Christian Stöcker

Energieversorgung Dann eben Kriegswirtschaft – aber richtig

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Die Hälfte der russischen Exporterlöse stammt aus fossilen Brennstoffen. Europa heizt weiterhin mit Putins Gas. Wenn wir uns aus dieser Abhängigkeit befreien wollen, gibt es nur einen Weg.
Bauteile für den Offshore-Windpark »Arkona«

Bauteile für den Offshore-Windpark »Arkona«

Foto: Stefan Sauer / picture alliance / dpa

Es ist mir noch nie passiert, dass ich bei einer Rede von FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner innerlich zustimmte. Vergangenen Sonntag war es dann aber so weit. Bei der Aussprache über Russlands Einmarsch in der Ukraine im Bundestag sagte Lindner diese historisch zu nennenden Sätze: »Erneuerbare Energien leisten nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit und -versorgung. Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.«

Dabei ist es schon seit vielen Jahren offenkundig, dass fossile Brennstoffe nicht nur wegen der Klimakrise keine Zukunft haben. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass eine Volkswirtschaft, die mit veralteten Technologien Zukunft gestalten will, auf schwere Zeiten zugeht. Sondern eben auch, dass fossile Brennstoffe sehr oft aus Staaten und Regionen kommen, auf die man wirklich nicht angewiesen sein möchte .

Schande und Risiko

Das gilt für Staaten wie Saudi-Arabien, selbstverständlich auch für Iran und, aus anderen Gründen, den Irak. Und es galt und gilt für Russland, von wo Deutschland etwas mehr als die Hälfte des hierzulande verfeuerten Erdgases bezieht. Russland ist außerdem Deutschlands wichtigster Öllieferant .

Es ist schwer zu ertragen, dass trotz aller Sanktionen, trotz aller Kriegsverbrechen weiterhin gigantische Mengen russischen Importgases in deutschen Kesseln verheizt werden, Tag für Tag Stunde für Stunde. Dass die Swift-Sanktionen so zugeschnitten werden mussten, dass Russlands größte Bank davon ausgenommen ist, weil wie ein EU-Beamter das diese Woche formulierte, einige EU-Länder besonders abhängig von Energielieferungen aus Russland sind. Er meinte natürlich vor allem Deutschland.

Es ist eine Schande – und ein gewaltiges Risiko, denn dass Putin bereit ist, die deutsche Abhängigkeit vom russischen Öl und Gas als Druckmittel einzusetzen, hat sich in den vergangenen Monaten ja überdeutlich gezeigt. Polen hat folgerichtig bereits einen Importstopp für alles Fossile aus Russland gefordert. Wir Deutschen können da nur peinlich berührt zu Boden schauen.

Eine Zukunft ohne Gasimporte ist möglich

In der Aussprache, in der Lindner seine historischen Sätze sagte, avisierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekanntlich 100 Milliarden Euro, um die Bundeswehr wieder zu einer wirklich verteidigungsfähigen Armee zu machen. Das ist eine nachvollziehbare Reaktion, angesichts der Tatsache, dass plötzlich mitten in Europa Krieg herrscht.

Die gleiche Art von Kraftanstrengung, auch finanzieller Art, ist aber auch bei diesem anderen, nicht minder dringlichem Thema nötig: Der deutschen Energieversorgung. Und der Frage, wie die Deutschen ihre Häuser und Wohnungen heizen.

Das geht auch ohne Gas: mit Solarthermie, mit elektrisch betriebenen (Erd-)Wärmepumpen und, aber das ist natürlich aufwendiger, mit entsprechender Gebäudekonstruktion, die Sonnenwärme hereinlässt und drinnen hält. Es gibt verschiedenste Technologien, die das Wohnzimmer gemütlich warm machen – auch ohne Gas- oder Ölanschluss.

Brauchen wir eine Kriegswirtschaft?

Was wir jetzt brauchen, ist eine nationale und eine europäische Kraftanstrengung. Der Grüne Europaabgeordnete Michael Bloss forderte diese Woche, die EU müsse jetzt »in eine Art Kriegswirtschaft eintreten«, der Ausbau erneuerbarer Energien, Renovierungen und der Einbau von Wärmepumpen müsse staatlich priorisiert werden.

»Kriegswirtschaft«, das klingt schrecklich, aber es ist etwas dran: Wladimir Putin wird im Zweifel nicht zögern, den Gashahn zuzudrehen, wenn er glaubt, dass es seinen Interessen dient. Und umgekehrt ist es grotesk, wenn die Europäische Union ständig betont, man werde Russland dort treffen, wo es wehtut – dann aber die fossilen Brennstoffe, die etwa die Hälfte aller russischen Exporterlöse ausmachen , von allen Sanktionen ausnimmt.

