Umweltrisiko EU-Erweiterung Im Osten lauert die strahlende Gefahr

Die EU-Osterweiterung birgt enorme Umweltrisiken. Verkehrsinvestitionen bedrohen die Natur, offene Grenzen erleichtern den Schmuggel mit seltenen Tieren und Pflanzen. Auch Atomreaktoren des Tschernobyl-Typs stehen demnächst auf dem Gebiet der EU.

Riesige Sumpfgebiete, endlose Wälder und unberührte Gebirgslandschaften - die zehn neuen EU-Staaten bringen einen enormen Reichtum an Pflanzen und Tieren mit in die Europäische Union. Dennoch treibt die Osterweiterung Umweltexperten die Sorgenfalten auf die Stirn: Denn der Beitritt bedeutet zugleich enorme ökologische Altlasten, geplante Verkehrsprojekte in Milliardenumfang und nicht zuletzt die Gefahr, die von teilweise veralteten Atomkraftwerken ausgeht.

Die Umweltorganisation Greenpeace etwa warnt, in Litauen gebe es zwei Atomkraftwerke des Typs Tschernobyl, die noch eine ganze Weile am Netz sein werden. "Dass die immer noch laufen, finde ich unverantwortlich", sagt Greenpeace-Atomexpertin Susanne Ochse. Einer der beiden Reaktoren in der Stadt Ignalina müsse erst im Jahr 2009 abgeschaltet werden, der andere solle nächstes Jahr vom Netz gehen. Ochse hält es aber für fraglich, dass Litauen die Fristen tatsächlich einhalten wird.

Am heutigen Montag jährt sich die Katastrope von Tschernobyl zum 18. Mal. Am 26. April 1986 war der vierte Reaktorblock des Atomkraftwerks im Norden von Kiew explodiert und schickte eine radioaktive Wolke über ganz Europa. Allein in der Ukraine sind 4400 Menschen an den Folgen des Reaktorunglücks gestorben, 2,32 Millionen Ukrainer wurden bis Anfang 2004 ins Krankenhaus eingeliefert.

Kritik an EU-Sicherheitsmaßnahmen

Der Sicherheitsstandard in den Atomkraftwerken der neuen EU-Länder, wie beispielsweise im tschechischen Temelin, bereitet Greenpeace-Expertin Susanne Ochse nicht zuletzt deshalb Sorge. Doch auch die Vorkehrungen in zahlreichen westeuropäischen Reaktoren seien alles andere als auf dem neuesten Stand, kritisiert Ochse. Von einer Verlagerung der Sicherheitsüberwachung aus den Mitgliedstaaten auf die EU-Ebene verspreche sich Greenpeace keinen Sicherheitsgewinn: Für eine effektive Überwachung fehlten der EU Kompetenzen und Personal.

Für fraglich halten Experten auch, ob sich die Osterweiterung auf anderen ökologischen Gebieten eher ein Gewinn oder ein Verlust ist. So existieren etwa in Osteuropa Tier- und Pflanzenarten, die es im Westen des Kontinents kaum noch oder überhaupt nicht mehr gibt. Luchse, Braunbären, Wisente und seltene Vogelarten bevölkern ausgedehnte und menschenleere Landstriche, von denen westeuropäische Naturliebhaber nur träumen können. Angesichts dessen muss sich aus Sicht des Generaldirektors des World Wide Fund für Nature (WWF), Claude Martin, erst noch zeigen, "ob sich die EU-Erweiterung als Fluch oder Segen für die Natur erweist".

Ende der Naturschätze im Osten befürchtet

Zum einen seien die EU-Gesetze und Standards in vielen Fällen strenger als die alten Regeln in den Beitrittstaaten. Große Investitionen flössen deshalb in die Abwasser- und Müllentsorgung sowie in andere, sauberere Umwelttechnologien. Auf der anderen Seite stehe aber unter anderem die zu befürchtende Intensivierung der Landwirtschaft auf Grund der hohen EU-Fördergelder sowie die umfangreichen Pläne zum Ausbau der Verkehrswege, erklärte Martin unlängst.

Auch der Naturschutzbund Nabu sieht "die Gefahr, dass dem Primat der wirtschaftlichen Entwicklung vieles geopfert wird", wie Nabu-Experte Claus Mayr dem Magazin "Naturschutz heute" sagte. Außer dem Beispiel Verkehr gelte dies auch für die europäische Agrar- und Regionalpolitik, die das Ende für die Naturschätze des Ostens bedeuten könnte, wenn sie einseitig die Intensivierung der Landwirtschaft, den Straßenbau und die Zersiedelung der Landschaft fördere.

Der WWF befürchtet zudem, die EU-Osterweiterung könnte dem ohnehin boomenden Schmuggel von Tieren und Pflanzen weiteren Auftrieb geben. Denn einige Beitrittsländer gelten als Transitstaaten für Geschäfte mit bedrohten Arten, und mit den Grenzen könnten sich auch neue Möglichkeiten für skrupellose Sammler öffnen. Unter anderem gälten die Flughäfen in Prag und Warschau als Umschlagsplätze für Kaviar aus dem Fernen Osten Russlands oder Reptilien aus aller Welt.

Der WWF fordert mehr und besser geschultes Fachpersonal für Zoll, Polizei und Naturschutzbehörden sowie eine engere Zusammenarbeit der nationalen Behörden, um den Artenhandel wirksam zu kontrollieren. Bereits heute hat der illegale Handel mit Tieren und Pflanzen einen geschätzten Umfang von fünf bis acht Milliarden Euro - mit Gewinnspannen, so der WWF, die an die des Drogen- und Waffenhandels heranreichen.

Isabell Scheuplein, AP

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