
Ukraine-Invasion Putins globale Rechte demaskiert sich selbst


Putin während einer Parade in Sankt Petersburg: Drei Sorten von Fans
Foto: Mikhail Svetlov / Getty ImagesGroße Krisen erzeugen in der Regel ja auch große Klarheit. Es wird plötzlich sichtbar und trennscharf, was vorher womöglich noch nicht so gut erkennbar war. Wichtig und unwichtig, falsch und richtig treten auf einmal klar hervor. Was Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine klar hervortreten lässt, ist zweierlei.
Die erste Erkenntnis: Alle, die seit vielen Jahren sagen, dass der Mann ein unberechenbarer, soziopathischer Egomane ist, der Verhandlungen als Show aufführt, lügt, betrügt, manipuliert und bei Bedarf tötet, hatten recht. Emmanuel Macron und Olaf Scholz zum Beispiel dürften die Tatsache, dass Putin ihnen noch kurz vor Kriegsbeginn über diesen Tisch, der damals noch fast erheiternd wirkte, kalt lächelnd ins Gesicht gelogen hat, wohl nicht vergessen.
Die zweite Erkenntnis: Es gibt eine neue Lagerbildung, global, real, hochgefährlich und spätestens jetzt wirklich nicht mehr zu ignorieren. Die neuen Lager lassen sich nicht mehr in Himmelsrichtungen unterteilen. Sie sind trotzdem real, und die Anhänger des einen Lagers, das ich hier vergangene Woche schon einmal rechte Internationale genannt habe, kennen keinerlei Skrupel, keine Werte, keine Traditionen und keine Scham.
Drei Sorten von Putin-Fans
Es gibt auch eine nicht zu vernachlässigende Zahl an Linksradikalen und -extremen, die Wladimir Putin, aus welchen Gründen auch immer, weiterhin die Treue halten. Sahra Wagenknechts Äußerungen noch nach dem Angriff auf die Ukraine sind eine Schande für die Linke. Und es gibt völlig ideologiefrei, rein opportunistisch und selbstsüchtig agierende Putin-Fans. Gerhard Schröder ist eine Schande für die SPD.
Die zahlreichsten und gefährlichsten Putin-Fans aber gehören eben jener rechten Internationalen an. So wie Donald Trumps ehemaliger Wahlkampfberater Stephen Bannon und der frühere Blackwater-Söldnerchef Eric Prince, die sich kürzlich öffentlich und sehr wohlwollend darüber unterhielten, dass Putin »nicht woke« sei, sondern »Anti-woke«. Prince ergänzte: »Die Russen wissen noch, auf welche Toilette sie gehen sollen.« Ausbuchstabiert: Der Mann, dessen Militär gerade in der Ukraine Menschen tötet, ist ein cooler Bursche, weil er schwule, lesbische und Transmenschen genauso hasst wie wir. Putin ist einer von uns.
Die Talking Points der Trumpisten
Bei Fox News trug der Fernsehpropagandist Tucker Carlson einen bizarren Monolog vor, dessen zentrale Behauptung war, eine große Menge Amerikaner befolgten brav eine »Direktive«, derzufolge sie »verpflichtet« seien, »Wladimir Putin zu hassen«. Amerikaner sollten sich fragen, »warum hasse ich Putin so sehr? Hat Putin mich jemals ›Rassist‹ genannt?« Es folgte eine ganze Batterie ähnlich gelagerter rhetorischer Fragen über Putin, in der alle Trumpisten-Talking-Points gegen die vermeintliche Unterdrückung von links auftauchten, einschließlich dieser: »Hat er eine weltweite Pandemie hergestellt, die mein Geschäft ruiniert und mich zwei Jahre lang gezwungen hat, mich drinnen aufzuhalten?«
Das seien alles relevante Fragen, so Carlson und die Antwort auf alle sei: »Nein.« Putins Propagandisten gefiel das so gut, dass der Kremlsender RT Carlsons Monolog – untertitelt – ins eigene Programm aufnahm. Der Schulterschluss ist jetzt perfekt.
