Templer Der späte Freispruch der Ketzer

Sie waren angeklagt der Sodomie, des Götzendienstes, der Ketzerei - die grausame Verfolgung des Templerordens ist eines der dunkelsten Kapitel des Mittelalters. Dokumente aus dem Vatikan-Geheimarchiv zeigen nun: Papst Clemens V. entlastete die Templer - sterben mussten sie dennoch.
Von Stefan Ulrich

Es war eines jener Fanale, an denen die Geschichte des Mittelalters reich ist: An einem Abend im März 1314 brannten auf der Seine-Insel "Ile des Javiaux" in Paris zwei Scheiterhaufen. Jacques de Molay, der letzte Großmeister der Tempelritter, und einer seiner Gefährten wurden als angebliche Ketzer langsam auf einem heißen, rauchlosen Feuer gebraten. Bevor er starb, soll der Großmeister den französischen König Philipp IV. und Papst Clemens V. verflucht haben. Dem zeitgenössischen Chronisten Geoffroy de Paris zufolge rief der oberste Templer: "Möge das Unglück bald diejenigen treffen, die uns zu Unrecht verurteilen. Gott wird unseren Tod rächen." Tatsächlich starben binnen eines Jahres König und Papst. Damit enden die Fakten, und es beginnen die Legenden.

Der Templerorden wurde in späteren Jahrhunderten zu einer chiffrenartigen Worthülse, in die Dichter, Verschwörungstheoretiker, Mystiker und Scharlatane ihre Fantasien füllten. Gemeinsam ist ihnen die Vorstellung, die mönchischen Ritter hätten als geheimster aller Geheimbünde seit 700 Jahren im Untergrund fortgelebt, um irgendwann die Weltherrschaft zu erringen. Wer besitzt den heiligen Gral? Wer kann Silber in Gold verwandeln? Wer zettelte die französische Revolution an? Und wer kennt die tiefsten Geheimnisse des Universums? Natürlich die ketzerischen Templer. Heute ist die Faszination des Ordens wohl größer denn je. Millionen Menschen in aller Welt begegnen ihm in Hollywood-Filmen wie "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug", in Umberto Ecos Roman "Das Foucaultsche Pendel" und natürlich in Dan Browns Historienschocker "Sakrileg". Es scheint, als seien die Templer mitten unter uns.

"Die Templer waren keine Ketzer"

Was macht sie so interessant, die Männer mit dem roten Kreuz auf ihren weißen Mänteln? Barbara Frale wiegt den zierlichen Kopf mit den langen, welligen Haaren und überlegt. Dann meint die 37 Jahre alte Historikerin am Geheimarchiv des Vatikans: "Da ist zum einen der Ketzerprozess gegen die Templer, durch den der französische König sie vernichtete." Dieses Verfahren sei eine einzige Intrige gewesen. "Es gibt noch viele Mysterien dabei aufzuklären, die interessanter sind als die von Dan Brown – weil sie wahr sind." Zum anderen fehlten im Leben vieler heutiger Menschen die großen Ideale. "Umso mehr faszinieren uns die Templer, die bereit waren, für ihre Werte zu sterben."

Die junge Italienerin ist eine der führenden Expertinnen für Legenden und Wahrheiten über die Tempelritter. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie daran, die dunkle Geschichte vom Untergang des Ordens aufzuhellen. Bei ihren Forschungen in den Archiven der Päpste entdeckte sie Dokumente, die ein neues Licht auf den verfolgten Militärorden werfen. Die Dottoressa gelangte zu der Überzeugung: "Die Templer waren keine Ketzer. Der Papst selbst, Clemens V., hat ihnen die Absolution erteilt." Die Mönchsritter wurden demnach, selbst nach den damaligen Rechtsmaßstäben, zu Unrecht als Ketzer gebrandmarkt und als Orden vernichtet.

