Texas Schlamperei in Biowaffen-Labor monatelang verschwiegen

In einem Biowaffen-Forschungslabor der Texas A&M University hat sich eine Mitarbeitern mit einer gefährlichen Tierseuche infiziert. Doch der Vorfall wurde von der Uni monatelang vertuscht - aus Angst, einen 450-Millionen-Dollar Auftrag der Regierung zu verlieren?

Die Leitung der renommierten Texas A&M University hat kurz vor dem wichtigsten amerikanischen Nationalfeiertag wenig Grund zur Freude: Wegen gefährlicher Schlampereien im Hochsicherheitslabor haben die Behörden ein Forschungsverbot verhängt, das die Uni aus dem Rennen um ein neues Multimillionen-Dollar-Biowaffenlabor der US-Regierung werfen könnte. In einem zweiseitigen Schreiben hatten die zuständigen Centers for Disease Control (CDC) in Atlanta am vergangenen Samstag verordnet: "Ab sofort müssen alle Arbeiten mit ausgewählten Erregern und Giften gestoppt werden." Als "ausgewählte Erreger" werden im terrorismusverängstigten Amerika bestimmte Bakterien und Viren bezeichnet, die sich für B-Waffen eignen könnten. Das Washingtoner Heimatschutzministerium stellt gewaltige Summen für entsprechende Forschung zur Verfügung, andererseits ist der Umgang mit den Erregern streng reguliert. An der Texas A&M University - im Volksmund Tamu abgekürzt - wurde offenbar selbst gegen grundlegende Sicherheitsvorkehrungen verstoßen.

Am neunten Februar 2006 hatte sich eine Mitarbeiterin mit Brucellen infiziert, den Erregern einer gefährlichen Tierseuche, die im Einzelfall auch Menschen töten kann. Die Forscherin erkrankte für mehrere Wochen, nachdem sie eine Aerosolkammer in einen Labor der Biosicherheitsstufe drei gesäubert hatte. Erst nach Monaten wurde bei ihr Brucellose diagnostiziert - und schließlich mit einer starken Antibiotika-Kur behandelt.

Biowaffen-Labors gefährlicher als Bio-Terrorismus?

Öffentlich wurde dieser Zwischenfall erst im April dieses Jahres, nachdem ein Aktivist der Anti-Biowaffen-Organisation Sunshine Project die Tamu gezwungen hatte, interne Dokumente zu dem Fall offenzulegen. Erst am Tag zuvor meldete die Universität den Vorfall auch den CDC - wozu sie gesetzlich verpflichtet ist. Aus internen E-Mails ging hervor, dass die Verantwortlichen sich der Meldepflicht von Anfang an bewusst gewesen waren.

Selbst dem Wissenschaftsjournal "Science" war der Fall eine Meldung wert. Das populärwissenschaftliche Magazin "New Scientist" ätzte im April: "Man kann ja in den Kühlschrank klettern, um ihn mit Desinfektionsmittel auszuwischen - aber in eine Aerosolkammer, in der Versuchstiere mit möglichen Biowaffen angesteckt werden?" Doch es kam noch dicker.

Im Frühjahr musste die Uni - mit einem Jahr Verspätung - einen zweiten Vorfall einräumen: Am 3. April 2006 seien bei drei Mitarbeitern Antikörper gegen Coxiella burnetii festgestellt worden. Dieses Bakterium kann das exotische Q-Fieber verursachen. Nach Angaben des Sunshine Project steht bis heute nicht fest, wie es zu der Infektion gekommen ist. Doch dass sich drei Mitarbeiter am gleichen Tag im gleichen Labor auf Q-Fieber testen ließen, deute auf einen Unfall bei einem Experiment hin. "Momentan scheint von den amerikanischen Biowaffen-Labors eine größere Gefahr auszugehen als vom Bioterrorismus", sagte Jan van Aken vom deutschen Sunshine Project in Hamburg.