Ebenfalls bei Fox News unterhielt sich Donald Trump selbst, der Putin kurz zuvor noch »genial« genannt hatte, mit Carlsons Propagandakollegin Laura Ingraham, und beide waren sich einig, wer schuld sei am russischen Angriffskrieg: Joe Biden und seine »Schwäche«. Trump verstieg sich sogar zu einem Verweis auf die große Lüge, mit der er seit der verlorenen Wahl hausieren geht: »Und all das wegen einer manipulierten Wahl.«
Die Position, dass Putins Angriffskrieg vor allem auf »die Schwäche« der jeweils eigenen Regierung zurückzuführen sei, findet man übrigens auch in »konservativen« deutschen Medien. Ältere deutsche Herren, weit weg von der Front, finden Putin irgendwie aufregend tatkräftig .
Brechreizerregend
Das Webportal Media Matters, das die Propagandabemühungen von Verschwörungstheoretikern, Republikanern und anderen im Auge behält, publizierte eine entlarvende Collage diverser Akteure aus dem rechten Medienspektrum der USA: Links verdammen Tucker Carlson, Steve Bannon, Alex »Infowars« Jones und Donald Trump persönlich Kanadas demokratisch gewählten Premierminister Justin Trudeau für dessen Vorgehen gegen die Truckerblockade von Ottawa, Bannon spricht von »Springerstiefeln« und »Gestapo«. Rechts preisen die gleichen Männer Wladimir Putin als Helden der Wahrheit, Härte und Vaterlandsliebe. Es ist brechreizerregend.
a right-wing media masterclass on pivoting pic.twitter.com/uDHmvcQRUH
— John Kerr (@JohnnyHeatWave) February 24, 2022
Die Begeisterung für Putin von rechts beschränkt sich aber nicht auf den amerikanischen Kontinent. An dem Tag, an dem Russland in der Ukraine einmarschierte, erschien in der Schweizer »Weltwoche« ein Text von Roger Köppel, Chefredakteur und gleichzeitig Mitglied des Schweizer Nationalrats. Auch für Köppel ist Putin ein leuchtendes Vorbild, und zwar deshalb, weil er »eine wandelnde Kriegserklärung an den Zeitgeist«, sei, »an die ›Woke-‹ und ›Cancel-Culture‹, der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen.« Putin, findet Köppel, »entlarvt den hohlen Moralismus seiner Gegner«. Als der Text erschien, fielen in der Ukraine bereits die Bomben.

Putin mit Trike auf dem Weg zu einem Bikertreff am Schwarzen Meer (2010)
Foto: Sasha Mordovets / Getty ImagesGlasklar dokumentierte Unterstützung für Rechtsextreme
Die putinschwärmerische Tirade gegen die »woken« im Westen wurde zweifellos nicht unter dem Eindruck des Einmarsches geschrieben, sondern davor, aber das macht ihn nicht besser. All den Putin-Apologeten, die immer wieder wie besessen von der nur von ihnen selbst wahrgenommenen Bedrohung der »Freiheit« durch Gendersternchen und »woke« Kultur schwadronieren, war die ganze Zeit klar, wes Geistes Kind Putin ist. Es hätte auch jedem anderen klar sein können, denn dass Putins Russland rechtsextreme und rechte Bewegungen, Parteien und Organisationen weltweit hofiert und unterstützt, ist seit vielen Jahren glasklar dokumentiert.
