Top Ten der Forschung Die Durchbrüche des Jahres 2008
Auf Platz Eins ihrer jährlichen Forschungs-Hitliste setzten die Redakteure des renommierten Wissenschaftsmagazins "Science" das Reprogrammieren adulter menschlicher Zellen. Werden noch ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt, könnten diese eines Tages Menschen mit den unterschiedlichsten Krankheiten helfen, von Diabetes bis Parkinson. Und sie könnten die umstrittene bisherige Methode zur Herstellung embryonaler Stammzellen, bei der menschliche Embryonen zerstört werden, eines Tages überflüssig machen.

Durchbruch des Jahres: Die Abbildung zeigt Motorneuronen und Gliazellen, die aus reprogrammierten Zellen erzeugt wurden
Foto: Science / AAASDicht dahinter sahen die "Science"-Redakteure die Durchbrüche auf der Suche nach fernen Planeten: Himmelskörper, die um ferne Sterne kreisen, wurden in diesem Jahr zum ersten Mal direkt beobachtet, dank neuer Teleskop-Technologien.
Die übrigen sieben "Durchbrüche des Jahres" bilden keine Hitliste - sie stehen aus "Science"-Sicht gleichberechtigt nebeneinander, von erstaunlich wärmeunempfindlichen Supraleitern bis zu neuen Erkenntnissen über gutes und schlechtes Fett im menschlichen Körper.
Zum wissenschaftlichen Phänomen des Jahres kürte das Fachblatt wenig überraschend den Large Hadron Collider (LHC) im Kernforschungszentrum Cern in der Schweiz. Europäische Länder, so das US-Magazin nicht ohne einen Hauch von Neid über das Riesenprojekt, würden "immer besser darin, große Ressourcen zu bündeln, um 'Big Science' zu verfolgen". Auch von Häme ist keine Spur angesichts der Tatsache, dass der LHC schon kurz nach seiner Inbetriebnahme wegen einer Panne wieder abgeschaltet werden musste.
Auch einen "Zusammenbruch des Jahres" kürte das Magazin: den Crash des Bankensystems. Auch wenn die Forschung bislang noch nicht direkt betroffen sei, könnten die Folgen der Finanzkrise im kommenden Jahr auch in diesem Bereich spürbar werden, so "Science".
Hier die weiteren "Durchbrüche des Jahres 2008":
Platz 1 - Umprogrammierte Zellen
"Hoffnung auf lebensrettenden medizinischen Fortschritt" - Robert Coontz aus der "Science"-Redaktion brachte den Grund für Platz eins der Wissenschafts-Hitliste auf den Punkt. Rückprogrammierte Zellen von Patienten könnten einmal sehr wichtig werden, um etwa Krankheiten wie Parkinson und Diabetes zu verstehen und zu behandeln.
"Dieses Jahr haben Wissenschaftler ein lange gesuchtes Meisterstück der Zell-Alchemie geschaffen", heißt es in "Science". So habe ein Team die Hautzellen einer 82-jährigen Frau mit einer Nerven-Muskelerkrankung entnommen, die Zellen zurückprogrammiert und anschließend genau zu jenen Zellen umgewandelt, die bei der erkrankten Frau defekt sind.
Eine Woche später berichtete ein anderes Team von jungen Zelllinien mehrerer Patienten mit insgesamt zehn verschiedenen Krankheiten wie Parkinson oder der Huntington-Krankheit. Diese könnten dazu dienen, die Krankheiten zu erforschen und Medikamente zu testen. Fernziel ist es, die Patienten mit den eigenen Zellen zu behandeln. Die verjüngten Zellen sind unter dem Namen iPS-Zellen bekannt (induzierte pluripotente Stammzellen). Die Technik hat nicht zuletzt den Vorteil, dass sie die Benutzung embryonaler Stammzellen, die aus ethischen Gründen umstritten ist, überflüssig oder doch zumindest weniger wichtig machen könnte.
Platz 2 - Ferne Planeten sehen
"Sehen heißt glauben", schreiben die "Science"-Redakteure - auch bei der renommierten Wissenschaftspublikation kennt man offenbar die Sehnsucht nach irgendetwas, das da draußen außer uns noch sein könnte. "Zum ersten Mal beobachteten Wissenschaftler in diesem Jahr direkt Planeten, die um andere Sterne kreisen", heißt es zur Begründung, warum die Suche nach derartigen Exoplaneten auf Platz zwei der Liste mit den Durchbrüchen des Jahres landete. Neuartige Teleskoptechniken hätten ermöglicht, das extrem schwache Licht, das Planeten reflektieren, vom Strahlen ihrer Zentralgestirne zu unterscheiden.