Vorläufiger Forschungs-Stopp eine Premiere

Weniger polemisch, aber ähnlich skeptisch äußerten sich die CDC in ihrem Brief vom 30. Juni . Zu den fünf "Bedenken", die Chefkontrolleurin Julie Louise Gerberding darin äußerte, wirken besonders zwei wie regelrechte Ohrfeigen für die Tamu-Verantwortlichen: Nach einer Inspektion der betreffenden Labors in College Station äußert die Kontrolleurin unter anderem Bedenken daran, "ob Ihre Biosicherheitsvorkehrungen sicherstellen, dass Erreger und Gifte auch in sicherer Weise behandelt werden" und "dass der Tamu-Verantwortliche auch mit den Vorschriften für ausgewählte Erreger vertraut ist und diese umsetzt". Kurzum: Die Kontrollbehörde bezweifelt, dass man sich im Hochsicherheitslabor an die Sicherheitsvorschriften hält.

Der nun verhängte vorläufige Forschungsstopp betrifft fünf Labore mit 120 Mitarbeitern. Bereits vor einem Monat hatte die Tamu den wissenschaftlichen Leiter des Brucella-Projekts, Thomas Ficht, in den bezahlten Urlaub geschickt. CDC-Sprecher Von Roebuck sagte dem Online-Nachrichtendienst "Science Now", dies sei das erste Mal überhaupt, dass die Arbeit einer Universität mit ausgewählten Erregern gestoppt worden sei.

"Vermasselt, aber doch nicht vertuscht" - die Uni beschwichtigt, und fürchtet um ihre Chancen auf ein Multimillionen-Biowaffenlabor

"Ich halte das für übertrieben", sagte der geschäftsführende Tamu-Präsident Eddie Davis der Tageszeitung "Houston Chronicle". Schließlich arbeite man ja mit den CDC zusammen. "Das ist ganz klar vermasselt worden, aber doch nicht vertuscht."

Im Gespräch mit der Campuszeitung "The Battalion" wurde Davis noch deutlicher: "Es war eine Fehleinschätzung, den zweiten Fall überhaupt zu melden", sagte er. Statt eines einjährigen Verzugs stelle die Coxiella-burnetti-Infektion nämlich überhaupt keine Verletzung der Meldepflicht dar. Zusätzlich zu internen Untersuchungen habe die Universität Gutachter von Außen hinzugezogen - es handelt sich ausgerechnet um ein Team von der benachbarten University of Texas in Houston. Zwischen den beiden Hochschulen wird eine traditionelle Rivalität gepflegt. Doch die Schadensbegrenzung im Hochsicherheitslabor könnte zu spät kommen.

Rennen um das 450-Millionen-Dollar-Biowaffenlabor

Der "Battalion" kommentierte in einem Leitartikel ("Reagenzglas-Zoff") vom heutigen Dienstag: "Davies würde das niemals zugeben, aber das bedeutet wohl, dass A&M aus dem Rennen für das nationale Bio- und Agro-Verteidigungs-Zentrum ist." Tatsächlich nannte der Uni-Präsident solche Spekulation "übertrieben". Bislang hingegen galt die texanische Uni als Top-Kandidat für jene 450 Millionen US-Dollar, welche das Heimatschutzministerium für ein neues Biowaffen-Labor ausgeschrieben hat. Zum Vergleich: Bisher nahm das Labor in College Station lediglich am 18 Millionen US-Dollar leichten Bundesprogramm zur Entwicklung von Impfstoffen gegen biologische Waffen teil.

"Das Heimatschutzministerium will ganz sicher keine schlechte Presse bekommen, die entstünde, wenn A&M den Zuschlag bekäme", lautet die trübe Einschätzung der Uni-Zeitung. Im Laufe dieses Monats will das Ministerium seine Entscheidung treffen. Gleichzeitig wies CDC-Kontrolleurin Gerberding die Uni-Leitung an, sich auf weitere Inspektionen bis Ende Juli einzustellen. Dieses Timing ist denkbar schlecht.

"Es wäre eine große Sache für A&M, den Zuschlag zu erhalten", zitierte der "Battalion" einen Nachwuchs-Biologen, "das kann man sicher mit der Bedeutung der George Bush Library vergleichen." 1997 hatte der ehemalige US-Präsident der Uni eine Bibliothek und ein Museum spendiert. Unter dem Motto "I love America" finden dort am morgigen Mittwoch die - wohl in jeder Hinsicht - verregneten Feiern zum Unabhängigkeitstag statt.

stx

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten