Fotostrecke

Archäologie: Dürre und Kälte in Çatalhöyük

Foto: Getty Images/iStockphoto

Ausgrabung in Türkei Wie ein Klimawandel vor 8000 Jahren das Leben veränderte

In der Steinzeit wurde es für 160 Jahre abrupt kälter. Forscher haben nun untersucht, wie die Menschen am berühmten Fundplatz Çatalhöyük einst auf die Klimaschwankung reagierten.

Die Kälte kam wohl ziemlich schnell und überraschend. Im Verlauf von wenigen Jahrzehnten kühlte das Wetter im Europa der Steinzeit vor mehr als 8000 Jahren ab. Forscher sprechen von der sogenannten Misox-Schwankung, benannt nach einem Tal in den Schweizer Alpen, in dessen Sedimentablagerungen Forscher das Phänomen zu Beginn der Sechzigerjahre erstmals nachweisen konnten.

Welche Auswirkungen die Abkühlungswelle in den damaligen Siedlungen Vorderasiens hatte, hat nun ein internationales Forscherteam am berühmten Ausgrabungsort Çatalhöyük auf dem Gebiet der heutigen Türkei untersucht. Der Ort nahe Konya ist besonders interessant, weil die Menschen dort damals schon Landwirtschaft und Viehzucht betrieben.

Nach einer Studie, die das Team um Mélanie Roffet-Salque von der University of Bristol in den "Proceedings of the National Academy of Sciences"  veröffentlichte, haben Trockenheit und Kälte das Leben der Menschen massiv verändert. Möglicherweise habe der Klimawandel sogar die Ausbreitung der Landwirtschaft nach Europa begünstigt, schreiben die Forscher.

Fotostrecke

Ausgegraben: Bilder und Geschichten aus der Archäologie

Foto: PBS/ BBC

Çatalhöyük wurde etwa im Zeitraum von vor 9600 bis vor 7800 Jahren besiedelt. Die Überreste werden seit mehr als 50 Jahren ausgegraben, wobei bereits mehr als 13.000 Tonscherben und mehr als 220.000 Tierknochenfragmente gefunden wurden.

Die Forscher analysierten 76 Scherben aus der fraglichen Zeit auf organische Rückstände. Aus den in den tierischen Fettsäuren gefundenen Wasserstoff-Isotopen erstellten sie zunächst ein Klimamodell, demzufolge die Temperatur in der Region vermutlich um ein bis zwei Grad sank, und die Niederschläge im Sommer um etwa 10 bis 15 Prozent abnahmen.

Dann untersuchten die Forscher, wie sich die klimatischen Veränderungen auf das Leben der Menschen ausgewirkt hatten. Die Analyse der organischen Rückstände deutet darauf hin, dass in der Anfangszeit der Kältephase die Zahl der Rinder sank und gleichzeitig mehr Ziegen und Schafe gehalten wurden, die besser mit Trockenheit zurechtkommen.

Gleichzeitig zeigten die Funde, dass die Menschen verstärkt große Knochen zerlegten, um das Fettmark und Knochenmark von Rindern zu nutzen. Auch eine zunehmende Zahl von Schneidespuren deutet das Team als Zeichen einer effizienteren Verwertung des Viehs. Zusammen mit Hinweisen auf eine Mangelernährung von Rindern werten die Forscher dies als Beleg für Nahrungsknappheit.

"Die Folgen kühlerer Wintertemperaturen sind ein erhöhter Bedarf an Nährstoffen für das Vieh, das bis zu doppelt so viele Kalorien benötigt, um die normale Temperatur und die Funktionen des Körpers aufrechtzuerhalten", schreibt das Team. "Das macht das Füttern während des Winters zu einer Herausforderung, während die erhöhte Trockenheit im Sommer die landwirtschaftlichen Erträge senkt."

Auch die Architektur der Stadt spiegelte den Autoren zufolge die klimatischen Veränderungen wider. Anfangs dominierten demnach große Gebäude mit vielen Räumen. Mit dem sich ändernden Klima setzten sich dann Häuser mit zentralen Wohnräumen durch, die von kleinen, zellenartigen Räumen umgeben waren. Diese dienten vermutlich als Lager- oder Arbeitsräume.

"Es entstanden kleinere, unabhängigere und eigenständigere Haushalte, die die bis dahin dominante gemeinschaftliche Organisation ersetzten", schreiben die Wissenschaftler. "Diese erwiesen sich als nicht nachhaltig, und die bis dahin florierende Siedlung schrumpfte, was unvermeidlich zu ihrem relativ plötzlichen Kollaps und schließlich zum Verlassen der Stadt vor etwa 7925 bis 7815 Jahren führte."

Çatalhöyük gilt als einer der spektakulärsten Fundplätze der Welt. Er besteht aus zwei Hügeln, unter denen sich eine steinzeitliche Stadt mit zahlreichen Lehmhäusern verbirgt. Straßen gab es nicht. Die Einwohner Çatalhöyüks bewegten sich über die Hausdächer fort. Auch die Hauseingänge befanden sich auf dem Dach.

Die Misox-Schwankung wurde vor etwa 8250 Jahren durch Veränderungen der Strömungen im Nordatlantik verursacht. Weltweit sorgte sie etwa 160 Jahre lang für ein tendenziell trockeneres Klima und vielerorts für eine Abkühlung von etwa drei Grad Celsius.

joe/dpa

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten