Türkei Antike Therme steht vor der Flutung

Archäologen geraten ins Schwärmen, wenn sie über Allianoi sprechen. Der Ausgrabungsort im Westen der Türkei birgt eine der besterhaltenen Kuranlagen des Altertums. Nun droht der antike Badeort im Wasser zu versinken. Ein nahe Allianoi gebauter Staudamm soll in Betrieb gehen.

Allianoi - Es ist beeindruckend, was die Forscher schon ans Tageslicht gebracht haben. Ein von fünf Meter hohen Mauern umgebenes Schwimmbecken beispielsweise, das von einer heißen Quelle gespeist wird. Oder eine unversehrte, mit Monolith-Säulen gestaltete Halle. Auch die Überbleibsel von Straßen, Brunnen und Häusern mit gut erhaltenen Mosaiken und fast 11.000 Artefakte wurden entdeckt.

Der Archäologe Ahmet Yaras hat fast neun Jahre gearbeitet, um diese Relikte freizulegen, die dank einer schützenden Schlammschicht der Zeit getrotzt haben und hervorragend erhalten sind. Doch es ist eben nur ein kleiner Teil der Schätze von Allianoi: Lediglich 20 Prozent der Oberfläche des antiken Kurortes, der seine Blütezeit im zweiten Jahrhundert nach Christus erlebte, haben Yaras und sein Team bislang erforscht. Jetzt läuft ihnen die Zeit davon.

Seit Jahren schon wird um einen Staudamm, der den antiken Badeort im Wasser versinken lassen würde, diskutiert. In einem umstrittenen Verfahren hatte ein wissenschaftlicher Ausschuss im Oktober 2007 für die Flutung des Standortes votiert und damit zwei vorausgegangene, gegenteilig lautende Entscheidungen ausgehebelt. Jetzt ist es nur noch eine Frage von Wochen, ehe der Yortanli-Staudamm geflutet werden könnte. Das im vergangenen Jahr vollendete Bauwerk soll rund 8000 Hektar Felder der Umgebung bewässern. Derzeit laufen nur noch letzte Vermessungen und der technische Feinschliff.

Archäologische Schatzkammer

"Was mich als Wissenschaftler schmerzt, ist die Tatsache, dass die Relikte für immer verloren wären, ohne die Chance gehabt zu haben, ihren Reichtum kennenzulernen", sagt der Archäologe Yaras. Dabei hätten die 20 Prozent Ausgrabungen gezeigt, dass Allianoi die größte und besterhaltene antike Therme birgt. "Wir haben rund 400 medizinische Instrumente aus Metall gefunden, mehr als in irgendeiner anderen antiken Stadt auf der Welt", empört er sich.

Viele Kollegen teilen Yaras' Verbitterung. Auch sie beklagen das erwartete Verschwinden eines Ausgrabungsortes, den sie "außergewöhnlich" nennen. Einer von ihnen ist Pierre Chuvin, Direktor des französischen Instituts für anatolische Studien. Er hat miterlebt, wie den Archäologen bei ihrer Arbeit immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden. So seien aus heiterem Himmel Gelder zur Finanzierung der Ausgrabung gestoppt worden.

Zudem hätten die Behörden so lange wissenschaftliche Kommissionen einberufen, bis sie das gewünschte Gutachten bekommen hätten, klagt Chuvin. Er glaubt, dass die Politiker sich gegen die Ausgrabungsstätte verschworen haben. "Sie hatten Angst, dass sich der Ort als derart wichtig erweist, dass sie ihn einfach nicht mehr fluten können."

Der Archäologe Aksel Tibet ist Gründer einer Forschergruppe, die sich für den Erhalt des historischen Erbes in der Türkei einsetzt. Auch er kann nicht fassen, was die Behörden da vorhaben. Kurzsichtig findet er das. Gerade mal 50 Jahre könne so ein Staudamm genutzt werden, sagt Tibet. "Aber wenn man Allianoi erhalten würde, könnte es wirklich zu einem zweiten Pompeji werden. Das brächte viel Geld ein - für unbegrenzte Zeit."

Noch haben Archäologen und Kulturliebhaber nicht aufgegeben. Ihre letzte Hoffnung ist die Weltausstellung Expo 2015, um deren Ausrichtung sich die 120 Kilometer entfernte Stadt Izmir gerade bewirbt. "Gesundheit für alle", lautet das Motto, mit dem die Metropole an der Ägäisküste punkten möchte. Yaras und seine Mitstreiter hoffen nun, dass dadurch auch das öffentliche Interesse an dem nahen Allianoi steigt. Denn wie könnte sich die Region mit einem Gesundheitsthema bewerben und zugleich einen der schönsten Kurorte der Antike in den Fluten versinken lassen?

Nicolas Cheviron, AFP

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