Barbara Frales These erhielt Ende Oktober höchste Weihen. Denn da stellte seine Exzellenz Sergio Pagano, der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs, im Kirchenstaat ein außergewöhnliches Buch vor: Es enthält neben einer geschichtlichen Einführung durch Frale eine von Vatikan-Wissenschaftlern betreute kritische Ausgabe noch vorhandener historischer päpstlicher Untersuchungsakten über den Templerorden. Beigefügt sind originalgetreue Reproduktionen der wichtigsten Dokumente. Darunter befindet sich das berühmte Pergament von Chinon mit der päpstlichen Absolution der Templer, das Frale vor einigen Jahren im Geheimarchiv entdeckt hatte. 5900 Euro kostet das Werk mit dem Titel "Processus contra Templarios". Es erscheint in einer Auflage von 799 Stück. Ein weiteres Exemplar soll Papst Benedikt XVI. erhalten.

Das Werk dürfte den hohen Preis wert sein – und das nicht nur wegen der erlesenen Ledereinbände mit Golddruck und des Papiers aus reiner Baumwolle, das die traditionsreiche Fabrik Amatruda in Amalfi nach antiken Prozeduren hergestellt hat, sondern auch wegen der Reproduktionen der Dokumente. Sie sind dank modernster Verfahren teilweise besser lesbar als die von Bakterienflecken beschädigten Originale. Frale und der Vatikan hoffen nun, dass sich die Forscher mit dieser Edition ein besseres Bild vom wahren Wesen des Templerordens und der Rolle von Papst Clemens bei dessen Zerstörung machen können. Schließlich bilde die Geschichte der Templer noch immer eines der "dunkelsten Kapitel des Mittelalters", meint Frale.

Die Templer vereinigten Mönchstum und Rittertum

Dabei hatte alles glanzvoll begonnen. Um das Jahr 1119 gründeten französische Ritter in Jerusalem die "Arme Ritterschaft Christi vom Salomonischen Tempel". Es war die Zeit der Kreuzzüge. Christliche Heere hatten Jerusalem von den Muslimen erobert und im heutigen Nahen Osten Kreuzfahrerstaaten errichtet. Die Templer, die auf dem Tempelberg Quartier bezogen, machten es sich zur Aufgabe, die christlichen Pilger und die lateinischen Staaten in der Region zu schützen. Als erster geistlicher Militärorden vereinigten sie beide großen Ideale der Zeit: Mönchstum und Rittertum. Der heilige Bernhard von Clairvaux soll an ihrer Ordensregel mitgewirkt haben.

Die Templer entwickelten sich prächtig und bildeten bald eines der bestorganisierten stehenden Heere der Zeit. Sie galten als ausgesprochen tapfere und aufopferungsvolle Krieger. Für adelige Familien wurde es Prestigesache, einen ihrer Söhne in den Orden zu schicken. Die Mönchsritter erhielten Schenkungen, bewirtschafteten zahlreiche Güter im Abendland und spezialisierten sich auf Geldtransfers in den Orient. So wurden sie zum reichsten und mächtigsten Orden des Mittelalters. Direkt dem Papst unterstellt, bildeten sie eine multinationale Vereinigung, die sich dem Zugriff der entstehenden Nationalstaaten entzog. Der Reichtum, die elitäre Verschwiegenheit, Gerüchte über seltsame Riten und das fast arrogante Selbstbewusstsein der Templer erregten neben größter Bewunderung auch Neid, Misstrauen und Feindschaft.

Die Hexenjagd auf die Templer beginnt

Nach dem Fall der Kreuzfahrerbastionen in Syrien und Palästina in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verloren die Tempelritter ihren ursprünglichen Daseinszweck. Ihr Untergang nahte in Gestalt Philipps IV., genannt "der Schöne". Der Monarch war hoch verschuldet, auch bei den Templern. Den Orden zu zerschlagen, erschien ihm lukrativ. So nutzte er die Gerüchte über die Templer, um Gräuelpropaganda zu verbreiten und, unter Einschaltung der Inquisition, eine Hexenjagd zu eröffnen. Am Freitag, dem 13. Oktober 1307, ließ der französische König in einer Überraschungsaktion alle Templer in seinem Herrschaftsbereich verhaften. Die Vorwürfe: Sodomie – damit waren damals homosexuelle Handlungen gemeint –, Götzendienst und vor allem Ketzerei.

