US-Angebot Googeln in den eigenen Genen - für 999 Dollar
Esther Dyson ist der Meinung, dass jeder Mensch ein Recht auf die eigene genetische Information hat. Auf den Bauplan des eigenen Körpers und alles, was sich jetzt schon an Zukunftsprognosen aus diesem Bauplan ablesen lässt. Diese Informationen will sie jedem zugänglich machen.
Zumindest jedem, der zahlt.
23andMe heißt das von Dyson mitfinanzierte Unternehmen, das umfassende Genanalysen für jedermann anbietet. Jetzt auch für Europäer.
Vom eigenen genetischen Herzinfarktrisiko bis hin zu der Wahrscheinlichkeit, an einer bestimmten Krebsart zu erkranken, will 23andMe prophezeien, was die Wissenschaft dem menschlichen Gencode bisher schon an Vorhersagemöglichkeiten entlockt hat. Der Preis: 999 Dollar, plus 45 Dollar Versandkosten.
23andMe ist ein echtes Silicon-Valley-Unternehmen. Esther Dyson ist die berühmteste Tech-Journalistin der USA. Sie schreibt seit der Frühzeit des Internets über Rechner und Netze und sitzt im Aufsichtsrat des Gen-Start-Ups. Gründerinnen des Unternehmens sind Linda Avey und Anne Wojcicki. Letztere ist seit Mai 2007 mit Sergey Brin verheiratet, einem der beiden Gründer von Google - der Suchmaschinen-Konzern hat kürzlich knapp vier Millionen Dollar in 23andMe gesteckt und ist einer der größeren Investoren im Hintergrund.
Gemeinsam wollen sie für Privatleute Erkenntnisse verfügbar machen, die es über den Zusammenhang zwischen Genen und Gesundheit gibt. Und damit ordentlich Geld verdienen.
600.000 Datenpunkte werden analysiert
Kunden können sich auf der Webseite des Unternehmens registrieren und bekommen dann nach Wunsch ein bis fünf DNA-Kits zugeschickt. Darin sind Pappschachteln mit einem Plastikröhrchen, die mit je 2,5 Milliliter Spucke gefüllt werden müssen. In einem Speziallabor wird später die DNA aus dem Speichel isoliert, vervielfältigt und dann häppchenweise auf einen Spezialchip aufgebracht, der die Probe nach bestimmten Variationen von Basenpaaren in der DNA durchsucht - sogenannten SNPs (sprich "Snip").
SNP steht für Single Nucleotide Polymorphism. Der Begriff beschreibt winzige Unterschiede in der Gensequenz, die den Großteil aller genetischen Variationen zwischen den Angehörigen einer Spezies ausmachen. Beim Menschen können diese Variationen Voraussagen erlauben über die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Krankheit zu bekommen - oder über die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Medikament nicht zu vertragen.
Knapp 600.000 Datenpunkte will 23andMe so aus jeder Probe extrahieren - was von einer kompletten Analyse des jeweiligen Genoms noch weit entfernt ist, denn die menschliche DNA umfasst mehrere Milliarden Datenpunkte. Gen-Unternehmer Craig Venter hat sein Genom gerade zum zweiten Mal vollständig sequenzieren lassen und für diese Wiederholung 300.000 Dollar ausgegeben.
Vergleich mit Nigerianern, Indern, Chinesen
Die Preise jedoch, da sind sich Beobachter einig, werden fallen. Die XPrize-Stiftung, die auch Preise für bemannte Ausflüge ins All auslobt, engagiert sich in dem Bereich: Sie bietet dem ersten Team, das in zehn Tagen hundert vollständige Genome für unter 10.000 Dollar pro Proband sequenziert, ein Preisgeld von zehn Millionen Dollar an. Ein Unternehmen namens Knome verkauft die Komplettsequenzierung derzeit zum Schnäppchenpreis von 350.000 Dollar. Der Gründer, Harvard-Professor George Church, sitzt auch im Beraterstab von 23andMe.
Wie man im eigenen Erbgut surfen kann
Das Analyseergebnis wird auf der Webseite von 23andMe online zur Verfügung gestellt. Der Eigentümer der DNA bekommt einen Zugangscode, mit dem nur der Kunde auf die eigenen Daten zugreifen kann. Die Website ist eine gewaltige interaktive Datenbank, durch die man den eigenen Genotyp nun scheuchen kann:
- Ist mein Diabetesrisiko geringer oder höher als das der Normalbevölkerung?
- Droht mir eines Tages ein Herzinfarkt?
- Wie sieht mein Genotyp aus, wenn man mich mit einem durchschnittlichen Nigerianer, Chinesen, Inder vergleicht?
- Gibt es irgendwo auf der Welt eine Gruppe Menschen, die mir genetisch viel ähnlicher ist als meine unmittelbaren Nachbarn?
