibel sind. Es wird nun interessant zu sehen sein, inwiefern die Forscher auch bereit sind, sich rechtzeitig mit einem anderen Thema zu plagen, das die Computerbranche zu lange verschlafen hat: der Sicherheit. Braucht man in Zukunft womöglich auch Antiviren-BioBricks und Firewalls, die Bio-Hacking-Versuche vereiteln? Biotech-Firmen, die sich in der International Association Synthetic Biology zusammengeschlossen haben, versprechen jedenfalls einen verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Technologie.
Die ungekürzte Fassung dieses Textes stammt aus Telepolis special, Ausgabe Januar 2012, www.telepolis.de . Weitere Informationen zu diesem Thema .