Wahlverhalten Kleines Ego stimmt für großes Ego

Unsichere Menschen wählen dominante Politiker - das zeigt eine Untersuchung mit 140.000 Menschen in 69 Ländern. Forscher sprechen von einer Kompensationsstrategie.
Wladimir Putin Anfang Juni in St. Petersburg

Wladimir Putin Anfang Juni in St. Petersburg

Foto: SERGEI KARPUKHIN/ REUTERS

Ob Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan: Rund um den Globus feiern Politiker Erfolge, die als dominant und aggressiv gelten - und denen gleichzeitig ein Hang zum Narzissmus, zu zweifelhaften Moralvorstellungen und zur Herrschsucht vorgeworfen wird. Warum derartige Volksvertreter dennoch beim Wähler punkten können, haben Wissenschaftler der London Business School untersucht.

Ihr Ergebnis: Unter dem Druck wirtschaftlicher Unsicherheit und dem Gefühl, immer weniger Kontrolle über das eigene Leben zu haben, entscheiden sich Menschen eher für Politiker, die autoritär wirken, als für solche, die als kompetent gelten.

Evolutionär betrachtet können beim Menschen sowohl Dominanz als auch Kompetenz Wege in eine Führungsposition sein. Um herauszufinden, wann und warum insbesondere dominante Politiker erfolgreich sind, analysierten die beiden Verhaltenspsychologen Hemant Kakkar und Niro Sivanathan die Daten von rund 140.000 Teilnehmern aus 69 Ländern nach der Frage, wie sich psychologische und situationsbedingte Faktoren auswirken.

Ihr Ergebnis aus den insgesamt drei Studien haben sie im Wissenschaftsmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht. In den ersten beiden Studien konzentrierten sie sich auf die USA, wo sie die politische Präferenz auf nationaler und kommunaler Ebene von über 2000 Teilnehmern abfragten, ebenso wie sozioökonomische Faktoren.

Das Gefühl, Einfluss zu haben

Die Resultate dieser ersten beiden Erhebungen legen nahe, dass vor allem ökonomische Unsicherheit zu dominanten politischen Führungspersönlichkeiten tendieren lässt.

In der dritten Studie griffen die Forscher auf die internationalen Daten der World Values Survey (WVS) sowie die der World Development Indicators (WDI) der Weltbank zurück: In der WVS-Datenbank finden sich Umfrageergebnisse zu Werten aus etwa 100 Ländern aus den Jahren 1981 bis 2014.

Kakkar und Sivanathan kombinierten die Zahlen von rund 140.000 Teilnehmern aus 69 Ländern mit den Arbeitslosenraten aus der WDI-Datenbank. Hier stellten sie fest, dass mit höheren Arbeitslosenzahlen auch der Wunsch nach dominanten Politikern wächst.

Gleichzeitig steigt das Gefühl des persönlichen Kontrollverlusts. Insofern stelle die Wahl eines dominanten Führers eine Kompensationsstrategie dar und das vor allem bei Menschen, die sich stark mit einer Gruppe oder ihrem Land identifizierten.

Für Siegfried Preiser, Rektor der Psychologischen Hochschule Berlin, eine nachvollziehbare These: "Durch Identifikation mit autoritären Führern bekommt der einzelne das Gefühl, selbst Einfluss zu haben", erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Aus psychologischer Sicht sei die Arbeit von Kakkar und Sivanathan überzeugend, so Preiser, der auch Vorstandsmitglied der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen ist.

Tatsächlich verletze Unsicherheit das menschliche Bedürfnis nach Geborgenheit - kombiniert mit dem Eindruck des Kontrollverlusts entstünden so Stresssituationen für den einzelnen. "Und in solchen Situationen ist die Bandbreite dessen, was man denken kann, eingeengt", kommentiert Preiser. "Umso überzeugender wirken Politiker, die einfache Lösungen versprechen."

Von Alice Lanzke, dpa/boj

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