Noch viele weitere Fragen sind möglich. Wer außerdem für die Verwandtschaft je 999 Dollar springen lässt, kann die eigenen Eltern sogar darüber aufklären, welcher Anteil ihres Genmaterials in ihren Enkelkindern zum Tragen kommt. Geschwister können vergleichen, wie genetisch ähnlich sie einander sind.
"Die Kunden kommen sehr gut damit klar"
Dyson, Avey und Wojcicki sehen darin einen Spaß: herauszufinden, dass man zum Beispiel portugiesische Vorfahren habe. Den Einwand, dass das Wissen um eine mögliche Erkrankung die Lebensfreude beeinträchtigen könne, will Avey nicht gelten lassen: "Wenn die Kunden erst mal Zugriff auf ihre Daten haben, kommen sie damit sehr gut klar", sagte sie gestern bei der Konferenz "Digital Life Design" (DLD), die Burda jährlich in München veranstaltet.
Die drei Frauen träumen davon, dass ihr Unternehmen die Menschheit voranbringt: Die gesammelten Daten der künftigen Kunden könnten anonymisiert als Forschungsmaterial dienen, um zum Beispiel herauszufinden, welche spezielle Genkonfiguration für eine besonders seltene Medikamentenunverträglichkeit verantwortlich ist. Die eigene Datenbank könne helfen "diese Nadeln im Heuhaufen zu finden", sagt Avey.
Mit anderen Worten: Das Unternehmen will an Pharmaindustrie und Medizinern vorbei in großem Stil medizinische Daten von möglichst vielen Menschen sammeln. Nach Möglichkeit auch von solchen, die sich die 999 Dollar pro Test nicht leisten können. Es plant Kooperationen mit Selbsthilfegruppen und Stiftungen, um zum Beispiel Massentests von Menschen mit Autismus zu ermöglichen und mehr über dessen komplexe Hintergründe zu erfahren. Es drohe derzeit eine "genetische Kluft" zwischen Arm und Reich, sagt Wojcicki.
Die Konkurrenz schläft nicht
Ein 23andMe-Konkurrent namens Navigenics will demnächst ebenfalls breit angelegte Gentests gegen Geld anbieten. Dessen "Health Compass" soll rund 2500 Dollar kosten und Informationen über "20 behandelbare medizinische Leiden" enthalten. Navigenics bietet ein Jahr lang Updates über relevante Entwicklungen in der Genforschung an, außerdem ein Informationsportal und Beratung durch einen Fachmann für Genetik. Auch das Navigenics-Angebot beruht auf der Analyse der SNPs und nicht auf einer vollständigen Sequenzierung des Genoms. Die wäre derzeit zu diesem Preis einfach nicht zu machen.
Es gibt noch weitere Mitbewerber, etwa deCode Genetics aus Island. Doch die Probleme, die ihre Pläne mit sich bringen, wird wohl keines der Unternehmen so schnell ausräumen können:
- Erstens ist die SNP-Analyse keineswegs ein vollständiger Gentest. Die meisten der vielen hundert Spezialtests, wie sie zum Beispiel für ein stark erhöhtes Brustkrebsrisiko existieren, werden ihre Bedeutung nicht velieren. Viele Bedrohungen kann der SNP-Test einfach nicht erfassen.
- Zweitens bleibt die Frage, was das, was er erfasst, tatsächlich bedeutet. Auch ein Diabetes-Typ-1-Risiko von 88 Prozent heißt nicht, dass der Betreffende in jedem Fall daran erkrankt. Viele der SNP-Marker sind jeweils durch eine oder mehrere Studien mit einem bestimmten Risiko verknüpft. Was bedeutet es, wenn mehrere Marker vorhanden sind, von denen einige das Risiko vielleicht erhöhen - andere es jedoch senken? Wie soll man das miteinander verrechnen?
- Drittens bleibt in vielen Fällen, etwa wenn jemandem ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt enthüllt wird, die Frage: Was tun? Dass man nicht Rauchen sollte, sich ausreichend bewegen, sich gesund ernähren, wissen die meisten Menschen jetzt schon.
Nimmt 23andMe Geld dafür, Menschen konkrete Gründe dafür zu geben, sich so zu verhalten, wie sie sich ohnehin verhalten sollten? Auf diese Frage lächelt Esther Dyson amüsiert und nickt ein bisschen. Linda Avey erinnert sich an einen Kunden, bei dem ein erhöhtes genetisches Fettsucht-Risiko festgestellt wurde: "Er hat sich gleich für einen Marathon angemeldet."
All das ändert nichts daran, dass das Zeitalter des Genoms nun definitiv angebrochen ist - auch für Nichtwissenschaftler. "Wired"-Autor Thomas Goetz formulierte es in einem Artikel zum Thema so: "Im Genomzeitalter werden wir nicht länger das Problem haben, etwas nicht zu wissen. Sondern wir werden die Last der Entscheidung tragen müssen, ob wir überhaupt wissen wollen."