Nach jahrelangen Verhören und schweren Folterungen in Kerkern des Königs "gestanden" manche Templer ihre angebliche Ketzerei. Einige Historiker vergleichen die damaligen Vorgänge mit den stalinistischen Schauprozessen. Papst Clemens V., selbst Franzose und in Avignon unter der Kontrolle Philipps des Schönen residierend, stellte trotz der offensichtlichen Willkürverfahren im Jahr 1312 den Orden ein. Zwei Jahre darauf starb Jacques de Molay, der letzte Großmeister der Templer, den Flammentod.

Die verdächtigen Gebräuche waren militärische Initiationsriten

680 Jahre später beugte sich Barbara Frale im Vatikanischen Geheimarchiv über ein eigentümliches Bündel mit etwa 50 Blättern, das in einem großen Registerband verborgen war. Frale, die in dem uralten Tuffstein-Städtchen Orte im nördlichen Latium aufgewachsen ist und dort bis heute lebt, hatte da gerade das Studium der mittelalterlichen Archäologie hinter sich. Nun ließ sie sich an einer vatikanischen Spezialschule, die dem Geheimarchiv angegliedert ist, im Entziffern alter Dokumente ausbilden. Als sie die Blätterbündel studierte, merkte sie, dass sie private Aufzeichnungen mehrerer Kardinäle für Clemens V. zum Templerprozess in den Händen hielt. Auf den eng beschriebenen, mit vielen Korrekturen und Anmerkungen versehenen Bögen setzten sich die Kirchenfürsten mit den seltsamen Ritualen des Ordens auseinander und erörterten den Vorwurf der Ketzerei. "Von da an", sagt Frale, "zog mich das Schicksal der Templer in seinen Bann."

Die junge Frau promovierte in den folgenden Jahren an der Universität Venedig über den Orden und ergründete dessen Rituale. "Dabei half mir, dass mein Vater Offizier war und viel mit Rekruten zu tun hatte", erzählt Frale. So erkannte sie: Die verdächtigen Gebräuche der Templer waren militärische Initiationsriten. "Für die Tempelritter war dieser grausame und gewalttätige Ritus überlebensnotwendig", sagt sie. Denn sie mussten prüfen, ob ein junger Adeliger dem Kampf in vorderster Front gegen die muslimischen Heere gewachsen war. So spielten sie nach, was einem gefangenen Templer in den Kerkern der Sarazenen drohte: "Die Neulinge mussten Christus verleumden und das Kreuz bespucken."

Zudem mussten die Novizen den Bauchnabel oder das Gesäß eines Vorgesetzten küssen, was den Tempelrittern prompt den Vorwurf der Sodomie einbrachte. "Tatsächlich ging es aber darum, seine totale Hingabe an den Orden zu beweisen", meint die Forscherin. Auch sollte wohl manchem stolzen jungen Adeligen so erst einmal der Hochmut ausgetrieben werden. An einem weiteren mysteriösen Ritual des Ordens rätselt Barbara Frale noch heute. Dabei wurden Kordeln, mit denen die Templer sich gürteten, an einem streng geheimen und gut bewachten Bildnis geweiht. Gegner der Ordensritter behaupteten seinerzeit, es handle sich um einen Götzen, womöglich gar um den Teufel. Frale vermutet dagegen: "Es war ein ganz besonderes Abbild Christi, das womöglich mit dem Schweißtuch von Turin zu tun hatte. Aber dafür habe ich noch keine Beweise."

