Klimakonferenz in Glasgow Umweltministerin Schulze schließt Bündnis gegen Atomkraft

Französisches AKW Cattenom: Protest gegen Überlegungen in der EU, Strom aus AKW als grüne Energie anzuerkennen
Foto: Stephane Etienne / iStockphoto / Getty ImagesFür Bundesumweltminister Svenja Schulze war es ihr erster öffentlicher Auftritt auf der Weltklimakonferenz. Am Morgen war sie, noch müde von den Koalitionsverhandlungen in Berlin, in Glasgow angekommen. Schon dieser Umstand macht deutlich, wie wichtig ihr das Anliegen war, mit dem sie vor die Presse ging. Ihr erster Satz lautet: »Wir sehen uns weiter zum Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Ende des kommenden Jahres verpflichtet.«
Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz stellte Schulze eine Deklaration vor. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark, Österreich, Luxemburg und Portugal sperren sie sich Überlegungen in der EU, Strom aus AKW als grüne Energie anzuerkennen. Der Auftritt war eine deutliche Warnung an die EU-Kommission.
Hochgefährliche Initiative für deutsche Wirtschaft
Denn die arbeitet derzeit an einer Verordnung, die festlegt, welche Energiequellen Unternehmen und Investoren sich als nachhaltig anrechnen lassen dürfen. In den kommenden Monaten soll die sogenannte Taxonomie-Regelung vorgestellt werden. Hinter den Kulissen ist darüber ein heftiges Ringen entstanden, mit potenziell hochgefährlichen Folgen für die deutsche Wirtschaft.

Anfang November trifft sich die Staatengemeinschaft im schottischen Glasgow zur 26. Uno-Klimakonferenz, der COP26. Auf dem zweiwöchigen Treffen geht es darum, die Ziele der Länder zu erhöhen und gemeinsame Regeln für den Kampf gegen die Klimakrise zu definieren. Lesen Sie hier alle Artikel zum Gipfel.
Vor allem der Nuklearstaat Frankreich kämpft dafür, dass die Anrechenbarkeit von Atomstrom durch Brüssel akzeptiert wird. Auch osteuropäische Staaten wie Polen setzen sich dafür ein. Sie haben Pläne für den Neubau von Atomreaktoren. Erst gestern hatte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache diese Absicht noch einmal bekräftigt. »Um Frankreichs Energieunabhängigkeit zu gewährleisten und unser Ziel der Kohlenstoffneutralität im Jahr 2050 zu erreichen, werden wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Errichtung von Kernreaktoren wieder aufnehmen«, sagte Macron.
Insofern ist der Auftritt von Schulze auch als eine Kampfansage gegen Paris zu werten. Die Folgen einer möglichen Einstufung der Kernenergie als nachhaltig sind weitreichend, vor allem für Deutschland. Denn das Land verabschiedet sich kommendes Jahr aus der Kernenergie. Grüner Strom muss dann vor allem aus Wind und Sonne hergestellt werden. Anlagen in ausreichender Menge sind allerdings noch zu wenig vorhanden.
Für die Industrie ist das ein besonderes Problem: Sie braucht für die Herstellung ihrer Produkte Ökoenergie in rauen Mengen, etwa in der Stahl- oder Zementindustrie. Nur so können die Unternehmen ihre Klimaziele erfüllen.
Wenn jetzt die Konkurrenz etwa in Frankreich auch auf Atomstrom zurückgreifen kann, dann wäre das für die Unternehmen dort ein großer Vorteil: Sie könnten etwa den mit Atomstrom und Wasserstoff hergestellt Stahl als grün deklarieren. Deutsche Unternehmen müssten kostspielige Investitionen in Erneuerbare stemmen, ansonsten müssten sie für die Kompensation des entstandenen Kohlendioxid Geld zahlen. Das schreckt auch Kapitalgeber ab, die grüne Investments suchen.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze
Entsprechend deutliche Worte fand Schulze bei ihrem Auftritt in Glasgow: »Die Atomkraft ist zu riskant, zu teuer und zu langsam«, sagte sie. In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren, dann, wenn der Umbau des Energiesystems praktisch abgeschlossen werden muss, würden neue Atomreaktoren nicht realisierbar sein, so Schulze. »Atomkraft ist einfach nicht nachhaltig, und es gibt Alternativen, die jetzt bereitstehen«, sagte die Ministerin und hob dabei auf Wind- und Solarenergie ab.
Investoren könnten verunsichert werden
Die fünf unterzeichnenden Umweltminister befürchten zudem, dass Investoren durch die mögliche Anerkennung der Atomenergie verunsichert werden könnten. In dem Statement heißt es: »Wir rufen die Kommission auf, den mutigen Plan, die EU zum Leitmarkt für nachhaltige Finanzierung zu machen, nicht zu gefährden.«
Viele Investoren würden den Glauben in grüne Finanzprodukte verlieren. »Einige bekannte institutionelle Investoren haben ihren Widerstand geäußert, Nuklearenergie mit einzuschließen«, schreiben die Umweltminister in der Deklaration.
Schulze versucht, ein starkes Zeichen gegen die Bemühungen der Atomindustrie, aber auch einer Reihe großer Staaten auf der Klimakonferenz in Glasgow zu setzen. Sie propagieren die Gewinnung von Strom aus der Kernspaltung als Klimarettung für den Planeten. Die USA, aber auch Frankreich und Brasilien haben sich auf der Konferenz offen dafür ausgesprochen.
Atomstaaten werben in Glasgow
Die US-Energieministerin Jennifer Granholm sagte in Glasgow, ihr Land sei »voll bei Nuklear dabei«. Es ginge um das Bestreben, bis zum Jahre 2035 100 Prozent Energie aus sauberen Quellen zu produzieren. Das sagte sie auf einer Veranstaltung der Internationalen Atomenergieagentur auf der Weltklimakonferenz mit dem Titel: »Nukleare Innovationen für eine Nettonull-Welt«.
Wie sich die EU-Kommission in der Frage entscheidet, Nuklearenergie als grüne Stromquelle anzuerkennen, ist unklar. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich im Oktober zwiespältig geäußert. »Wir brauchen mehr erneuerbare Energien. Sie sind billiger, CO2-frei und aus heimischer Produktion«, sagte sie, fügte aber hinzu: »Wir brauchen auch eine stabile Quelle: Atom und für den Übergang Gas.«
Ist Merkel schon vor Macron eingeknickt?
Beim letzten EU-Gipfel im vergangenen Monat in Brüssel gab es zudem hartnäckige Gerüchte, dass die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Auseinandersetzung mit ihrem französischen Amtskollegen in dieser Frage eingeknickt sein könnte.
Das wird von der Bundesregierung vehement bestritten. Auch die Ampelkoalitionäre wollen dabei bleiben, den von Merkel nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahre 2011 durchgesetzten Atomausstieg beizubehalten.