Embryo auf Video
2008 wurde erstmals ein Embryo während der Entstehung in nie dagewesenem Detailreichtum gefilmt. Forscher hätten "den Tanz der Zellen" aufgezeichnet und analysiert, den die Bestandteile eines Zebrabärbling-Embryos (das ist eine Fischart) während des ersten Tages seiner Entwicklung aufführten. Einer der Durchbrüche des Jahres, findet man bei "Science". Forscher um Philipp Keller am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg entwickelten für das "Embryo-Video" (siehe unten) eine neue Mikroskopiertechnik.
Krebsgene katalogisieren
Indem die genetischen Codes verschiedener Arten von Krebszellen entziffert wurden, kam man im Jahr 2008 im Kampf gegen die heimtückische Krankheit ein gutes Stück voran - auch wenn der Weg zum Sieg über den Krebs immer noch weit ist. Schon jetzt haben die Analysen aber für zwei äußerst gefährliche Krebsarten, den der Bauchspeicheldrüse und sogenannte Glioblastome, echte Erkenntnisfortschritte erzielt. Die Wissenschaftler konnten Dutzende von Mutationen nachweisen, die die Zellteilung Amok laufen lassen.
Mysteriöse Materialien leiten widerstandslos
Supraleiter beflügeln die Phantasie der Menschheit seit vielen Jahren: Leiter, die Strom transportieren können, ohne ihm einen Widerstand entgegenzusetzen, könnten Energie sparen helfen - wäre da nicht ein kleines Problem: Damit das funktioniert, müssen die Materialien derart extrem gekühlt werden, dass dafür deutlich mehr Energie verbraucht wird, als die Supraleiter einsparen. Im Jahr 2008 aber wurde eine ganz neue Materialgruppe entwickelt, sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter. Sie transportieren Strom auch dann weitgehend widerstandslos, wenn ihre Temperatur "unerklärlich hoch" sei, schreiben die "Science"-Redakteure - und das mache die mysteriösen Materialien zu einem der wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres.
Proteine bei der Arbeit beobachten
Biochemiker haben in diesem Jahr Proteinen beim Arbeiten zugesehen und gezeigt, wie sie sich verbinden. Allein ein deutsches Team habe das Zusammenspiel von bis zu 6000 Proteinen von Hefezellen beobachtet, so die "Science"-Redaktion. Auch diese Technik könnte einmal neue Einblicke in Krankheiten und ihre Mechanismen bringen.
Erneuerbare Energien auf Abruf
Einen großen Fortschritt bei alternativen Energien soll ein neues Speichermedium bringen. Ein günstiger Kobalt-Phosphor-Katalysator kann mit Strom aus Wind- und Solarenergie kostengünstig Wasser spalten. Mit dem so erzeugten Wasserstoff lässt sich später bei Bedarf Elektrizität produzieren. Bislang sind Katalysatoren zur Wasserspaltung sehr teuer.
Gutes Fett, schlechtes Fett
Fettsucht ist ein wichtiges Thema - nicht nur in den USA, sondern zunehmend auch in Europa. Eine Studie aus dem Jahr 2008 brachte neue Einblicke in die Wirkungsweise von Fetten und könnte neue Ansätze zur Bekämpfung von Fettleibigkeit bieten: Die Forscher konnten sogenanntes gutes, braunes Fett in Muskeln umwandeln und umgekehrt.
Braunes Fett verbrennt weißes, "schlechtes" Fett, um Körperwärme zu erzeugen. Die neuen Entdeckungen, so die "Science"-Redaktion, könnten Anti-Fettsucht-Therapien ermöglichen, die beispielsweise "weißes, schlechtes Fett schmelzen lassen, indem sie entweder bereits bestehende, fettverbrennende braune Zellen aktivieren", oder indem man neue braune Fettzellen in den Körper einschleust.
Das Gewicht der Welt berechnen
Wie schwer ein Proton ungefähr ist, wissen Forscher schon fast seit hundert Jahren. Erst im Jahr 2008 aber gelang es, die Masse eines Protons aus dem derzeitigen Basismodell der Physik, dem sogenannten Standardmodell, abzuleiten. Forscher aus Ungarn, Frankreich und Deutschland entwickelten ein vierdimensionales Modell all der Quarks, aus denen ein Proton besteht, und die ununterbrochen auf merkwürdige Weise aktiv sind, auftauchen und wieder verschwinden. 95 Prozent der Masse eines Protons hängt von diesen Vorgängen ab - nun gibt es ein Modell dafür, das die Masse des Protons und anderer Teilchen auch noch ziemlich akkurat vorhersagt.
Genomsequenzierung billiger, schneller, einfacher
Die Meldungen über vollständig sequenzierte Genome überschlugen sich in diesem Jahr. Nicht nur Menschen wie der Bio-Unternehmer Craig Venter ließen ihre DNA entschlüsseln, auch längst ausgestorbene Kreaturen wie das Wollhaarmammut gaben die Geheimnisse ihres Erbguts preis. All das hängt nicht zuletzt mit verbesserten und immer preisgünstigeren Techniken der Sequenzierung zusammen - für die "Science"-Redaktion einer der Durchbrüche des Jahres.