
U-Bahnen: Die Evolution der Netze
U-Bahn-Netze Unter der Erde sind alle wie Berlin
U-Bahnen sind die Lebensadern moderner Metropolen. Wer in eine fremde Stadt kommt und sich nicht von einem Taxi chauffieren lässt, konsultiert über kurz oder lang den Netzplan, um sich zu orientieren. Auf den ersten Blick erscheinen die U-Bahn-Systeme sehr unterschiedlich: Paris beispielsweise ist durchzogen von einem engmaschigen Netz mit einer Vielzahl von Umsteigemöglichkeiten. Die Stationen sind klein, die Züge kurz und eng.
Ganz anders Peking: Die dortige Métro mit ihren langen Zügen und geräumigen, aber stets prall gefüllten Waggons, gleicht eher einer S-Bahn. Das liegt auch an den großen Abständen von Station zu Station. Aber trotzdem haben all die U-Bahnen weltweit viele Gemeinsamkeiten, wie nun ein Team von Netzwerkforschern herausgefunden hat.
Camille Roth vom Centre d'analyse et de mathématique sociales (CAMS) in Paris und seine Kollegen haben in ihrer Studie 14 Städte miteinander verglichen, in denen es mehr als hundert U-Bahn-Stationen gibt. Darunter sind Megacities wie Peking, New York und Tokio, aber auch Berlin, Madrid und Barcelona.
"U-Bahn-Systeme organisieren sich selbst durch eine Abfolge rationaler, aber oft nicht koordinierter Entscheidungen im Lauf der Zeit", schreiben die Forscher im Fachblatt "Journal of the Royal Society Interface" . In praktisch allen Fällen wurden die Netze nicht auf einmal vollständig geplant und aufgebaut, sie sind vielmehr das Ergebnis vieler Einzelplanungen mit jeweils begrenztem Zeithorizont. "Aus dieser Perspektive sind U-Bahn-Netze selbstorganisierende Systeme", konstatieren Roth und seine Kollegen. Ihre Entwicklung gilt als evolutionärer Prozess.
Arme proportional zur Wurzel der Stationen
Doch obwohl sich die geografischen Gegebenheiten und wirtschaftlichen Entwicklungen der Städte stark unterscheiden, sind Strukturen mit vielen Ähnlichkeiten entstanden. Praktisch alle Netze bestehen aus einem Kerngebiet, das von einem Ring umgeben ist, und radial nach außen führenden Linien. Das überrascht noch am wenigsten, weil dieser Aufbau ja auch den Aufbau von Metropolen widerspiegelt: Um ein dicht bebautes Zentrum gruppieren sich weiter außerhalb liegende Vorstädte, von denen Menschen täglich in die City pendeln.
Roth und seine Kollegen haben jedoch auch Netzwerk-Kennzahlen untersucht und dabei überraschende Übereinstimmungen festgestellt. So kann man aus der Gesamtzahl der Stationen des Netzes abschätzen, wie viele Arme radial vom Kerngebiet nach außen in die Vorstädte führen. Die Zahl dieser Arme ist proportional zur Wurzel aus der Stationszahl. Deshalb hat Seouls Metro (392 Stationen) auch etwa doppelt so viele Außenarme wie Pekings U-Bahn (104 Stationen).

Optimierter Fahrplan: Schneller warten
Weitere Gesetzmäßigkeiten: Die Zahl der Stationen im ringförmig umschlossenen Kerngebiet ist proportional zu dessen Fläche. "Das bedeutet, dass der Kern relativ gleichmäßig erschlossen ist", sagt Roth. Zudem sind die Außenarme im Schnitt doppelt so lang wie der Durchmesser des Kerngebiets. Und der Anteil der Stationen ohne Umsteigemöglichkeit - das sind reine Haltepunkte - liegt bei mehr als 60 Prozent.
Shanghai beim Neubau an der Spitze
Interessante Erkenntnisse lieferte auch der Blick in die Bauhistorie, bei der sich die Forscher übrigens in erster Linie auf Wikipedia stützten. Praktisch für jede U-Bahn-Station der 14 untersuchten Städte existiert in der Online-Enzyklopädie nämlich ein eigener Artikel. Fast alle U-Bahn-Netze wurden in den Anfangsjahren zügig aufgebaut, kleinere Erweiterungen folgten dann später nach und nach.
Die höchsten Zuwachsraten bei den Netzen erzielten Shanghai und Seoul. In der chinesischen Metropole wurden seit der Eröffnung der ersten Linie 1995 pro Jahr im Schnitt 15 Stationen gebaut. Südkoreas Hauptstadt kommt auf 11 Stationen pro Jahr (U-Bahn-Start: 1974).
Die Netze in London, Paris, Berlin und Moskau können solche hohen mittleren Zuwächse pro Jahr nicht erreichen, weil sie teils schon mehr als hundert Jahre alt sind. Dass sich an einem aufgebauten U-Bahn-Netz nur noch punktuell etwas tut, zeigt eine weitere Kennzahl: Der Anteil der Jahre an den gesamten Betriebsjahren, in denen keine neuen Stationen eröffnet wurden, liegt bei allen 14 Städten bei knapp 60 Prozent.
Um die unterschiedlichen Metro-Systeme überhaupt vergleichen zu können, ließen die Forscher S-Bahnen bewusst außen vor, obwohl diese beispielsweise in Berlin und auch in Paris (RER) eine wichtige Rolle im Öffentlichen Nahverkehr spielen.
Wenn man den Netzaufbau betrachtet, dann unterscheidet sich die Berliner U-Bahn übrigens stark von dem anderer europäischer Großstädte. "Berlin ähnelt eher asiatischen Netzen wie Peking, Shanghai oder Seoul", sagt Roth. Das Netz habe relativ lange Außenarme mit vielen Stationen ohne Umsteigemöglichkeit. "Das liegt wahrscheinlich an der großen räumlichen Ausdehnung und der geringen Bevölkerungsdichte", erklärt der Netzwerkforscher.
Die 14 größten Metros der Welt
Stadt | Einwohner (Mio.) | Linien | Stationen | Mtl. Abst. Stat. (km) | Netzlänge (km) |
---|---|---|---|---|---|
Peking | 19,6 | 9 | 104 | 1,79 | 204 |
Tokio | 12,6 | 13 | 217 | 1,06 | 279 |
Seoul | 10,5 | 9 | 392 | 1,39 | 609 |
Paris | 9,6 | 16 | 299 | 0,57 | 205 |
Mexico | 8,8 | 11 | 147 | 1,04 | 170 |
New York | 8,4 | 24 | 433 | 0,78 | 373 |
Chicago | 8,3 | 11 | 141 | 1,18 | 176 |
London | 8,2 | 11 | 266 | 1,29 | 397 |
Shanghai | 6,9 | 11 | 148 | 1,47 | 233 |
Moskau | 5,5 | 12 | 134 | 1,67 | 260 |
Berlin | 3,4 | 10 | 170 | 0,77 | 141 |
Madrid | 3,2 | 13 | 209 | 0,90 | 215 |
Osaka | 2,6 | 9 | 108 | 1,12 | 137 |
Barcelona | 1,6 | 11 | 128 | 0,72 | 103 |