Tuberkulose Die weiße Pest schlägt zurück
Die Tuberkulose schien besiegt zu sein zumindest im reichen Westen, wo jedes Schulkind durch Vorsorgeuntersuchungen geschützt ist. Aufflammende Tuberkuloseausbrüche können Ärzte mit Antibiotika im Keim ersticken. Doch die Tuberkelbakterien schlagen zurück: Viele Erreger sind bereits gegen die meisten Medikamente resistent, für andere gibt es kaum noch Behandlungsmöglichkeiten. Das geht aus einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervor.
Er stützt sich auf Untersuchungsergebnisse von 90.000 Tuberkulose-Kranken aus den Jahren 2002 bis 2006. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit Tuberkuloseerregern infiziert, schätzt die WHO. Mittlerweile führt Tuberkulose weltweit die Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten an.
Tuberkulose wird durch Bakterien übertragen und befällt meist die Lungen. Besorgniserregend ist laut WHO die Resistenz-Entwicklung der Tuberkulose-Erreger: Jedes Jahr kommen allein eine halbe Millionen Neuerkrankungen durch multiresistente Erreger hinzu, bei denen die gängigen bei Tuberkulose eingesetzten Antibiotika nicht mehr wirken. Die meisten Fälle wurden in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, gezählt. Dort hat sich der multiresistente Keim schon in fast einem Viertel der Tuberkulose-Kranken breit gemacht. Diese Zahlen übertreffen die Daten aus dem letzten Bericht von 2004 bei weitem.
Die an dem Bericht beteiligten Wissenschaftler konnten zudem einen gefährlichen Zusammenhang zu der Immunerkrankung HIV feststellen: Untersuchungen in der ukrainischen Stadt Donetsk zeigten, dass sich die multiresistente Form doppelt so häufig in Tuberkulose-Kranken findet, die auch mit HIV infiziert sind. In einigen Teilen Afrikas ist eine Tuberkulose-Erkrankung der Hauptgrund für den Tod HIV-Infizierter. Ihr Immunsystem ist so geschwächt, dass es die Tuberkulose-Bakterien nicht mehr vernichten kann.
Die Dunkelziffer der Tuberkulose-Verbreitung dürfte allerdings deutlich höher liegen. Da viele Krankenhäuser in Entwicklungsländern nicht die nötige Ausstattung und nicht das Personal haben, um die resistente Form zu diagnostizieren, fehlen in dem Bericht der WHO viele wichtige Daten. In Afrika waren beispielsweise nur sechs afrikanische Länder in der Lage, Angaben zur Verbreitung des resistenten Erregers zu machen. "Ohne diese Angaben ist es schwierig zu bestimmen, wie sich die Resistenzentwicklung in diesen Gebieten entwickelt", sagte der Tuberkuloseexperte der WHO Abigail Wright.
Die multiresistente Form der Tuberkulose ist schwieriger zu behandeln als die herkömmliche Variante. Auch die Kosten liegen viel höher. In Entwicklungsländern, die sich diese teure Behandlung nicht leisten können, ist das gleichbedeutend mit dem Todesurteil eines Patienten, der an der multiresistenten Form leidet.
Für Deutschland ist die Lage noch überschaubar: Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt, dass pro Jahr 80 bis 100 Fälle der multiresistenten Tuberkulose in Deutschland auftreten. Insgesamt wurden laut RKI im vergangenen Jahr 4951 Tuberkulosefälle in Deutschland registriert.
Schnelle Diagnose ist wichtig
Eine besonders gefährliche Variante der Tuberkulose-Erreger, die gegen fast alle Antibiotika resistent ist, hat sich mittlerweile in 45 Ländern ausgebreitet. Mario Raviglione, Direktor der WHO-Abteilung "Stop Tuberkulose" ist besorgt: "Die Resistenzentwicklung des Tuberkuloseerregers muss aufgehalten werden." Eine schnelle Diagnose sei sehr wichtig. "Wenn man früh anfängt, die Krankheit zu behandeln, nimmt man dem Erreger die Zeit, eine Resistenz zu entwickeln", sagt Raviglione. Und das kostet Geld: Die WHO schätzt, dass 2008 für die Kontrolle der Tuberkulose in Entwicklungsländern vier Milliarden Euro benötigt werden.
Unter all diesen Schreckensnachrichten befindet sich allerdings auch ein Erfolg. Die Fälle von Tuberkulose gehen in Lettland und Estland zurück seit man die Krankheit gezielt behandelt - vor 13 Jahren wurden diese Länder von der WHO noch als Tuberkulose-Hotspots klassifiziert.
Die Entwicklung von Resistenzen ist auch bei anderen Erregern zu einem großen Problem geworden. Staphylococcus-aureus-Bakterien, die auf herkömmliche Antibiotika nicht mehr ansprechen, breiten sich auch in Industrienationen aus - vorwiegend in Krankenhäusern. Immer wieder sorgen sie für Schlagzeilen.
Eine der Hauptursachen für die Entwicklung einer Resistenz liegt in dem übertriebenen Einsatz von Antibiotika. Krankenkassen schätzen, dass Patienten allein in Deutschland pro Jahr 1500 Tonnen Antibiotika einnehmen. In Europa sind es jährlich rund 8500 Tonnen.
nis