Nach der Promotion bekam Frale eine Anstellung im Vatikanischen Geheimarchiv. Nun konnte sie sich daran machen, nach verborgenen Schätzen in den kilometerlangen Regalen mit Millionen alter Dokumente zu suchen. Und sie wurde fündig. Im Jahr 2001 entdeckte sie ein bislang übersehenes, 70 mal 58 Zentimeter großes Pergament, das ursprünglich mit drei Kardinalssiegeln versehen war. "Ich merkte sofort, dass dies ein sehr wichtiges Dokument sein musste", erzählt Frale. Als sie es zu lesen begann, stockte ihr der Atem: Das Pergament enthielt die Erkenntnisse dreier dem Papst besonders nahestehender Kardinäle über die Templer. Die drei Kirchenfürsten hatten den Großmeister des Ordens und andere Würdenträger im Auftrag Clemens V. im königlichen Kerker der Burg Chinon an der Loire besucht und verhört. Ihre Ergebnisse brachten den Pontifex zu dem Schluss: Zwar praktizierten die Templer völlig ausgeartete, zum Teil blasphemische Rituale und Soldatenbräuche – Ketzer aber waren sie nicht.

Der Papst wollte den Templerorden nicht auflösen

In dem Pergament von Chinon, wie es nun genannt wird, erteilen die drei Kardinäle im Namen und mit der Autorität des Papsts dem Ordensgeneral Jacques de Molay und den anderen Ordensoberen daher ausdrücklich die Absolution. Sinngemäß übersetzt heißt es in dem Dokument, das nun als Faksimile dem Buch "Processus contra Templarios" beigefügt ist, die Templer hätten für ihre Schandtaten demütig von der Kirche Vergebung und Absolution erbeten. "Daher ordnen wir an, dass sie losgesprochen und in die Gemeinschaft der Kirche wieder aufgenommen werden, und dass sie wieder zur Kommunion der Gläubigen und zu den kirchlichen Sakramenten zugelassen werden."

Für Barbara Frale war das Pergament ein geradezu "revolutionärer" Fund. "Denn bislang glaubten die Forscher, dass Clemens die Ketzereivorwürfe des französischen Königs gegen die Templer letztlich unterstützt habe. Nun aber hatte ich ein Dokument vor Augen, das bewies, dass der Papst gegen diese Anschuldigungen war."

Mit dem Spruch des Pontifex auf dem Pergament von Chinon war der Vernichtungskampagne Philipps des Schönen der Boden entzogen. "Clemens wollte eine harte Züchtigung des Ordens, aber nicht dessen Auflösung", sagt Frale. Nur: Das Dokument wurde vom Papst nicht veröffentlicht. Denn Clemens V. war zu schwach, um seinen Plan durchzusetzen, den Orden zu reinigen und zu erhalten. Der französische König drohte mit Kirchenspaltung. So wurden die Tempelritter zu Bauernopfern. Immerhin ließ der Pontifex ein Hintertürchen offen: In seiner Bulle "Vox in excelso" vom 22. März 1312 verurteilte er den Orden nicht und löste ihn auch nicht auf. Er suspendierte ihn nur.

"Ohne den König von Frankreich wäre der Templerorden reformiert worden und würde womöglich, wie der Malteserorden, noch heute existieren", sagt Barbara Frale. Tatsächlich aber sei er untergegangen. All die Legenden von einem Weiterleben im Untergrund wischt sie vom Tisch. "Als Historikerin sage ich dazu: Wenn ich keine Dokumente habe, existiert das alles für mich nicht." Und was sagt sie als Privatfrau? Die Dottoressa lacht: "Da existiert es für mich auch nicht. Ein Papst hat den Templerorden suspendiert, und nur ein Papst kann diese Entscheidung wieder aufheben." Wäre es dafür, nach ihren Dokumentenfunden, nicht an der Zeit? Barbara Frale zuckt die Achseln, streckt die Arme von sich und sagt: "Da müssen Sie schon Benedikt XVI. fragen."

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