Hier ein paar einschlägige Berichte:
»Russische Politiker konstruieren eine internationale, rechtsextreme Allianz« (»The Interpreter«, 2015)
»Mütterchen Russland ist Rassistin – wie Russland Deutschland als rassistisches Ideal für Trump-liebende White Supremacists ablöste« (»Quartz«, 2016)
»Russische und amerikanische weiße Nationalisten hissen in Washington ihre Fahnen« (»ThinkProgress«, 2017)
»Die meisten russischen Facebook-Anzeigen sollten Amerikaner im Bezug auf das Thema Rasse entzweien« (»Vox«, 2018)
»Senats-Geheimdienstausschuss: Russische Propaganda nutzt amerikanischen Rassismus aus« (»Daily Beast«, 2019)
»Auseinandersetzung mit Russlands Rolle im transnationalen weißen Rassismus« (»Just Security«, 2020)
Globale Allianz der Rechtsextremen
Seit vielen Jahren arbeiteten Russlands Rechtsextremismus-Propagandisten an einer Allianz namens »World National-Conservative Movement« (WNCM), also »Weltweite Nationalkonservative Bewegung«. Der Vereinigung gehörte auch die deutsche NPD an.
Beste Beziehungen pflegte Putins Russland aber auch zu den auf den ersten Blick weniger extremen rechten Parteien in Strömungen in Europa. Bekanntlich gibt es in der AfD, die sich im Moment bemerkenswert still verhält und den Angriff auf die Ukraine sogar verurteilte, jede Menge Putin-Fans und freundschaftliche Beziehungen zu Russlands Info-Kriegern. Auch die österreichische FPÖ, namentlich die Protagonisten der »Ibiza-Affäre«, pflegten intensive Kontakte zu Russland , ja, die FPÖ schloss sogar einen »Vertrag« mit Dmitri Medwedews Partei Einiges Russland, in dem man sich gegenseitige Unterstützung zusicherte. Wladimir Putin gehört der Partei offiziell nicht an, gilt aber als der eigentliche Parteichef.
Verbindungen von Chile bis Thailand
Diese Aufzählung ließe sich seitenweise fortsetzen. Die russischen Bemühungen um die globale Rechte, von gemäßigt bis extrem, erstrecken sich auf eine Vielzahl von Ländern innerhalb und außerhalb Europas. Umso grotesker wirkt Putins Behauptung, man müsse ausgerechnet die Ukraine »entnazifizieren«.
Der »Weltweiten Nationalkonservativen Bewegung« gehören auch Organisationen aus Thailand, Chile, Japan oder der Mongolei an. Schon in Manifesten der »Bewegung« aus dem Jahr 2015 tauchen all die Themen auf, die sich bei den Bannons, Carlsons, Köppels und anderen rechten Putin-Freunden im Westen bis heute wiederfinden.
Zum Beispiel »die Verarmung von Kulturen, die Zerstörung der Familie und gesunder moralischer Werte«, denen man sich in Russland aber widersetzen werde. Klingt, wie Köppel, oder? Auch »Abtreibungen« spielen eine Rolle, ein Lieblingsthema der evangelikalen Rechten der USA, und »die Akzeptanz sexueller Perversionen«, schöne Grüße an Stephen Bannon. Auch die Kritik an globalen Organisationen, allen voran der Uno, als Tarnvehikel einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung war da schon vertreten. Erklärtes Ziel ist es , die »Ideologie« von »Liberalismus, Multikulturalismus und Toleranz« zu bekämpfen.
Gendersternchen oder Panzergranaten?
Kurz: All die Talking Points von Russlands rechtsextremer internationaler Allianz entsprechen eins zu eins der Haltung, mit der Kommentatoren von »Weltwoche« bis »Welt«, von »Fox News« bis zum britischen »Telegraph« sich aktuell über die vermeintliche Bedrohung durch die »woke« Kultur erregen. Rechtsextreme Propaganda ist im medialen Mainstream angekommen. (Auch) Putin sei Dank.