Nikos Tsafos, beim nicht als Öko-Larifari-Bude bekannten Center for Strategic and International Studies für das Thema Energiesicherheit zuständig, twitterte noch am ersten Tag des russischen Einmarsches , man müsse jetzt »groß denken«: »Europa braucht kühne Ideen. Wie wäre es mit einem europäischen Verteidigungsproduktionsgesetz mit dem Ziel, 100 Millionen Wärmepumpen zu bauen und zu installieren?« Tsafos ergänzte: »Früher oder später ist Energiesicherheit einfach Sicherheit.«

Es muss Schluss sein mit dem bayerischen Sonderweg

Insgesamt haben erneuerbare Energien laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme im Jahr 2021 gut 46 Prozent allen Stroms geliefert , der aus deutschen Steckdosen kam. Da geht noch weit mehr, aber es muss eben auch weit schneller gehen.

Wir brauchen deshalb:

  • Ein Ausbauprogramm für Wärmepumpen und Geothermie, an dem sich ja zur Not auch andere Industrien beteiligen können – wenn Automobilhersteller Beatmungsgeräte für Krankenhäuser herstellen können, warum sollten sie dann keine Wärmepumpen bauen können?

  • Eine rasche Veränderung bei Abstandsregeln und Genehmigungsverfahren für Windkraft, On- wie Offshore

  • Eine zügige Vereinfachung und gesenkte Hürden bei Genehmigungsverfahren für- und gewaltige Investitionen in den Netzausbau. Mit Nimbyism a lá Horst Seehofer muss Schluss sein. Es geht schließlich ums Ganze.

  • Ein Stromnetz, das dezentrale Einspeisung durch lokale Stromproduzenten und Bürgerenergie-Projekte viel effektiver einbindet, als das momentan der Fall ist

  • Ein europaweites Fotovoltaik-Förderpaket, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, inklusive der Möglichkeit für Privatanwender und Vermieter, Solaranlagen auf den Dächern mit Speichertechnologie im Keller zu verbinden, sodass der Strom vom Dach auch nachts noch genutzt oder weitergegeben werden kann – dann bleibt im Sommer etwas übrig, das anderswo gespeichert werden kann.

  • Gewaltige Investitionen in Forschung und Entwicklung im Bereich Speichertechnologien

  • Gewaltige Investitionen in den Bereich Power-to-X , sodass die an windigen und sonnigen Tagen bald massenhaft vorhandene überschüssige Energie in speicher- und transportfähige Substanzen umgewandelt werden kann, die dann etwa in der Industrie und entsprechenden Kraftwerken zum Einsatz kommen können.

Die im internationalen Vergleich weitgehend öl- und gaslose Europäische Union hat sich jahrzehntelang von den fossilen Energieversorgern und den Staaten, die mit dem Verkauf von Roh-CO₂ ihr Geld verdienen, einlullen und vom längst überfälligen Umbau der Energieversorgung abhalten lassen.

Spätestens jetzt, da ein unberechenbarer Diktator Europa mit einem Energiekrieg bedroht, sollte klar sein, was das für ein fataler Irrweg war. Es ist aber noch nicht zu spät.

Atomkraft? Wenn’s sein muss

All das kann völlig unideologisch behandelt werden. Mir persönlich wäre es auch egal, wenn die verbleibenden deutschen Atomkraftwerke zur Überbrückung noch ein paar Jahre länger laufen, was mache in den Unionsparteien sicher maßlos glücklich machen würde, obwohl es sehr teuer ist. Und wenn Putin den Gashahn wirklich zudrehen sollte, muss vielleicht vorübergehend auch noch einmal mehr Kohle verfeuert werden, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck das pragmatischerweise schon erwogen hat.

Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung sagte dem »Handelsblatt«  diese Woche: »Putin setzt auf Konfrontation und auf Energie als Waffe.« Man werde kurzfristig vermutlich mehr Kohle verfeuern müssen, um sich davon unabhängig zu machen, aber: »Es wäre eine große Dummheit, jetzt im Klimaschutz nachzulassen.«

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Entscheidend ist, dass die Richtung klar ist – und das Tempo sich gewaltig steigert. Ein fossilfreies Deutschland , ein CO₂-neutrales Europa, das ist möglich. Und es ist, schon aus sicherheitspolitischen Gründen, auch bitter nötig.

Manche fordern das Gegenteil

Tatsächlich gibt es vereinzelte Stimmen, die aktuell genau das Gegenteil fordern. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke zum Beispiel . Man müsse »prüfen«, ob das CO₂-Einsparziel der EU von 55 Prozent bis 2030 noch zu halten sei, sagte er diese Woche. Wegen des Ukraine-Krieges.

Klimabericht

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn Deutschland 100 Milliarden lockermachen kann, um das Militär auszurüsten, dann sollte mindestens die gleiche Summe zur Verfügung stehen, um mit gesteigertem Tempo dafür zu sorgen, dass wir bald wirklich unabhängig vom Diktator in Moskau sind. Und es sollte eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung möglich sein, das zu erreichen.

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Für die Europäische Union gilt das Gleiche: Jetzt, um es mit Christian Lindner zu sagen, mit maximalem Einsatz und maximaler Geschwindigkeit auf »Freiheitsenergien« zu setzen, ist das einzig Richtige. Es gilt, einen Energiekrieg zu gewinnen.

Diese Transformation ist das Wichtigste, was derzeit ansteht. Sie ist auch wichtiger als die schwarze Null.

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