Im Angesicht realer Panzergranaten, Raketenangriffe, Bombardements, zerstörter Gebäude und Städte und getöteter Menschen ist dieser Antagonismus noch deutlicher als zuvor als das zu erkennen, was er schon die ganze Zeit war: ein erbärmliches Ablenkungsmanöver. Die Freiheit der westlichen Industrienationen wird ganz sicher nicht von Gendersternchen bedroht, aber definitiv vom russischen Aggressor, der gerade dabei ist, ein demokratisches Nachbarland zu annektieren, um es seinem Reich einzuverleiben. Einem Mann, der Staatschefs ins Gesicht lügt, Oppositionelle, Journalistinnen und Journalisten ermorden oder einsperren, Proteste brutal niederschlagen lässt. Der »Freedom Convoy« hätte in Moskau keine zwei Stunden überlebt.
Die Fiktion der weißen Überlegenheit
Viele von der Fiktion der weißen Überlegenheit motivierte Menschen im Westen fühlen sich dem ehemaligen KGB-Agenten und Autokraten Putin, der, wie Tucker Carlson betonte, doch immerhin »nicht das Christentum auslöschen« wolle, aber sehr verbunden. Mehr jedenfalls als den demokratisch denkenden Menschen in ihren eigenen Ländern. Bei den von Carlson und anderen so gefeierten Truckerprotesten in Kanada wurde unter anderem eine durchgestrichene Uno-Flagge geschwenkt.
Die von Russland viele Jahre betriebene Vereinnahmung der globalen Rechten, vereint durch pseudochristlich unterfütterten Rassismus, die Ablehnung alternativer Lebensformen, den festen Glauben an starke Männer und »traditionelle« Frauenrollen war erschreckend erfolgreich. Sie hat nicht nur Rechtsextremisten weltweit erreicht und verbunden, sie hat sich, auch in Europa, längst sogar bei Menschen eingenistet, die sich selbst vermutlich als Teil eines »konservativen« Bürgertums betrachten. Putins Propagandatruppen haben bekanntlich sogar beim Brexit mitgemischt, sie haben die US-Waffenlobby NRA unterstützt , und Einfluss auf Wahlen nicht nur in den USA, sondern auch in Europa genommen.
Preisabfragezeitpunkt
03.06.2023 07.08 Uhr
Keine Gewähr
All das hat übrigens, das sei hier nur am Rande erwähnt, natürlich auch mit fossilen Brennstoffen zu tun: Rupert Murdochs Medien (Fox News), die mit der Öl- und Kohlebranche verbandelten US-Republikaner und Wladimir Putin eint nicht zuletzt der Wunsch, dass noch möglichst lang fossile Brennstoffe verfeuert werden. Je schneller sich die Welt vom Roh-CO₂ löst, desto schlechter für Russlands von Öl und Gas abhängige Wirtschaft. Die neue globale Rechte ist auch eine Anti-Klimaschutz-Allianz.
Ein Albtraum für die kommenden Jahre
In Deutschland scheint dieser Prozess noch weniger weit fortgeschritten zu sein als anderswo. Die glasklare Reaktion der Unionsparteien auf Putins Aggression etwa lässt zum Glück an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es gibt aber auch hierzulande durchaus Kräfte und Kommentatoren, die aktiv daran arbeiten, das zu ändern. Allen voran all die »Alternativen Medien«, von Tichy bis Reitschuster.
Eine globale Rechte, eine Welt, in der sich US-Republikaner und europäische Konservative eher dem Autokraten in Moskau als ihren westlichen Verbündeten und sogar anderen Parteien in ihrem eigenen Land verbunden fühlen, das ist ein Albtraumszenario der kommenden Jahre und Jahrzehnte.
Doch zumindest hat Putin sich mit dem Angriff auf die Ukraine selbst ultimativ demaskiert. Wer sich weiterhin zu dieser »Bewegung« bekennt, stellt sich auf die Seite derer, die Kriege um Territorium befürworten. Wer sich im Westen selbst als »konservativ« betrachtet, täte gut daran, sich von Putin und auch von seinen fortschrittsfeindlichen Talking Points schleunigst zu verabschieden.
Der Feind der Freiheit sitzt nicht im eigenen Land. Er sitzt in Moskau.